Jörg Armbruster – Brennpunkt Nahost
Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens
„Amar der Fahrer, muss den Bus wenden, versucht Gas zu geben. Zu spät. Der erste Schuss. Er verletzt niemanden. Dann der zweite. Er trifft. Meinen Arm, meinen Bauch“ … Mehr als diese Zeilen aus seinem Buch verrät Jörg Armbruster nicht über den Karfreitag 2013, als der langjährige ARD-Nahostkorrespondent in Aleppo lebensgefährlich verletzt wurde und nur knapp dem Tod entging.
Stattdessen berichtet er bei der ersten gemeinsamen Sicherheitspolitischen Öffentlichkeitsarbeit der Kreisgruppe Mittlerer Neckar und der Schiller-Volkshochschule Landkreis Ludwigsburg über die Menschen in Syrien, den Kriegs- und den Folteropfern. Er berichtet aus Krankenhäusern, über Ärzte und über die zahllosen Verwundeten. Er sprach mit Kindern aus den Straßen, aus den Flüchtlingslagern und interviewte Vertreter der Kriegsparteien.
„Begonnen hat der Konflikt in Syrien mit Demonstrationen der Landbevölkerung, an denen der wachsende Wohlstand vorbeigegangen ist. Heute ist es eigentlich ein internationaler Konflikt“ berichtet Armbruster den über hundert Teilnehmern im eng besetzten Marbacher Schlosskeller. International, weil der syrische Präsident Baschar al-Assad als letzter verbliebener Verbündeter im arabischen Raum von Russland gestützt, vom Iran mit Waffen und von der Hisbollah aus dem Libanon mit Kämpfern versorgt werde. Mit dieser Unterstützung sei es Assad gelungen, ein geschlossenes Gebiet zurückzuerobern und sich trotz aller anderen Erwartungen zu halten.
Auf der anderen Seite unterstützen vor allem die Saudis und die Golf-Emirate die islamistischen Kräfte mit dem Ziel, den Einfluss des Irans auf Syrien und damit den Libanon zurückzudrängen. Katar unterstütze den syrischen Al-Kaida-Ableger, der abgeschlossene „Emirate“ einrichten wolle. Da die meisten Muslime diese kriegerische Form des Dschihad ablehnen, wird in diesen „Emiraten“ auch ein Krieg gegen diejenigen Menschen geführt, die dieser Dschihad-Ideologie nicht folgen wollen. Viele dieser Kämpfer seien Angehörige einer Art internationalen Wander-Dschihadismus, z.B. aus Saudi-Arabien, Tschetschenien und auch etwa 200 aus Deutschland. „Die Islamisten sagen, wenn du einen Ungläubigen tötest, gefällst du Gott. Das ist falsch“ sagt Armbruster „das steht nirgends im Koran. Fast alle Muslime würden solche Aussagen von sich weisen.“
Acht Jahre war Armbruster Nahostkorrespondent der ARD, berichtete aus Kairo, Damaskus und während des Irak-Krieges aus Bagdad. Chancen auf ein Ende der Gewalt in Syrien sieht Armbruster mit realistischem Bedauern: „Nur 20% der Bürgerkriege werden mit Verhandlungslösungen beendet, und es braucht eine Art Garantiemacht, um die Einhaltung des Friedensvertrages zu überwachen“. Ob er UN-Friedenstruppen damit meine, fragt der Moderator nach, Armbrusters Antwort: „Ja“. Im Saal wird es unruhig, viele können sich nicht vorstellen, dass die UN das leisten kann. „Nur, wenn die USA und Russland sich einigen, kann das gelingen“ ergänzt Armbruster.
Als aus dem Saal die Frage kommt: „Was kann der Westen, was können wir denn jetzt besser machen?“ greift sich Armbruster an seinen Unterarm. Man merkt, dass ihn die Frage bewegt, schmerzt. „Zuallererst humanitäre Hilfe“ erwidert Armbruster, “für die Menschen in Syrien und für die Millionen Flüchtlinge.“ Fast die Hälfte der 20 Millionen Syrer seien heute auf der Flucht. Alleine in der Türkei seien eine Million Flüchtlinge untergekommen. „Und in Europa?“ frägt Armbruster in die Runde zurück. Europa hätte zugesagt insgesamt 90.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Deutschland hätte bislang 4.000 Flüchtlinge aufgenommen und insgesamt die Aufnahme von 10.000 zugesagt. „Das Verhalten des Westens bei der Flüchtlingsaufnahme ist eine Schande“ sagt Armbruster mit bebender Stimme. Europa solle eine eigene Flüchtlingspolitik entwickeln, fordert er und verweist auf einen EU-Staat, der gerade einmal 200 Flüchtlinge aufgenommen hätte und dann die Türen zu gemacht habe. „Mit Flüchtlingspolitik kann man leider keine Wahlen gewinnen, man fördert höchstens Rechtspopulisten“ spricht er bedauernd ins Mikrofon.