ELLWANGEN – Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Markus Grübel, war nicht nur wegen des Wintervortrags in Ellwangen. Am Nachmittag hatte er ein Gespräch beim Oberbürgermeister und auch beim Leiter des Sprachenzentrum Süd, Wolfgang Banek. Um was es dabei ging, wurde nicht bekannt gemacht.
Am Abend ging es jedenfalls um „Hybride Kriegsführung“, „Soldaten für den Cyberspace“, „Resilienz gegen Terrorangriffe“, „Führen aus der Mitte“: Begrifflichkeiten, die den ehemaligen Bundeswehrsoldaten unter den zahlreichen Zuhörern eines klar vor Augen führte: Die deutsche Verteidigungspolitik vollzieht einen rasanten Wandel, der nur teilweise mit neuen Technologien erklärbar ist.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Jahr mit so vielen Unsicherheiten begonnen hat wie 2017“, sagte der Staatssekretär aus Esslingen. Ukraine, Russland, Naher Osten, Nordafrika, Trump Brexit, „Krisen sind das neue Normal“.
Ganz offen versuchten derzeit drei Großmächte eine Spaltung Europas. Das gelte es zu verhindern und stattdessen müsse man enger zusammenrücken. Eine Harmonisierung der Sicherheitspolitik, eine Erhöhung der Etats, sei für Deutschland und die anderen EU-Staaten das Gebot der Stunde, aber ohne eine Konkurrenz zur Nato aufzubauen.
Europäisches Interesse sei allerdings nicht nur die territoriale Verteidigung, sondern auch die Sicherung der Energieversorgung, der Wirtschaft, der Kommunikation. Und dass Deutschland dabei besondere Verantwortung trage, sei innerhalb der EU unbestritten. „Wir führen aus der Mitte, Deutschland ist erwachsen geworden“, meinte der Politiker und verwies auf die Auslandseinsätze, etwa in Litauen, wo die Bundeswehr mit bis zu 700 Soldaten und Leopard 2-Panzern eine NATO „Battle Group“ anführt.
Für die Bundeswehr bedeutet dies eine Trendwende. Nach Jahrzehnten, in denen die Truppe immer kleiner wurde, soll sie jetzt wieder wachsen. Beispielsweise durch die neue Abteilung Cyber- und Informationstechnik (CIT). 13 500 Soldaten sollen dieser Abteilung, die derzeit aufgebaut wird, einmal angehören, um Angriffen aus dem virtuellen Raum zu begegnen.
Cyber-Attacken seien in Zeiten, in denen nahezu jedes Waffensystem vernetzt ist, eine enorme Gefahr. Das Einschleusen von Schadsoftware, aber auch der Datendiebstahl und die gezielte Fehlinformation fasst Grübel als „hybride Kriegsführung“ zusammen.
13 500 IT-Spezialisten für den „Cyberkrieg“
Die neuen Cyber-Soldaten der Bundeswehr sollen nicht nur die Hacker-Angriffe abwehren, sondern auch Gegenangriffe starten. Zum Beispiel Netzwerke, aus denen die Attacken auf Bundeswehrrechner kommen, selbst mit Schadsoftware angreifen und lahm legen.
Darüber hinaus sollen die IT-Spezialisten die Systeme der Bundeswehr sicherer machen. Dazu gehöre auch, dass man bei der Beschaffung von neuem Gerät künftig sehr genau darauf achte, wo die einzelnen Komponenten hergestellt werden.
„Wenn ich in einem Computerchip einen Schwachpunkt finde, kann ich unter Umständen leicht das gesamte Waffensystem ausschalten, in dem dieser Chip verbaut wurde“, erklärte Grübel, warum die Bundeswehr Waffen nicht einfach irgendwo kauft, sondern am liebsten in Europa herstellen lässt.
Die „Aufrüstung“ der Bundeswehr betrifft jedoch auch ganz profane Fragen, wie beispielsweise die Verlegefähigkeit gepanzerter Truppenteile. Die Bundeswehr habe zu wenige „Elefanten“, das sind die Straßentransporter für gepanzerte Fahrzeuge. Die Bürger seien nicht mehr gewohnt, dass Kettenfahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind. Weil Panzer auf den Flachwagen der Deutschen Bahn Überbreite haben, darf kein Güterzug mit Überbreite entgegen kommen. Grübel: „Die Bahn verlangt, dass wir einen Transport mindestens ein halbes Jahr vorher anmelden“.
Der deutsche Verteidigungsetat steigt in diesem Jahr um 2,7 Milliarden Euro. Wichtig sei vor allem die Trendwende, dass nämlich der Etat künftig jedes Jahr weiter wachse, sagte der Staatssekretär.
Das müsse er allein schon deshalb, weil der Personalstand der Bundeswehr in den nächsten Jahren um 7000 Soldaten ansteigen soll. Dabei habe man das Problem, dass aufgrund der demografischen Entwicklung sehr viele Positionen in Bundeswehr, -marine und Luftwaffe ohnehin ersetzt werden müssen. Und dies in einer Zeit, da auch die öffentlichen Verwaltungen, die Wirtschaft und das Handwerk um die Schulabgänger buhlt.
„Die Bundeswehr muss ein besonders attraktiver Arbeitgeber sein und die Jugend ansprechen“, erklärte Grübel und verweist auf die Filmserie „Die Rekruten“, die auf YouTube große Beachtung bei Jugendlichen findet. Außerdem öffne sich die Bundeswehr für Personen, die vor geraumer Zeit noch als „untauglich“ abgelehnt wurden, weil es Funktionen bei der Truppe gebe, bei der die körperliche Fitness nicht entscheidend ist.
Die Bundeswehr darf wieder wachsen, das Verteidigungsministerium kauft neue Panzer, Hubschrauber, Flugzeuge, Waffen. Nur vorübergehend werde die in Israel hergestellte Heron-Drohne beschafft. Ziel sei, ein eigenes, europäisches Produkt zu entwickeln, was voraussichtlich zehn Jahre dauern werde.
Der Grund: von dieser Technologie verspricht man sich großen Nutzen auch für zivile Systeme, Impulse für die Privatwirtschaft und die möchte man in der EU halten. Das Fazit des Politikers: „Wir reagieren auf die Krisen“.
Ob denn die Vergrößerung der Bundeswehr zu einer Reaktivierung still gelegter Standorte führe, wollte ein Zuhörer wissen. Nur an einem einzigen Standort, in Hartheim, antwortete Grübel.
Eingangs hatte der „Hausherr“ Regierungsdirektor Wolfgang Banek, Leiter des Sprachenzentrum Süd, die Gäste begrüßt. Gerhard Ziegelbauer, der Sektionsvorsitzende der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und Gerd Höflacher vom Reservistenverband Ostwürttemberg dankten dem Redner und verabschiedeten ihn.
Text: Gerhard Königer / Schwäbische Post
Foto: Kevin McDuffie
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