St. Kassian Dolomiten 11.10.2016 Militärhistorische Exkursion der Gebirgsjägerbrigade 23 an die ehemalige Dolomitenfront. Weiterbildung an den Schauplätzen des Hochgebirgskriegs des Ersten Weltkrieges.
Die ehemalige „Dolomitenfront“ war fünf Tage Ort für eine Weiterbildung der besonderen Art. Die Gebirgsjäger erklommen dabei Schauplätze des Ersten Weltkrieges im Südtiroler Hochgebirge und erhielten Einblicke in die taktischen Überlegungen sowie Kampfbedingungen der damaligen Zeit. Bei einem Gedenkgottesdienst und einer Kranzniederlegung gedachten die Teilnehmer der dort gefallenen Soldaten.
St. Kassian. Ein kalter Nordwind bei knapp 5 Grad Celsius weht den rund 50 Teilnehmern der diesjährigen militärhistorischen Weiterbildung der Gebirgsjägerbrigade 23 „Bayern“ ins Gesicht, die sich von der Auronzo-Hütte zur Drei-Zinnen-Hütte in den Dolomiten auf den Weg machen. „Ungemütlich für September“, entfährt es einem Soldaten. Wie muss es wohl in den Kriegswintern 1915 bis 1917 hier gewesen sein? Damals tobte der 1. Weltkrieg und die Winter waren sehr schneereich. Viele Soldaten kamen deshalb nicht durch Feindeinwirkung ums Leben, sondern fielen extremer Kälte, Lawinenabgängen oder Steinschlägen zum Opfer. Die Gruppe, zu der neben den deutschen Gebirgsjägern auch österreichische Soldaten des Militärkommandos Salzburg und der 6. Jägerbrigade aus Innsbruck zählen, erreicht die Unterkunft nahe der Drei Zinnen bei Sonnenuntergang.
Drei Gipfel in drei Tagen
Ziel der Weiterbildung sei es, die extremen Bedingungen, unter denen die Soldaten damals gekämpft haben, nachzuvollziehen und so ein größeres Verständnis für die Herausforderungen in einem Krieg im Hochgebirge zu entwickeln, so Oberstleutnant Michael Herrmann und Oberstleutnant der Reserve (d.R.) Christian Nietsch, die Projektoffiziere der Weiterbildung. Das anspruchsvolle Programm sieht die Besteigung von drei Gipfeln in drei Tagen entlang des ehemaligen Frontverlaufs vor. Zwischen Mai 1915 und November 1917 standen sich hier an der Grenze zwischen dem Kaiserreich Österreich-Ungarn und dem Königreich Italien österreichische Gebirgsjäger, die vom Deutschen Alpenkorps unterstützt wurden, und italienische Truppen gegenüber. Entlang der Marschroute bis in Höhen von über 2.500 Meter zeugen Versorgungstunnel, Kavernen und Schützengräben auch nach rund 100 Jahren noch immer von dem Stellungs- und Minenkrieg, der die Soldaten zermürbte und kaum Geländegewinne zuließ. Die Stellungen lagen dabei teilweise nur wenige hundert Meter voneinander entfernt.
Bild rechts: Die Soldaten beim Aufstieg auf den Paternkofel.
Auf den Spuren des Hochgebirgskrieges
Durch einen langen niedrigen Stollen arbeiten sich die Soldaten nach oben. Danach geht es über Klettersteige auf den Gipfel des Paternkofel. Von hier konnten die Italiener die Ebene zwischen den Drei Zinnen und dem Sextenstein sowie Toblinger Knoten gut überblicken. Sogar Geschütze und die dafür benötigte Munition wurden in diese Höhen geschleppt. „Die damaligen Leistungen der Soldaten mit viel geringeren Mitteln als heute sind beeindruckend“, urteilt Oberfeldwebel Fritjof Groth, ein Teilnehmer der Weiterbildung. Die Schlussetappe dieses Tages bildet der Abstieg, der die Gruppe über den Paternsattel um die Drei Zinnen herumführt.
Bild links: Zerstörte Stellung am Fuße des Kleinen Lagazuoi.
Herrliches Alpenpanorama an denkwürdigem Ort
Am nächsten Tag ist das Ziel einer Gruppe die Besteigung des Paternkofel, unterdessen die andere Gruppe den Toblinger Knoten erklimmt. Während der Bergtour erläutern die Referenten, die Oberstleutnante außer Dienst (a.D.) Alois Lösl und Rudolf Kudorfer, anhand von Karten und Skizzen sehr anschaulich Frontverläufe, Stellungssysteme sowie Angriffs- und Abwehrtaktiken der damaligen Kriegsparteien. Die Teilnehmer müssen ihren Standort auf der jeweiligen Karte bestimmen und erhalten neben den militärtaktischen Informationen noch eine Einweisung in die umliegende Geografie.
Danach geht es mit dem Bus nach St. Kassian, wo am folgenden Tag vom Valparolapass die Tour auf den Col di Lana beginnt. Nach dem Überwinden von rund 1.500 Höhenmetern werden die Gebirgsjäger mit der Aussicht auf ein eindrucksvolles Alpenpanorama bei mittlerweile angenehmen 20 Grad Celsius belohnt. „Dennoch macht dieser Ort betroffen“, meint Oberstleutnant a. D. Lösl, und bezieht sich dabei auf die Sprengung des Gipfels des Col di Lana durch italienische Pioniere. Diese Taktik hatte die militärische Führung der Italiener schließlich gewählt, nachdem zuvor viele Soldaten bei zahlreichen erfolglosen Versuchen, den Gipfel zu erstürmen, sinnlos in den Tod geschickt worden waren. Bei der Sprengung des Gipfels kamen mehr als einhundert Kaiserjäger ums Leben. Die Österreicher hatten schon Monate zuvor gewusst, dass die Italiener diese Aktion planten, da sie die Bohrungen des Sprengtunnels unterhalb ihrer Stellung bemerkt hatten.
Bild rechts: Gruppenfoto vor dem Gipfelkreuz des Col di Lana
Die Teilnehmer steigen vom Gipfel in eine Kaverne hinab. In dem dunklen und verwinkelten Stollen liest lediglich unter dem Licht seiner Stirnlampe Oberstleutnant a. D. Kudorfer aus dem Tagebuch eines Kaiserjägers. Er schildert eindringlich die schweren und beklemmenden Tage, unter denen die letzten überlebenden Kaiserjäger bei permanent schlechter werdender Luft und am Ende völliger Finsternis ausharrten, bevor sie sich den Italienern ergaben. „Trotz des militärischen Auftrags darf man nicht den Menschen vergessen“, sagt Leutnant Sebastian Räcker, ein Teilnehmer der Universität der Bundeswehr aus Hamburg.
Bei dem anschließenden Berggottesdienst im Sprengkrater des Gipfels gedenken die Teilnehmer der gefallenen Soldaten des 1. Weltkrieges und auch der im Einsatz umgekommenen Soldaten der Bundeswehr sowie des österreichischen Bundesheeres. Eine Kranzniederlegung im Soldatenfriedhof Valparola beschließt diesen eindrucksvollen aber auch nachdenklich stimmenden Tag.
Bild links: Berggottesdienst am Kraterrand des abgesprengtenGipfels des Col di Lana.
Hoher Lerneffekt vor Ort
Für den letzten Tag der Weiterbildung steht die Begehung des Kleinen Lagazuoi über den Kaiserjägersteig auf dem Programm. Beim Abstieg geht es wieder an zahlreichen Stellungen, Stacheldraht und verrosteten Konservendosen aus der damaligen Zeit vorbei.
„Das ist eine wertvolle Erfahrung für jeden militärischen Führer“, stellt Oberleutnant Simon Kraus von der 10. Panzerdivision fest. Die Gebirgsjäger haben Einblicke in die taktischen Herausforderungen im Hochgebirge, die soldatischen Leistungen der Kriegsteilnehmer sowie die sehr harten Bedingungen des damaligen Kampfes erhalten. „Ich bin hellauf begeistert von dem Mix aus alpinen Märschen, militärhistorischen Erklärungen und emotionalen Einlagen“, resümiert Oberst Josef Kobler vom Militärkommando Salzburg.
Bild rechts: Die Soldaten orientieren sich anhand militärischer Karten und historischer Skizzen.
Text: Eckhard Michel
Bilder: Gebirgsjägerbrigade 23