Russische Streitkräfte 2015
Sind die Entwicklung und Fähigkeiten der russischen Streitkräfte eine neue Gefahr für Europa?, so die zentrale Frage des Sicherheitspolitischen Vortrages, zu dem die RK 06 „Berlin Südwest“ am 15. September lud. Mit knapp 80 Besuchern war das Interesse an den Ausführungen Oberst a. D. Friedrich K. Jeschonnek sehr groß. Der Kenner der internationalen Sicherheitspolitik skizzierte in einem großen Abriss die Historie und die aktuelle Entwicklung der russischen Streitkräfte, warb um Verständnis, benannte aber auch die Gefahren.
Um Ziele und aktuelle Situation der russischen Streitkräfte zu erfassen ist ein Blick auf die Geographie und Geschichte des Landes unverzichtbar. Invasionen von Napoleon und Hitler, der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und die NATO-Osterweiterung erklären wesentlich Handlungsrichtlinien russischer Sicherheits- bzw. Militärpolitik. Die Abwehr feindlicher Kräfte an den Grenzen und nicht im eigenen Land, der Wille zur Wiedererlangung globaler Bedeutung – nicht zuletzt durch eine umfangreiche Streitkräftemodernisierung – und die Angst vor einer weiteren Schwächung, Destabilisierung und Zersplitterung Russlands prägen die heutige Außenpolitik Putins.
Bevor Oberst a.D. Jeschonnek die gegenwärtige und künftige Entwicklung ins Auge fasste, verwies er im Rückblick auf die durchaus nennenswerte Bereitschaft Russlands zur Öffnung, Neuorientierung und Zusammenarbeit gegenüber der NATO. Ebenso lag ihm viel daran, die großartige Leistung beim Rückzug der Truppen aus den Gebieten Osteuropas, die eingeleitete Reduzierung der Streitkräfte, sowie Russlands logistische Unterstützung beim NATO-Einsatz in Bosnien 1996 -1999 zu erwähnen. Seit 2013 mit Ausbruch der Ukraine-Krise hat sich die Situation jedoch wesentlich gewandelt: in der zuletzt aufgestellten Militärdoktrin von 2014 wurde u.a. die NATO als Bedrohung eingestuft, während sich Russland selbst dem Schutz der Bürger auch jenseits der Landesgrenzen verpflichtete. Vor dem Hintergrund der sich bis 2020 umfassend neu formierenden Streitkräfte eine durchaus reale Bedrohungslage für Europa.
Der Personalbestand der russischen Streitkräfte wurde in den letzten Jahren auf etwa 1 Million Bewaffnete Kräfte konsolidiert. Im Jahr 2020 plant man dabei mit knapp zwei Drittel Berufssoldaten und ein Drittel Wehrpflichtige; verstärkt wird dieser Bestand durch etwa 3 Millionen Reservisten. Dabei ist die positive Verankerung des Militärs in der Bevölkerung von wesentlicher Bedeutung und wird entsprechend staatlich gefördert. Geplant ist, den Militärhaushalt in den nächsten Jahren um etwa 70 Milliarden Euro zu steigern, bis 2020 die Technik der Teilstreitkräfte rundum zu erneuern und etwa 50 bis 70 % des Rüstungsbestandes durch neue Systeme zu ersetzen. Beachtenswert ist diese Entwicklung auch insofern, als dass aktuell mehr als die Hälfte der Streitkräfte im Militärbereich West und Süd, also dem Europa und Kaukasus zugewandten Bereich, konzentriert sind. Dies darüber hinaus noch mit einer hohen Mobilisierungsfähigkeit.
Wenn auch der personelle und waffentechnische Umfang der Streitkräfte für die Größe des Landes verständlich ist, so das Resümee, so birgt die Neuausrichtung der Militärdoktrin für manche Länder Europas eine nachvollziehbare Bedrohung. Die Streitkräftereform wird bis 2020 eine deutliche Verbesserung der Fähigkeiten und eine Erhöhung der Professionalität erzielen. Die wieder aufgeflammte Konfrontation zur NATO, die – wie es General a.D. Wittmann in der anschließenden Diskussion nannte – „völkische“ Politik 25 Millionen Auslandsrussen zu „beschützen“ birgt beachtenswerte Risiken. Und dennoch, weist Jeschonnek darauf hin, scheint Putin und seine Anhänger den größten Feind nicht im Ausland, sondern im Inneren des Landes zu fürchten. Der „Maidan-Effekt“ , also eine spontane, ja „flashmobartige“, unkontrollierte politische Mobilisierung Teile der Bevölkerung, die zu einer erneuten Schwächung, Destabilisierung und Zersplitterung Russlands führen könnte.
Ralph Erlmeier
(Bild: Ralph Erlmeier):
Großes Interesse am Vortrag: Oberst a.D. Friedrich K. Jeschonnek, Oberst a.D. Franz Berger, der stellvertretende russische Heeresattachées, Oberst (i.G.),Vitaly Novoseltsev, , General a.D. Klaus Wittmann und der neue Vorstand der RK 06 Stabsunteroffizier d.R. Boris Haase.