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loyal-Ausgabe Januar 2022




Flaschenpost im Fluss der Zeit

von André Uzulis

2010: Kein Jahr des deutschen Afghanistan-Einsatzes war so verlustreich, keines so dramatisch. Als Gruppenführer in einer Kampfkompanie war Hauptfeldwebel Markus Götz in Kunduz stationiert. Das, was er dort erlebt und gesehen hat, hat er aufgeschrieben: Tag für Tag, oft nur wenige Minuten nach einem Gefecht. Aus seinem Kriegstagebuch ist ein minutiöses und authentisches Protokoll geworden, dessen Sog sich der Leser kaum entziehen kann. Historiker Dr. Christian Hartmann hat es mustergültig erschlossen und aufbereitet – eine Flaschenpost im Fluss der Zeit, deren Botschaft auch künftige Generationen verstehen sollen.

„Wir rollen zuerst Richtung Meldepunkt Donau und führen mehrmals einen Beobachtungshalt durch. Als wir durch die Schranke am Ortsausgang Kunduz wieder Richtung Chahar Dara fahren, lässt Oberleutnant Mike plötzlich halten. Er springt mit Oberstabsgefreitem Lenny und Stabsgefreitem Sido aus seinem Dingo und kassiert wieder ein Handy ein. Während wir warten, sichern und beobachten, hören wir zwei dumpfe Detonationen aus dem Bereich Südwesten. Ich melde, und Mike gibt die Info an Hauptmann Barbarossa weiter, während wir weiterrollen. Beim Meldepunkt Rhein machen wir erneut einen Beobachtungshalt. Wir hören drei weitere Detonationen aus dem Bereich bei Isa Khel – irgendetwas ist da schon wieder im Busch! (…) Als nächstes sehe ich eine Person in einem der Läden nach der Brücke und dass alle anderen Läden dicht sind. Ich gebe das noch über Bordverständigung an meine Männer mit der Bemerkung ‚Augen auf, hier ist was faul!‘ weiter, dann fahren wir bereits den Lift zum Meldepunkt 92 hoch. Auf dem halben Weg sehe ich plötzlich einen Explosionsblitz. Verdammt! IED! Wir wurden angesprengt. Ich sag Wolle, er soll weiterfahren. Durchstoßen! Ich sehe den Dingo von Mike aus der Staubwolke hinter meinem Transportpanzer kommen – Gott sei Dank! Dann den Störer – Scheiße, hat es Pit erwischt? Auch Pits Dingo taucht aus dem Staub auf. Wir sind inzwischen beim Meldepunkt 92 und gehen in Stellung. Es hat Obis Transportpanzer erwischt!“

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Hauptfeldwebel Markus Götz hört an diesem 13. Juni 2010, einem Sonntag, in Afghanistan noch weitere Explosionen. Es ist 9:45 Uhr. Die Sonne steht schon hoch am Himmel, es ist unerträglich heiß. Zwei seiner Kameraden, Obi und Uli, werden bei diesem Anschlag auf die Bundeswehr-Patrouille verwundet, der eine leicht, der andere schwer. Hauptmann Barbarossa und Oberstabsärztin Sandy im Beweglichen Arzttrupp stoßen durch – ohne Rücksicht auf die Krater in der Straße und in Erwartung weiterer Sprengfallen, den gefürchteten IEDs. Im Süden ist Mörserdonner zu hören. Black Hawks werden startklar gemacht, heißt es im Funk. Götz lässt Rauch zur Markierung der Landezone aufsteigen. Später, in der relativen Sicherheit eines Polizeihauptquartiers, sieht er, wie Oberleutnant Mike Tränen übers Gesicht laufen. Im Innenraum des Transportpanzers, unter dem der Sprengsatz explodiert ist, wurde die Bodenpanzerung gut zehn Zentimeter nach oben gedrückt. Es sieht aus „wie nach einem Bombenangriff“. Götz notiert: „Alles kreuz und quer. Überall Teile einer zertrümmerten Holzkiste. MG-Munition hat umgesetzt. Obis MPi 7 und die Magazine sind Schrott. Ein MG-Kasten aus Metall ist total verformt.“
Normalerweise hätte hier Stabsgefreiter Dimitrij gesessen, der aber wegen einer kurzfristig angesetzten Videokonferenz im Lager geblieben war. Er wäre jetzt vermutlich tot.

Es sind Schilderungen wie diese, die das Tagebuch des Hauptfeldwebels Markus Götz so einzigartig machen. Da ist ein deutscher Soldat das zweite Mal im Afghanistan-Einsatz und erlebt 2010 die schlimmsten Gefechte, in die die Bundeswehr seit ihrer Gründung jemals verwickelt wurde. Er schreibt alles detailliert auf. Oft unmittelbar nach einem Kampfeinsatz, nach einem IED-Anschlag, nach einer Patrouillenfahrt. Frische Eindrücke des Soldaten einer Kampfeinheit, der das, was er sieht, hört, spürt, fühlt ohne Zeitverzug und ungefiltert zu Papier bringt – mit allen Emotionen und Kraftausdrücken, die in einem Menschen in solchen Ausnahmesituationen mit höchstem Adrenalinpegel, Blutdruck und trommelndem Herzen hochkommen, durchsetzt mit militärischen Fachbegriffen, Abkürzungen und Landser-Slang. Wie Blitzlichter aus einer nahen Vergangenheit leuchten diese Schilderungen auf. Sie fassen die intensiven Kämpfe in wenige packende Worte. Dann folgen wieder Reflexionen des Tagebuchschreibers, Einschätzungen und Bewertungen, zuweilen auch harte Urteile. Denn manchmal ist es einfach nur Frust, den Götz förmlich in seine Kladde kotzt.

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