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Loyal-Titelthema des Monats Juni 2011




Der Hauptgefreite Mathias Huhn hat in Kundus gekämpft, als die Aufständischen die Bundeswehr massiv angriffen. Er hat die enorme Brutalität des Krieges erlebt, er hat getötet und Kameraden sterben gesehen. Jetzt ist er krank und muss um seine Rehabilitation fürchten.

Nacht für Nacht ein Messer an der Kehle

Von Marco Seliger

Wieder eine dieser Nächte, in der ihn unerträgliches Wachsein peinigt, obwohl er todmüde ist. Mathias Huhn liegt erschöpft auf seinem Bett, die Nacht hängt tief und schwer im Zimmer, so schwer, wie ihm der Krieg seit zwei Jahren in den Knochen steckt. Er dämmert weg – und sitzt wieder auf dem hinteren rechten Sitz eines Fahrzeugs auf einer Straße in Afghanistan. Es rollt aus einem Dorf namens Haji Amanullah, die Soldaten haben eineinhalb Stunden dort verbracht, viel Zeit für den Feind, einen Hinterhalt zu legen. „Wer steht, der stirbt“, murmelt Hauptgefreiter Huhn vor sich hin, als der „Dingo“ anfährt. „Wer steht, der stirbt.“ Plötzlich ein Schlag, als würde ein Riese seine Keule gegen den Wagen schmettern. Der Wagen wirbelt durch die Luft, Huhn wird vom Sitz geschleudert. Mit Krachen schlägt der Transporter wieder auf die Erde, Staub rieselt durch die Kabine. „Bombe! Bombe!“, brüllt jemand. „Raus!“

Huhn stößt die Tür auf, lässt sich hinausfallen, presst die Waffe an die Schulter. Auf dem Feld vor sich sieht er eine Gestalt in weißem Gewand, sofort visiert er sie an. Der rote Punkt seines Zielfernrohrs tanzt auf dem Körper, Entfernung: 75 Meter. Das muss der Triggerman sein, denkt er, der Typ hat die Bombe gezündet. Huhn drückt ab, ein Feuerstoß trifft die Gestalt, sie schlägt lang hin, das Gewand färbt sich auf Brusthöhe rot. Huhn rennt weiter, hinter eine Mauer, sucht Deckung. Um ihn herum zischen Raketen. Er hört die Schreie der Angreifer, „Allahu akbar!“, sie sind nah. Er feuert pausenlos, verschießt alle Munition. Doch die Angreifer metzeln einen Kameraden nach dem anderen nieder, sie sind nicht aufzuhalten. Huhn zieht die Pistole, und als auch das letzte Magazin leer ist, will er wegrennen. Die Beine versagen ihm, die Knie sind weich wie Butter, unendlich langsam schleppt er sich voran. Die Füße scheinen am Boden zu kleben, er zerrt sie hoch, versucht sie nach vorn zu werfen. Von hinten schließen sich zwei Hände um seinen Hals, ziehen ihn zurück auf den Boden. Ein Bärtiger springt auf seine Brust, ein Messer in der Hand. Huhn spannt alle Muskeln an, packt die Hand, in der der Mann das Messer hält. Er stemmt sich mit aller Kraft dagegen, doch das Messer kommt seiner Kehle immer näher. Er presst, schreit – und wacht brüllend neben dem Bett auf.

Der Schweiß perlt von seiner Haut, die Fäuste sind noch geballt. Im Bad wäscht er sich den Schweiß ab, aus dem Spiegel glotzt ihn ein Gesicht mit Schatten und schwarzen Augenhöhlen an. Seit mehr als 18 Monaten geht dieses Martyrium nun schon, Nacht für Nacht die Albträume, eine Endlosschleife existenzieller Erfahrungen. Huhn hat in Afghanistan gekämpft und führt den Krieg jetzt in seinem Kopf weiter. Ein traumatisierter Mann, einer von Hunderten, deren Seele am Hindukusch zerstört worden ist. Die in Kliniken um ihr altes Leben kämpfen, um den Weg zurück in die Normalität, die es für die meisten von ihnen doch nicht mehr geben wird. Sie haben monatelang in Extremen gelebt, mit höchstem Einsatz gespielt und erwartet, dass die Gesellschaft ihnen dafür dankt. Sie kamen in ein Land zurück, in dem sich kaum jemand für ihre Erlebnisse interessiert.