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Suzana Lipovac ist zivile Helferin. Sie arbeitet in Afghanistan mit der Bundeswehr zusammen. "Ohne Sicherheit und Stabilität keine Aufbauhilfe", sagt sie und schaut auf die Uhr: "In Faisabad ist gleich Gebetspause." Deshalb will sie noch schnell mit ihren Mitarbeitern in dem nordöstlichen afghanischen Ort skypen. Es ist Vormittag in der Stuttgarter Geschäftsstelle von KinderBerg International e.V. Auf dem Computerbildschirm erscheint eine afghanische Mitarbeiterin. Die Unterhaltung ist auf Englisch, es geht um Buchhaltung. Das Skype-Gespräch dauert kurz, alle Details sind schnell besprochen. Das Internet habe die Arbeit in Krisengebieten leichter gemacht, sagt Lipovac.

Ihre Zentrale in Faisabad sei nur wenige Mausklicks entfernt. Die Geschäftsführerin von KinderBerg muss deshalb nicht vor Ort sein. Sie verlasse sich auf ihre afghanischen Mitarbeiter, sagt sie. Einige von ihnen wurden von KinderBerg ausgebildet. Suzana Lipovac will das Leid der Menschen in Krisengebieten lindern. Ihr erster Einsatz führt sie 1992 in ihre Heimat Ex-Jugoslawien. Als dort der Krieg ausbricht, ist Suzana Lipovac 24 Jahre alt. Sie hat in Deutschland einen gut bezahlten Job. Doch die Kriegsbilder und Berichte lassen sie nicht mehr los. Die Tochter bosnischer Kroaten will Flüchtlingen helfen. Ihren Urlaub verbringt Lipovac in einem Flüchtlingslager. Ihr Antrieb: "Solidarität, jugendlicher Übermut und mein schlechtes Gewissen."

Zuerst auf dem Balkan geholfen
Sie kündigt ihren Job und gründet die Hilfsorganisation KinderBerg e.V. Zehn Jahre lang ist Lipovac auf dem ganzen Balkan aktiv. Sie arbeitet in eingekesselten Städten wie dem bosnischen Grada?ac. In Tuzla, wo sie Flüchtlinge aus Srebrenica versorgt, stößt sie an ihre Grenzen. Dort hatten im Juli 1995 serbische Freischärler Tausende Männer ermordet. "Eine Frau aus Srebrenica schrie mich an: Rette meinen Mann, meinen Sohn und meinen Vater!" Lipovac wird klar, dass Blauhelme und Hilfsorganisationen den Menschen in der Enklave das Wichtigste zum Überleben nicht bieten konnten: Schutz und Sicherheit. "Ich habe mich und meine Ohnmacht gehasst."

Ohne Behandlung kommt der Tod
Nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 steht für Lipovac fest: "KinderBerg geht nach Afghanistan." Im Februar 2002, unmittelbar nach Beginn des Isaf-Einsatzes der Bundeswehr, trifft Lipovac in Kabul ein. Eine Gesundheitsstation in der afghanischen Hauptstadt aufzubauen reicht ihr nicht. Sie will dorthin, wo die Not am größten ist: in entlegene, teils umkämpfte Gebiete ohne Ärzte, Hebammen oder Apotheken. Das afghanische Gesundheitsministerium nennt diese Gebiete "white areas". Für die Zivilbevölkerung bedeutet das: kein Zugang zur medizinischen Grundversorgung. Lipovac weiß: "Wenn schwangere Frauen und unterernährte Kinder dort nicht behandelt werden, sterben sie." Doch die Transportwege in die Provinzen sind für die zivilen Helfer zu gefährlich. Schutz gibt es anfangs nur in der Hauptstadt Kabul, unter dem robusten Nato-Mandat. 2003 bitten 79 Hilfsorganisationen die Vereinten Nationen (VN), das Mandat auf Gebiete außerhalb Kabuls zu erweitern. "Sogar Pax Christi forderte damals den landesweiten Einsatz von Nato-Truppen", sagt Lipovac rückblickend. Die VN erweitern das Mandat. Fortan ist die Bundeswehr auch in Nordafghanistan präsent.

Zusammenarbeit mit dem Militär
Für Lipovac ist die Kooperation mit der Bundeswehr nicht neu. Sie haben bereits im Kosovo zusammengearbeitet. Lipovac trennt strikt zwischen zivilen und militärischen Aufgaben. Die Aufgabe von KinderBerg in Afghanistan: eine ambulante medizinische Grundversorgung für die Zivilbevölkerung sicherstellen. Die Aufgabe der Bundeswehr: für Schutz und Sicherheit sorgen. In einem Dorf kann das so aussehen: KinderBerg versorgt die Einwohner mit dem Notwendigsten an Medizin, die Bundeswehr hält Taliban und Aufständische fern. Ihre Hilfsprojekte hingen aber nicht von der Präsenz der Bundeswehr ab, betont Lipovac. "Wir kooperieren nur dann mit der Bundeswehr, wenn dies von der Zivilbevölkerung ausdrücklich gewünscht ist und sie die Bundeswehr nicht als Besatzer sehen", sagt Lipovac. Die Bundeswehr könne auch nicht überall sein, sagt Lipovac. Mancherorts sorgten lokale Machthaber für die Sicherheit der Bevölkerung. In manchen Gebieten hätten die Taliban die Kontrolle. Von den Helfern erfordere das viel Geschick und ein Gespür dafür, wo die Lage sicher ist. Und gute Kommunikation.

Auswärtiges Amt unterstützt finanziell
Vor jedem Projektbeginn fragt Lipovac zuerst die Einheimischen. "Was die Menschen brauchen, wissen sie am besten selbst." Sie organisiert Dschirgas – große traditionelle Versammlungen – bespricht dort mit allen Entscheidungsträgern das Projekt. KinderBerg lädt afghanische Behörden und Geldgeber wie das Auswärtige Amt ein. Auch die Bundeswehr ist zumeist dabei. Zwischen 2007 und 2014 entstehen auf diese Weise mehr als 120 Gesundheitsstationen in fünf afghanischen Provinzen. Lipovac' Hilfsorganisation versorgt in dieser Zeit mehr als sechs Millionen Patienten.

Schlechtwetterwarnung bedeutet Anschlagsgefahr
Eine SMS mit der neuesten Sicherheitsmeldung geht in der Stuttgarter Geschäftsstelle ein: eine Entwarnung. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei heute noch angespannt, sagt Lipovac. "Ohne dieses Sicherheitssystem wären meine Mitarbeiter blind und würden viel eher zur falschen Zeit am falschen Ort sein." Manchmal warnt auch die lokale Bevölkerung: "Sie rufen an und sagen, dass heute schlechtes Wetter ist." Für Lipovac immer ein Hinweis auf einen möglichen Anschlag.

Nato darf nicht ganz abziehen
Mit dem Abzug der Nato-Truppen hat sich auch Lipovac' Kooperationspartner, die Bundeswehr, weitestgehend zurückgezogen. Sie hofft, dass die afghanischen Streitkräfte und Polizei nun selbst für Schutz und Sicherheit im Land sorgen können. Die Nato müsse in kleinerem Maße präsent bleiben, sagt sie. "Weiter ausbilden. Wenn nötig, die Afghanen im Notfall militärisch unterstützen. Aber nicht komplett wieder abziehen." Lipovac befürchtet, dass Afghanistan sonst zum Nährboden für die Terrororganisation Islamischen Staat (IS) werden könnte.

Weitermachen
Am 22. Dezember 2014 hat KinderBerg seine letzte Gesundheitsstation an das afghanische Gesundheitsministerium übergeben. Nicht alle Stationen wurden übernommen. Für ein Fünftel fehlte das Geld. Die Mitarbeiter und das medizinische Personal sind alles Afghanen, von KinderBerg ausgebildet. Lipovac wolle Hilfsprojekte schaffen, die von Dauer seien. "Ich bleibe dran in Afghanistan", sagt sie.


Andelka Krizanovic

Bild oben: Suzana Lipovac (rechts) hilft in einer von ihr
aufgebauten Krankenstation in Afghanistan
(Foto: KinderBerg International e. V.).

Bild Mitte: Suzana Lipovac (links) ist in Afghanistan
unterwegs (Foto: Steffen Diemer Photography, Mannheim).

Symbolbild unten: Die Bundeswehr unterstützt zivile Projekte wie
das von Suzana Lipovac. Hier bringt die
Bundeswehr Verbandsmaterial in ein Krankenhaus
(Foto: Bundeswehr, Kazda, flickr).

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