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Thomas K. aus Worms ist der erste Deutsche, der bei den Taliban in Afghanistan war. Nun stand er in Düsseldorf vor Gericht. Selten hat ein Islamist so tiefe Einblicke in das Leben bei einer terroristischen Organisation gegeben.

von Marco Seliger
mit Illustrationen von Bernd Schifferdecker

Die amerikanischen und afghanischen Elitesoldaten staunten nicht schlecht. Als sie in der Nacht des 28. Februar 2018 in einem Dorf in Südafghanistan einen Taliban-Kämpfer gefangen nahmen, begrüßte sie der Mann mit dem Satz, er sei Deutscher. Die hagere, fast schon zerbrechlich wirkende Gestalt saß auf dem Boden einer Hütte, trug eine landestypische Hose und ein knielanges Hemd, auf dem geschorenen Kopf einen schwarzen Turban und im Gesicht einen rotbraunen, langen Bart. Bald darauf berichteten afghanische und ausländische Medien von einem "deutschen Taliban", der als militärischer Berater und als "bedeutende Figur" in der Hierarchie der Islamisten weit oben angesiedelt gewesen sei. Er solle für "zahlreiche Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte" verantwortlich sein.

Sieben Monate später steht Thomas K. aus Worms in Deutschland vor Gericht. Im Lauf der acht Prozesstage wird deutlich, dass die Rede vom einflussreichen und gefährlichen "deutschen Taliban" schwer übertrieben war. Thomas K. ist allenfalls einer, der auszog, den "Heiligen Krieg" zu führen, dazu aber nicht taugte. Dennoch wiegen seine Taten schwer. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, mehr als fünf Jahre lang Mitglied in der terroristischen Vereinigung "Taliban" gewesen zu sein und gemeinschaftlichen versuchten Mord begangen zu haben. Zu Beginn des Prozesses am Oberlandesgericht Düsseldorf sagte Thomas K., die Anschuldigungen der Bundesanwaltschaft seien teilweise falsch. Er habe nur seine Pflicht als guter Moslem erfüllen und den "kleinen Dschihad" führen wollen. Er habe aber niemanden getötet und dies auch nicht vorgehabt.

Taliban hielten K. zu schwach für Heiligen Krieg
Thomas K., der im verschlissenen Jogginganzug vor Gericht auftrat, erschien in seiner höflichen, fast naiv wirkenden Art nicht wie ein radikaler Islamist. Die Verhandlungstage waren meist auf vier, fünf Stunden begrenzt, da er ihnen aufgrund psychischer Probleme nicht länger folgen konnte. Schon vor Thomas K. hat es in Deutschland mehrere Prozesse gegen islamistische Extremisten gegeben. Sie waren meist aus Syrien zurückgekehrt, wo sie sich dem "Islamischen Staat" angeschlossen hatten. In diesen Verhandlungen haben die Beschuldigten meist geschwiegen. Thomas K. aber hat geredet. Dabei machte er den Eindruck eines Menschen, für den der "Heilige Krieg" eine große Enttäuschung war. Die Taliban, berichtete Thomas K. während der Verhandlung, hätten ihn für zu schwach gehalten, um ihn gegen "die Ungläubigen" kämpfen zu lassen. Nicht mal als Selbstmordattentäter wollten sie ihn, weil er nicht Auto fahren konnte. Lediglich ein Propagandavideo habe er gedreht. Darin feuert er eine Granate auf einen Stützpunkt der afghanischen Armee. Das tue ihm heute furchtbar leid.


Die Geschichte des "deutschen Taliban" ist die Geschichte eines offenkundig verirrten und verwirrten Menschen, der im Dschihad, dem angeblich "Heiligen Krieg", eine persönliche Pflicht sieht, um seinem Gott zu dienen. Es hat schon viele Männer wie Thomas K. gegeben, die aus dem Leben in Deutschland ausbrechen wollten und in die Kriegsgebiete des Nahen Ostens oder Afghanistans zogen. Einige von ihnen sind ums Leben gekommen, andere nach Deutschland zurückgekehrt. In jedem einzelnen Fall standen Sicherheitsbehörden und Justiz vor dem Problem, diesen Extremisten terroristische Handlungen nachzuweisen. Polizei und Staatsanwaltschaft können kaum vor Ort ermitteln. Das war auch bei Thomas K. so.  

Der erste Deutsche, der bei den Taliban gekämpft hat
Dennoch liegt sein Fall anders. Er ist der erste Deutsche, der bei den Taliban gekämpft hat, und dem nun der Prozess gemacht wurde. Thomas K. hat sich einer Organisation angeschlossen, die auch die Bundeswehr und die deutschen Wiederaufbaubemühungen in Afghanistan bekämpft. Doch er war von Anfang an kooperativ und geständig. Nach seiner Gefangennahme in Helmand hat er sich selbst belastet und damit dazu beigetragen, dass das Gericht die Beweisaufnahme nach nur acht Prozesstagen abschließen konnte. Es gab Verhandlungen gegen Islamisten, die erst nach einhundert Prozesstagen endeten.

Thomas K. kam im Alter von sieben Jahren als Aussiedler von Polen nach Deutschland. Je älter er wurde, desto mehr überforderte ihn der Unterricht. Er schaffte gerade so den Hauptschulabschluss. Seit der Pubertät habe er eine Zerrissenheit gefühlt und nach dem Sinn des Lebens gesucht, berichtete er dem Gericht. Mit siebzehn konvertierte Thomas K. vom Katholizismus zum Islam. Danach sei es ihm besser gegangen. Das Reine und Unverfälschte seines neuen Glaubens habe ihn damals tief berührt, sagte er.

Bei der Bundeswehr aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert
Nachdem er konvertiert war, trank er keinen Alkohol mehr. Während seine Freunde in die Disco gingen, studierte Thomas K. lieber religiöse Bücher. Er geriet in islamistische Kreise. Ein "Freund" nahm ihn mit in eine Moschee nach Ludwigshafen, später pilgerte er nach Ägypten und Saudi-Arabien. Einen Beruf erlernte er nicht. Mehrfach brach er eine Ausbildung ab, zum Dachdecker, Fliesenleger und Supermarktkassierer. Er sei unfähig gewesen, sich lange zu konzentrieren, erklärte er. Er habe in der Arbeit keinen Sinn gesehen und sich lieber in seine Bücher vertieft. Auch zum Wehrdienst taugte er nicht. Die Bundeswehr musterte ihn aus gesundheitlichen Gründen aus. Das habe ihn schwer getroffen, da er gehofft hatte, beim Bund ein Mann werden zu können, berichtete er.  

Die psychischen Probleme nahmen zu. Thomas K. hatte Selbstmordgedanken und musste sich in Behandlung begeben. Ein Arzt diagnostizierte eine Schizophrenie, ein anderer eine starke Depression. Im Alter von 25 Jahren stuften ihn die Behörden als erwerbsunfähig ein. Seitdem erhält er eine Invalidenrente in Höhe von 300 Euro monatlich. Sein psychischer Zustand spielte auch in dem Prozess eine Rolle. Das Gericht ordnete zwei unabhängige Gutachten an. Sie ergaben, dass Thomas K. an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung leide, gleichwohl zurechnungs- und verhandlungsfähig sei. Weitere Gutachten kamen zu dem Ergebnis, dass K. "unterdurchschnittlich" intelligent sei und erhebliche Konzentrationsschwächen habe.

Wunsch nach "islamischem Wehrdienst"
Im August 2012 verschwand Thomas K. aus seiner Heimatstadt Worms. Von der Polizei abgehörte Telefongespräche belegen, wie schockiert Mutter und Geschwister waren, als ihnen klar wurde, dass er sich in Afghanistan aufhielt. Sie müssten sich darauf einstellen, nur noch von ihm zu hören, wenn er tot sei, sagte eine Schwester in einem Telefonat. Zuvor hatte Thomas K. in einem Telefongespräch mit seiner Mutter geäußert, er habe sich seit 14 Jahren gewünscht, den "islamischen Wehrdienst" leisten zu können. Damit meinte er den Dschihad. Ein Islamist aus dem Umfeld von Thomas K. sagte gegenüber der Polizei aus, der Angeklagte habe einmal ihm gegenüber geäußert, wenn er mit "den Gottlosen" zusammen sei, zerreiße es ihm sein Herz. Für die Bundesanwaltschaft belegen diese Äußerungen, dass Thomas K. "von radikalislamistischem Gedankengut durchdrungen" sei.

Thomas K. hatte sich bewusst für den Dschihad entschieden. Es sei ihm schon lange klar gewesen, dass er in den Heiligen Krieg ziehen müsse, um ein guter Moslem zu sein, sagte er. Also kaufte er sich ein Flugticket von Frankfurt nach Karatschi und zurück. Den Rückflug habe er nur zur Tarnung gebucht, um die Sicherheitsbehörden in die Irre zu führen, gab er zu. Polizei und Verfassungsschutz beobachteten ihn schon seit langem. Bereits im Jahr 2000 hatte es ein Ermittlungsverfahren gegen ihn gegeben. Die Sicherheitsbehörden warfen ihm vor, Spenden für eine terroristische Vereinigung gesammelt zu haben. Nachweisen konnten sie ihm das aber nicht.  

Für eigene Anwälte "kaum steuerbar"
Zwischen 2005 und 2012 waren zahlreiche Islamisten aus Deutschland in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet ausgereist. Sie wollten sich in paramilitärischen Terrorlagern ausbilden lassen. Die meisten von ihnen schlossen sich Al-Qaida oder anderen Terrorgruppen an. Thomas K. aber wollte zu den Taliban. Sie lebten noch immer den reinen Islam ohne fremde Einflüsse und Folklore, so glaubte er. Zum "reinen Islam" gehörte für ihn auch die Ablehnung von Selbstmordattentaten. Dass die Taliban seit 2005 Anschläge dieser Art verübten, habe er für Propaganda der westlichen Medien gehalten, erklärte er dem Gericht mit leiser und stockender Stimme. Wenn Thomas K. in Düsseldorf redete, dann beugte er sich von seinem Stuhl immer ein Stück vor, um in ein Mikrofon sprechen zu können. Die meiste Zeit des Prozesses verbrachte er in einer Kabine hinter einer Glasscheibe zwischen zwei Justizbeamten. Seine beiden Anwälte saßen einige Meter entfernt von ihm an einem Tisch und äußerten sich selten. "Er ist für uns kaum steuerbar", sagte einer der Anwälte nach einem der Verhandlungstage.

Noch am Tag seiner Ankunft begab sich Thomas K. direkt in die Masjid-e-Tooba, die größte Moschee von Karatschi. Die Stadt am Indischen Ozean gehört mit ihren 15 Millionen Einwohnern zu den größten Metropolen der Welt. Dort leben mehrere Hunderttausend Afghanen, die vor der Gewalt aus ihrer Heimat nach Pakistan geflüchtet sind. In die 1969 errichtete Masjid-e-Tooba passen 5.000 Gläubige. "Ich dachte mir, ich suche da jetzt einfach mal jemanden, der mir weiterhelfen kann", berichtete Thomas K. vor Gericht. Sein Ziel war es, einen Schleuser ausfindig zu machen, der ihn zu den Taliban bringen konnte.

Weiterreise ins Grenzgebiet zu Afghanistan
Unklar blieb, in welcher Sprache sich Thomas K. in Karatschi und auch anschließend bei den Taliban verständigt hat. Thomas K. spricht schlecht Englisch, er kann weder Arabisch, noch eine der Sprachen, die am Hindukusch gesprochen werden. Dennoch habe er in der Moschee jemanden gefunden, der sofort seine Personalien aufnahm. Anschließend habe er in Karatschi einige Wochen mit religiösen Studien verbracht, ehe ihn ein Mann namens Abdul aufgesucht habe. Das Gespräch mit Abdul sei wie eine Art Vorstellungsgespräch gewesen, erinnerte sich Thomas K. Er sagte dem Mann, er wolle in den Dschihad nach Afghanistan. Ein paar Tage später habe er in einem Auto nach Nordwaziristan gesessen.

Nordwaziristan ist eine halbautonome, gebirgige Region im Nordwesten Pakistans. Sie grenzt an Afghanistan. Die in den schwer zugänglichen Gebieten lebenden Stämme verteilen sich auf beide Seiten der Grenze, die in der Zeit, als Thomas K. dort ankam, von staatlichen Sicherheitskräften nicht kontrolliert wurde. Die Region galt damals als Hochburg von Al-Qaida und anderen islamistischen Gruppen wie den Taliban. Thomas K. wurde nach Miran Schah gebracht, der Hauptstadt Nordwaziristans, die sich in den Händen der Organisation Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP) befand. Westliche Regierungen stufen die TTP als Terrorgruppe ein. Der pakistanische Geheimdienst ISI jedoch fördert bis heute die TTP, weil sie die afghanischen Taliban unterstützt. Die Regierung in Islamabad will verhindern, dass sich Afghanistan stabilisiert und stärker dem pakistanischen Erzfeind Indien zuwendet.

[…]

Lesen Sie im zweiten Teil: Flucht, Enttäuschung und Gefangennahme

Bild oben:
Hefte der Januar-Ausgabe der loyal. Die Geschichte von
Thomas K. ist das Titelthema der aktuellen Ausgabe.
(Foto: Sören Peters)

Bild unten:
Die Masjid-e-Tooba in Karatschi bietet Platz für 5.000 Gläubige.
(Foto: Muhammad Saqib Khan / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0)

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