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Aus der aktuellen loyal: Vorbilder gesucht – Teil 2




Was ist traditionswürdig? Wer kann Leitfigur sein? Mit diesen Fragen ringt die Bundeswehr – und zeigt sich dabei oft verschämt, verdruckst und unsicher. Doch das müsste sie nicht sein, wie ein Workshop in Koblenz zeigt.

[hier den ersten Teil lesen]

Nach den Vorträgen und Eingangsstatements beginnen die fünf Workshops in Kleingruppen. Etwa 15 Soldaten und zivile Beschäftigte der Bundeswehr gehen zum Workshop "Die Identität der Bundeswehr". Geleitet wird diese Arbeitsgruppe von einem renommierten Historiker, der schon seit Jahren zum Thema "Innere Führung" forscht und publiziert. Man merkt, dass er sich viele Gedanken zum Thema der Arbeitsgruppe gemacht hat. Er spricht von Selbstbildern und Fremdbildern und einem Geflecht von Zugehörigkeiten. Punkt für Punkt handelt er den wissenschaftlichen Diskurs zum Thema ab, 30 Minuten lang. Die Teilnehmer werden unruhig. Als der Historiker bei Punkt sechs seines Vortrags  angelangt ist, wird es einer Frau in einem dunkelgrauen Hosenanzug zu viel. "Wir sollten nicht zu theoretisch werden", sagt sie. Und: "Identität muss auch unten ankommen". Die Frau hat eine hohe Stellung in der Verwaltung des Verteidigungsministeriums und möchte diskutieren. Welche konkreten Gegenstände, etwa Fahnen und Orden, identitäts- und traditionsstiftend seien, fragt sie. Als ob die anderen nur darauf gewartet hätten, beginnt eine hitzige Diskussion.  

Ein Oberst sagt, dass die Gesellschaft selbst nicht wüsste, wer sie sei und was sie wolle. Wie solle es da die Bundeswehr wissen? Sie sei schließlich ein Teil der Gesellschaft. Er spricht laut und aufgewühlt, das Thema berührt ihn. Er gibt ein Beispiel: Ein Karnevalsverein dürfe das bekannte und beliebte Lied "Ein Tag so wunderschön!" nicht mehr singen, weil es ein vermeintlicher Nazi-Dichter verfasst hätte. Wie solle er so etwas seinen Hauptgefreiten erklären? Mit abstrakten Definitionen, wie sie der Historiker gerade dargelegt habe, käme er bei den Mannschaftssoldaten der Fallschirmjägertruppe nicht weit, erklärt er. Auch der bisherige Traditionserlass tauge in dieser Hinsicht wenig. Er sei viel zu abstrakt, mit "heißer Nadel gestrickt" und nicht durchdacht.  

Wo bleiben die zivilen Angestellten?
Es meldet sich ein Mann in einem gut sitzenden, dunkelbraunen Anzug mit blondem Bart: Ihn ärgere, sagt er, dass immer nur über Soldaten gesprochen würde, wenn es um die Identität der Bundeswehr ginge. Wo blieben die etwa 70.000 zivilen Angestellten? Er fühle sich nicht repräsentiert. Schon allein die Ansprache des Publikums am Morgen habe ihn gestört. Begrüßt worden seien explizit die Generale, dabei wären mindestens genauso viele zivile Mitarbeiter im gleichen Rang anwesend gewesen, sagt er wütend. Auch er klingt so, als hätte er schon lange darauf gewartet, seinen Unmut loszuwerden. Der Historiker versucht die Gemüter zu besänftigen, indem er mit ruhiger Stimme das Gesagte noch einmal zusammenfasst.  Währenddessen melden sich schon drei weitere Teilnehmer der Gesprächsrunde.  

Ein junger Offizier, der gerade den Generalstabslehrgang absolviert, hat einen Vorschlag, was ein identitätsstiftendes Element sein könnte: Kameradschaft! Sie sei allen Soldaten gemeinsam. Am Ende der Grundausbildung sei es die Kameradschaft gewesen, die ihn mit allen anderen Soldaten egal welcher Herkunft  verbunden habe. Ein älterer Mitarbeiter des Zentrums Innere Führung im grauen Anzug nennt den Slogan "Wir. Dienen. Deutschland". Das gemeinsame Dienen für das Land – das sei doch eine identitätsstiftende Gemeinsamkeit. Einige der Teilnehmer nicken zustimmend, einer erwidert, dass andere Berufsgruppen, etwa Beamte wie Lehrer und Verwaltungsangestellte, doch auch Deutschland dienten. Das "Dienen" wäre doch nichts, was allein die Bundeswehr auszeichnen würde. 

"Emotionale Ebene ansprechen"
Der angehende Generalstabsoffizier meldet sich noch einmal: Das Wort "Dienen" würde junge Menschen nicht ansprechen, ja sogar abschrecken, sagt er. Seiner Meinung nach bräuchte es konkrete Vorbilder aus der Geschichte, die er als Truppenführer seinen Hauptgefreiten leicht vermitteln könnte. Dabei müsse unbedingt auch die emotionale Ebene angesprochen werden, sagt er. Und: Wichtig wäre, auch einmal Siege und siegreiche Soldaten nennen zu können. Preußische Generale und Heeresreformer taugten da nur bedingt. Deren Relevanz für die Gegenwart müsse jungen Soldaten erst lange erklärt werden. Mannschaftssoldaten bräuchten jemanden, den sie sich als Poster an die Wand hängen könnten.  

Hier wird ein Problem der Diskussionsrunde offensichtlich: Es ist kein Mannschaftssoldat dabei. Keiner, der sagen könnte, was "der einfache Landser" tatsächlich will. Braucht er wirklich Helden? Will er sich tatsächlich jemanden an die Wand hängen?

Jetzt wird diskutiert, wer Held sein könnte. Der gerühmte Generalfeldmarschall und preußische Heeresreformer August Neidhardt von Gneisenau? Er habe zwar im 19. Jahrhundert mutig gegen Napoleon gekämpft, könnte aber auch als Polenhasser bezeichnet werden, gibt der Oberst zu bedenken. Generell gebe es keine Persönlichkeit aus der deutschen Militärgeschichte, die den Standards des Grundgesetzes und dem heutigen Demokratieverständnis genügen könnte, sagt er. Alle schweigen und überlegen.  

Mehr Mut, mit Widersprüchen zu leben
Schließlich sagt der Historiker, der die Runde leitet: Ja, man müsse wohl akzeptieren, dass es keine historischen Vorbilder gebe, die Demokraten in unserem heutigen Verständnis gewesen seien und gleichzeitig hervorragende Soldaten. "Aber ist das so schlimm?", fragt er. Und verneint sodann seine eigene Frage. Man müsse aushalten können, dass ein Mensch immer auch Widersprüche in sich vereine und ein Kind seiner Zeit sei. Er rate zu mehr Mut, mit diesen Widersprüchen zu leben und sie zu erklären.  

Der angehende Generalstabsoffizier stimmt zu. Selbstbewusstsein sei wichtig, erklärt er. Er finde, dass Soldaten offen und selbstbewusst sagen sollten, was für sie die Bundeswehr ausmache und was traditionswürdig sei – auch und vor allem vor der Presse. Auch auf die Gefahr hin, in die "rechte Ecke gestellt zu werden".

Nach dem Workshop bleiben viele Fragen. Es wirkt, als hätte jeder Teilnehmer ein anderes Verständnis von Tradition und Identität. Die Diskussion wurde zwar protokolliert, doch ob sich die vielen verschiedenen Ansichten und Meinungen schließlich im neuen Traditionserlass wiederfinden, bleibt fraglich.

Vierter und abschließender Workshop im November
Generell wird dessen Überarbeitung noch länger dauern. Der vierte und abschließende Workshop, diesmal zum Thema "Bundeswehreigene Tradition", soll im November an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik die Frage beantworten, wie die Bundeswehr ihr eigenes Erbe bewahrt. Und da gibt es, beispielsweise aus dem Einsatz in Afghanistan, tatsächlich Soldaten, deren Taten als vorbildlich gelten könnten.

Der Panzergrenadier Jan Hecht beispielsweise wurde vom Verteidigungsministerium geehrt, weil er in Kundus tapfer gekämpft hat. Auch die Fallschirmjäger Henry Lukács, Jan Berges, Markus Geist, Alexander Dietzen und andere haben diese Auszeichnung erhalten. Auf der Suche nach Vorbildern muss die Bundeswehr also gar nicht so weit in die Vergangenheit schweifen.

Julia Egleder

Bild oben:
Titelblatt der loyal im November 2017.
(Foto: Sören Peters)

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