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Beim neuen „Tattoo- und Haarerlass“ nichts in Stein gemeißelt




Ein Leitartikel von Detlef Struckhof

Das Bundesministerium der Verteidigung hat Fragen rund um den neuen "Tattoo- und Haarerlass" für die Reservisten beantwortet. Dennoch bleiben viele Fragen offen und im Einzelfall drohen deshalb Ärger mit den Vorgesetzten und letztlich Nachteile. Nachbesserungen sind nötig und nicht unmöglich. Dazu bedarf es der Anregungen aus der Truppe.

Für viel Wirbel sorgte in der zurückliegenden Woche die neue Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) A-2630/1 der Bundeswehr. Der Erlass regelt "das äußere Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr". Ab Samstag, 1. Februar, haben Soldaten und Vorgesetzte danach zu handeln. Der bisherige Haarerlass aus dem Jahr 1972 sowie zahlreiche Regelungen der ZDv 37/10 verlieren ihre Gültigkeit.

Hier geht es zur neuen Vorschrift.

Disziplinarvorgesetzten wird Ermessensspielraum eingeräumt
Was bedeuten die neuen Regeln für die Reservisten, wollte die Redaktion des Reservistenverbandes von der Bundeswehr erfahren. Denn im Facebook-Auftritt des Verbandes haben rund 200 Reservisten, aktive Soldaten und Bürger diskutiert, ob diese neuen Regelungen sinnvoll sind. Ein Facebook-Nutzer schrieb: "Mein Major beim Bund ist selber großer Tattoo-Fan gewesen und hat nichts dagegen gehabt, wenn man diese offen trug – außer es war kriminell, rechtsradikal oder Symbol der Hooligans." Diese eine von vielen ähnlichen Äußerungen zeigt das Hauptproblem der neuen Regelung, denn die Vorgesetzten können zu viel nach Gutdünken entscheiden. Eine Ministeriumssprecherin sagt: "Es ist ganz bewusst nicht alles im Detail geregelt, um den Vorgesetzten den wichtigen Ermessensspielraum vor Ort zu gewähren." Das klingt gut. Das klingt nach Augenmaß und Weitsicht. Doch was ist, wenn der Vorgesetzte wechselt, oder der Soldat die Dienststelle? Antwort: "Derartige Fragen können durch eine Vorschrift nicht allgemein geregelt werden. Eine entsprechende Entscheidung kann nur im Einzelfall erfolgen." Dann empfiehlt das Ministerium: "Im Zweifel haben sich die Betroffenen vom Disziplinarvorgesetzten eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen zu lassen." Der Rat: Nicht auf mündliche Aussagen vertrauen. Doch welcher Vorgesetzte wird eine solche Bescheinigung ausstellen, wenn es keine klaren Vorgaben gibt, was erlaubt ist oder nicht?

Maritime Tätowierungen im Normalfall erlaubt
Bei der Marine zum Beispiel gehören Tätowierungen zum Brauchtum und sind zumindest unter seefahrenden Mannschaftsdienstgraden und Unteroffizieren üblich. Da gibt es die barbusige Nixe ebenso wie den bösen Neptun, der auch mal einen Seemann verschlingt. Ist das nun pornografisch oder gewaltverherrlichend? Auch hier die Antwort des Ministeriums: Dies sei stets im Einzelfall zu entscheiden. Immerhin gesteht damit das Ministerium zu, dass es durchaus ein gelebtes Brauchtum in der Truppe gibt. "Barbusige Nixen dürften im Normalfall nicht als pornografisch zu bewerten sein", so die Sprecherin. Doch klare Richtlinien für die Vorgesetzten und Soldaten sehen anders aus.

Keine eindeutig festgelegten Einstellungshemmnisse
Diesbezüglich gibt es zum Beispiel bei der Bundespolizei klarere Aussagen. Wie berichtet, führen Tätowierungen im sichtbaren Bereich oder gewaltverherrlichende beziehungsweise auf eine extremistische Gesinnung schließende Tätowierungen zum Ausschluss aus dem Eignungsauswahlverfahren. Solche klaren Vorgaben gibt es bei der Bundeswehr noch nicht: "Nicht abnehmbarer Körperschmuck, der nach der neuen Dienstvorschrift unzulässig ist, müsste nach strenger Auslegung ein Einstellungshemmnis darstellen", so die Einschätzung der Sprecherin. Doch auch hier gebe es einen Ermessensspielraum. Dieser obliege der Nachwuchsgewinnungsorganisation. Gleiche Aussage zu Tätowierungen bei Berufssoldaten-Bewerbern und Reservisten. Leider hängt ein solcher Ermessensspielraum allein beim jeweiligen Vorgesetzten, Truppenarzt oder Einstellungs-Entscheider. Gut, wer einen bekennenden Tattoo-Fan seinen Vorgesetzten nennen kann, wie der oben erwähnte Facebook-Nutzer.

Truppe könnte "wie ein Haufen Leprakranker aussehen"
Die Reservisten werfen auf Facebook viele Fragen auf, mit denen sie die Umsetzung der neuen Vorschriften in der Praxis anzweifeln. Was wird aus dem einheitlichen Anzug bei einem Antreten, wenn alle an den Armen tätowierten Soldaten im Sommer Ärmel lang tragen? Tragen müssen, weil es die ZDv A-2630/1 so fordert, der Disziplinarvorgesetzte aber Ärmel kurz befiehlt. Dann sind Schminke oder Pflaster vorgeschrieben, um "dezent abzudecken", so die Vorschrift. Ein Facebook-Nutzer schreibt süffisant: "Mit Verbandsmaterial abdecken hätte zur Folge, dass die Truppe wie ein Haufen Leprakranker aussieht."

Kurze Haare Pflicht – ohne Ermessensspielraum
Bei all diesen heißen Diskussionen rund um Tätowierungen geht ein Nebenthema der neuen Vorschrift unter: Die Haare müssen von nun an bei allen Männern kurz sein – auch bei Reservisten. Es geht dabei gar nicht um lange Haare mit Pferdeschwanz, denn die sind unter Reservisten auch eher seltene Ausnahmen. Aber wenn die Haare ein wenig über die Ohren reichen oder im Nacken etwas länger als der Hemdkragen sind, wird den Soldaten auf Kurzzeit ab Samstag ein Verstoß gegen die neue Vorschrift vorgeworfen werden können. Für einen einzigen Samstag zum Schießen und vorher zum Friseur? "Ja", so die grundsätzliche Aussage der Pressesprecherin der Bundeswehr.

Neu: Dreitagebart und Regenschirm sind erlaubt
Dafür sei nun der gepflegte Dreitagebart erlaubt, versucht die Bundeswehr zu beschwichtigen und will damit auf das eigentlich Moderne des neuen Erlasses lenken. So auch darauf, dass nun ein Regenschirm zur Uniform getragen werden dürfe. Seit Jahrzehnten war das bisher nur in Begleitung von Damen erlaubt. Doch auch hier eine Regelung, die mehr Probleme schafft als Lösungen: Von nun an dürfen "einfarbig schwarze, schlicht gestaltete, unbedruckte Regenschirme" genutzt werden. Diese Einschränkungen gab es in der jetzt alten Vorschrift für die Begleitung von Damen nicht. Da nahm der Soldat auch mal den blauen Regenschirm mit der Aufschrift "Marine" oder "Luftwaffe" zur Hand. Das ist nun verboten. Werbung in eigener Sache leider unerwünscht. Der Hintergrund der Entscheidung: "Soldaten sind Repräsentanten des Staates und sollen auch ungewollt keine Werbung machen". Dem ist zuzustimmen. Doch die Eigenwerbung – auch in stilechtem Flecktarndesign – sollte ausdrücklich erlaubt werden.

Neue Vorschrift stößt Fans der Bundeswehr vor den Kopf
Denn genau hier greift die neue Vorschrift zu eng und lebensfern. Jedes Unternehmen, jeder Verein würde sich über die aktive Nutzung von Fan-Artikeln freuen. Mit der strikten Regelung zu den Schirmen nimmt sich die Bundeswehr die Möglichkeit, sich ihre Fans als aktive Werbeträger zu eigen zu machen. Auch die Tätowierungsvorschriften und die jetzt bindende Haarkürze verschrecken motivierte Reservisten – eigentlich ausgewiesene Fans der Bundeswehr. Denn viele der Reservisten, die ihre Freizeit für die Bundeswehr opfern,  haben sich bewusst Motive als Tätowierungen stechen lassen, die sie an ihre gute Zeit beim Bund erinnern – wir berichteten. Sie alle fühlen sich nun missverstanden, zurückgesetzt oder ausgegrenzt. Ihre öffentlichen Meinungsbekundungen fallen via Facebook deshalb unmissverständlich aus: "Sollte es wirklich im Sommer wegen sichtbarer Tattoos zu Problemen kommen, werde ich mein Engagement überdenken müssen", schreibt einer von ihnen exemplarisch.

Zoll setzt auf Pragmatismus
Die Bundeswehr hat mit den neuen Regelungen versucht, im 21. Jahrhundert anzukommen. Im Grunde tragen die Vorschriften der Lebenswirklichkeit – vor allem junger Menschen – Rechnung. Tätowierungen und Piercings werden nicht verboten. Nur mit sichtbarem Körperschmuck und ausgefallener Schminke hat die Truppe im täglichen Dienstbetrieb Probleme. Das ist legitim. Jetzt muss die Bundeswehr die Gratwanderung schaffen, ihre berechtigten Interessen und die der jungen Staatsbürger in Uniform unter einen Hut – oder sinnbildlich: unter einen Regenschirm – zu bekommen. Reservisten haben gar weitergehende Interessen, was zum Beispiel ihre Frisuren angeht. Vielleicht schadet ein Blick auf den Zoll nicht. Denn diese halbuniformierte Bundesbehörde hat den Spagat zwischen zivil gekleideten und uniformierten Mitarbeitern intelligent gelöst. Dort "kann das Tragen von Körperschmuck an sichtbaren Körperstellen (insbesondere Arme, Hals und Kopf) zu Einschränkungen bei Ihrer dienstlichen Verwendung führen und ist grundsätzlich nicht erwünscht", so ein Text mit Informationen für Bewerber auf der Zoll-Homepage. Eine bewusst gewählte Kann-Regelung. Eine Sprecherin: "Wir wollen die Leute doch nach ihren Qualifikationen und Fähigkeiten einsetzen und nicht in erster Linie nach ihrem Äußeren." Wer also zu viel Körperbemalung vorzuweisen hat, wird wohl eher im zivil gekleideten Bereich des Zolls eingesetzt – sicherlich ein Vorteil dieser gemischten Bundesbehörde. Dennoch ist dies ein Pragmatismus, wie er der Bundeswehr zumindest gegenüber ihrer Reserve gut zu Gesicht stehen würde, denn die Truppe braucht die Reservisten vor allem als Spezialisten.

Vorschrift mit vorläufigem Verfalldatum
Ausschließen will die Bundeswehr eine Anpassung der neuen Vorschrift nicht. Ganz bewusst ist für die A-2630/1 eine Überprüfung spätestens für den 31. Dezember 2015 vorgesehen. Jeder, der in der Praxis auf Unstimmigkeiten stößt, sollte sich also nicht mit dem Vorgesetzten streiten, sondern seinen Einzelfall mit persönlichen Erfahrungen und Verbesserungsvorschlägen dem Verteidigungsministerium, FüSK II 4, vortragen.

Bild oben: Tätowierung eines Reservisten der Feldjägertruppe.
"Suum Cuique" (lat. Jedem das Seine) ist der Leitspruch
der Militärpolizisten der Bundeswehr (Foto: Marcel Körner).

2. Bild: Barbusige Meerjungfrau – ein häufiges Motiv
bei Marinesoldaten, "dürfte im Normalfall nicht als pornografisch zu
bewerten sein", so das Verteidigungsministerium
(Foto: ohsarahrose, flickr).

3. Bild: Dreitagebart okay, Haare zu lang: Dieser Reservist (rechts)
– hier während der Deutschen Reservistenmeisterschaft 2013 –
wird ab Februar 2014 erst zum Friseur müssen, ehe er Uniform anzieht
(Foto: Ralf Wittern).

4. Bild: Ein solcher Regenschirm ist zur Uniform nicht erlaubt
(Fotoquelle: Juwa Militaria, Army-Supermarket).

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