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„Das war eine schöne Zeit”




Peter Greil posiert auf einem Kampfpanzer vom Typ M47.

Foto: privat/Repro: Alf Clasen

wehrpflicht

Am 1. April 1957 wurden in Deutschland die ersten 10.000 jungen Männer zum Wehrdienst verpflichtet. Zeitzeugen aus Schleswig-Holstein erinnern sich. Ein Gastbeitrag aus den Schleswiger Nachrichten.

Die Augen von Peter Greil beginnen zu leuchten, als er in seinem alten Fotoalbum blättert. „Gucken Sie hier, das da bin ich“, sagt der 77 Jahre alte Neumünsteraner und zeigt auf ein Schwarz-Weiß-Bild, das ihn als jungen Bundeswehrsoldaten vor einem Kampfpanzer vom Typ M47 zeigt. Auf anderen Aufnahmen ist er als Kradfahrer oder im Manöver in der Lüneburger Heide zu sehen. Und auch zahlreiche Fotos von fröhlichen Kompaniefeiern sind in seinem Album archiviert. „Das war eine schöne Zeit“, sagt Greil. Er wird diesen Satz im Laufe des Gesprächs mehrfach wiederholen.

Als am 1. April 1957 die ersten 10 000 Wehrdienstleistenden in die Kasernen einrücken, hat Peter Greil gerade in Itzehoe seine Lehre zum Silberbesteckschmied erfolgreich beendet. „Ich hatte zwar etwas von Bundeswehr gehört, mir aber keine Gedanken darüber gemacht.“ Das sollte sich schnell ändern, denn nur einen Monat später flattert dem damals 17-Jährigen die Aufforderung zur Musterung ins Haus. „Die haben ja damals jeden genommen, egal ob mit Plattfüßen oder krummem Rücken. Aber ich wurde mit Tauglichkeitsgrad 1 gemustert“, erinnert sich Greil stolz.

Etwas mehr als zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die noch junge Bundesrepublik begonnen, eine Armee aufzustellen. Am 12.November 1955 überreichte Verteidigungsminister Theodor Blank den ersten 101 freiwilligen Soldaten ihre Ernennungsurkunde. Es folgte 1956 die Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes, das einen Dienst an der Waffe für Männer zwischen dem 18. und 45. Lebensjahr vorsah. Mit ausschließlich Freiwilligen war die angestrebte Truppenstärke von einer halben Million aktiver Soldaten nicht zu erreichen. Auch sollte die Wehrpflicht verhindern, dass die Armee – wie in der Weimarer Republik – zu einem „Staat im Staate“ wird. Stattdessen sollte der Begriff „Staatsbürger in Uniform“ die enge Verzahnung zwischen Streitkräften und Zivilgesellschaft unterstreichen und zum Leitbild für die Soldaten der Bundeswehr werden. Gleichwohl wurde die Wiederbewaffnung nicht nur von der Sowjetunion, sondern auch von vielen Deutschen argwöhnisch beäugt.

Für den inzwischen 18-jährigen Peter Greil beginnt der Ernst des Lebens im Herbst 1957. „Ich bekam Bescheid, dass ich mich bis zum 15. Oktober, 15 Uhr, in der Grenzlandkaserne in Flensburg melden sollte“, erinnert er sich minutiös an seine Einberufung zur Stabskompanie im Panzerbataillon 13. Der Ton auf dem Kasernenhof ist rau, die Ausbilder haben früher schon im Krieg gedient. Peter Greil, der seine Mutter früh verloren hat, macht die eingeforderte Disziplin nichts aus. „Meine sechs Geschwister und ich waren von meinem Vater streng erzogen worden“, sagt er. Und so berichtet er auch mit einem Augenzwinkern von dem Lied, das er und seine Kameraden immer singen mussten: „Wir lieben blank-, wir lieben blank-, wir lieben blankgeputzte Stiefel“ – eine Hommage an den ersten Verteidigungsminister Theodor Blank. Vor allem aber schwärmt Greil von der „einmaligen Kameradschaft“.

Viele aus Süddeutschland stammende Angehörige seines Bataillons habe er noch Jahre später besucht. Der Zulauf zur jungen Bundeswehr ist gewaltig, nicht nur aufgrund der vielen Wehrpflichtigen. Zigtausende Männer melden sich freiwillig. So wie zum Beispiel Klaus Bartels. „Es war ja damals schwer, einen Arbeitsplatz zu finden“, erinnert sich der heute 80 Jahre alte Schleswiger. Der ausgebildete Kaufmann sucht sein Glück bei der Marine, wo er am 1. April 1957 in Eckernförde seinen Dienst antritt. „Als Lehrling gab es 35 Mark. Als Matrose bekam ich 130 Mark im Monat. Das war was!“ Bartels bleibt bei den „blauen Jungs“, wird als Berufssoldat später Offizier. Eugen Weber, der zu den „weißen Jahrgängen“ zählt, die von der Wehrpflicht befreit sind, meldet sich ebenfalls freiwillig beim Bund. Im Juni 1957 tritt er zur Grundausbildung in Schleswig an. „Ich hatte weder eine Ausbildung noch einen Schulabschluss“, berichtet der 87-jährige Schaalbyer – ein Schicksal, das er mit vielen in seiner durch Krieg und Nachkriegszeit gebeutelten Generation teilt. Weber aber macht als Berufssoldat Karriere. „Ich bin sogar Fachoffizier geworden.“

Der Wind pfiff durch die Fenster

Auch Peter Greil bleibt länger als die damals zwölf Monate dauernde Wehrdienstzeit. Der Job als Kommandeursfahrer gefällt ihm, und natürlich lockt der Freiwilligen-Sold, sodass er sich auf zwei weitere Jahre verpflichtet. Seine Einheit ist inzwischen von Flensburg nach Boostedt umgezogen, wird in Panzerbataillon 183 umbenannt. Die Rantzau-Kaserne in Boostedt befindet sich 1958 noch im Bau. Greil: „Anfangs pfiff der Wind durch die Fenster. Wir mussten sie mit Decken abhängen.“ Der Neumünsteraner hat sechs Jahrzehnte später noch viele Erinnerungen an seine Militärzeit. An die Waffen aus amerikanischer Produktion etwa, mit denen die Bundeswehr in der Gründerzeit ausgestattet war. Auch den Geruch des DKW-Geländewagens hat Greil noch heute in der Nase. „Das war ein feines Auto. Aber das stank vielleicht mit seinem Zweitaktmotor! Zum Glück bin ich mit dem Kommandeur in der Kolonne meistens vorweg gefahren“, sagt er und lacht.

Für viele junge Männer stellte der Wehrdienst indes nicht mehr als eine lästige Pflicht dar. „Gammeldienst“ wird über Generationen hinweg zum Synonym für den Frust in den Kasernen. Der befiel vor allem die vielen Nordrhein-Westfalen, die nach Schleswig-Holstein zum Militär mussten. Im Land zwischen den Meeren war die Bundeswehr während des Kalten Krieges aufgrund der strategischen Lage überproportional stark vertreten. Entsprechend hoch fiel der Bedarf an Soldaten aus. Nicht wenige junge Männer zogen den Zivildienst dem Dienst an der Waffe vor. In der politisch unruhigen Zeit ab 1965 stieg die Zahl der Wehrdienstverweigerer sprunghaft an. Die Dauer des Grundwehrdienstes variierte. Betrug sie anfangs zwölf Monate, mussten die Zwangseinberufenen später 15 und in der Zeit zwischen Juli 1962 und Ende 1972 sogar 18 Monate lang dem Vaterland dienen. Anschließend wurde der Wehrdienst wieder reduziert, vor allem nach dem Ende des Kalten Krieges, als die Truppe einer Schrumpfkur unterzogen wurde. Am Ende mussten die jungen Männer nur noch ein halbes Jahr Uniform tragen. Frauen dürfen zwar nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes seit 2001 Dienst an der Waffe machen, sie blieben jedoch bis zum Schluss von der Wehrpflicht ausgenommen.

Es war mit Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgerechnet ein konservativer Politiker, der die Axt an die Wehrpflicht legte. Auslandseinsätze statt Landesverteidigung – die Anforderungen an die Streitkräfte hatten sich längst verändert, als der damalige Verteidigungsminister 2010 mit seiner Strukturreform den Umbau der Bundeswehr zu einer (kleineren) Freiwilligenarmee einleitete. Nachdem seit April 1957 mehr als acht Millionen Männer zwangsweise eingezogen worden waren, wurde die Wehrpflicht schließlich zum 1. Juli 2011 ausgesetzt, also de facto abgeschafft. Dabei spielte auch die Frage der fehlenden Wehrgerechtigkeit eine Rolle. Von allen gemusterten Männern wurde im Laufe der Zeit nur noch die Hälfte als tauglich eingestuft. Und nur etwa jeder Sechste eines Jahrgangs bekam tatsächlich noch einen Einberufungsbefehl.

Die Truppe ächzte anfangs unter der Reform. Diente das Heer der Wehrpflichtigen in der Vergangenheit auch als Reservoir, aus dem man jederzeit Zeit- und Berufssoldaten rekrutieren konnte, musste die Bundeswehr plötzlich eine sehr viel stärkere Nachwuchswerbung betreiben und mit der Wirtschaft um die besten Köpfe ringen. Etliche Posten blieben unbesetzt – mit nachhaltigen Folgen vor allem für die kleinste Teilstreitkraft, die Marine, die nach wie vor händeringend Spezialisten sucht.

Seit 2011 ist die Bundeswehr von mehr als 200.000 auf derzeit 181.000 Soldaten geschrumpft. Angesichts der US-Forderung nach einem stärkeren Engagement Deutschlands in der Nato ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht jetzt wieder ins Spiel gebracht worden. Zumal Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bereits angekündigt hat, die Truppenstärke bis zum Jahr 2024 auf 198.000 Mann ansteigen zu lassen.

Oberst d.R. Oswin Veith, MdB und Präsident des Reservistenverbandes, sprach sich unlängst dafür aus, eine Diskussion ohne Scheuklappen zu führen. Er plädiert für eine allgemeine Dienstpflicht für Männer wie Frauen, in der man zwischen Wehrund Ersatzdienst wählen kann.

„Die Abschaffung der Wehrpflicht war ein Fehler”

Aber brauchen wir wirklich ein Comeback der Wehrpflicht? Aus dem Verteidigungsministerium kommt eine klare Absage: „Die Wiedereinführung der Wehrpflicht würde der Bundeswehr bei ihrer Suche nach geeignetem Personal nicht helfen. Wir benötigen motiviertes und qualifiziertes Personal, das sich auch länger an die Bundeswehr bindet“, heißt es. Und auch die Politik gibt sich zurückhaltend. „Bei uns in der Union ist die Wehrpflicht kein Thema mehr“, sagt etwa der Ostholsteiner CDU-Bundestagsabgeordnete und Verteidigungsexperte Ingo Gädechens. „Wir brauchen Spezialisten.“ Die Truppe selbst spürt derweil, dass das von Ministerin von der Leyen aufgelegte Attraktivitätsprogramm allmählich greift. „Anfangs hatten wir Schwierigkeiten, aber jetzt sind die Einstellungsquoten erfreulich“, hat Oberst Michael Krah, Kommodore des Taktischen Luftwaffengeschwaders 51 in Jagel, festgestellt. „Die Leute, die wir bekommen, sind alle motiviert und machen einen tollen Job.“ Auch die Reality-Doku „Die Rekruten“, mit der die Bundeswehr auf Youtube um Nachwuchswirbt, zeigt nach Ansicht des Kommodores Wirkung: „Das gucken sogar meine Kinder.“

Peter Greil hingegen hält die Abschaffung der Wehrpflicht für einen großen Fehler. „Wir hätten viele junge Leute von der Straße gekriegt“, glaubt er. Sein eigener großer Fehler sei es gewesen, die Bundeswehr nach drei Jahren verlassen zu haben, weil ihm als Obergefreiten damals vermeintlich die Perspektive fehlte. „Heute könnte ich mir dafür in den Hintern beißen.“ Stattdessen ist Greil Fernfahrer geworden und später angelernter Elektriker. Als Rentner arbeitet er heute noch nebenbei in einer Druckerei. Die Bundeswehr hat ihn jedoch nie ganz losgelassen. Vor zwei Jahren trat er in den Reservistenverband, Kreisgruppe Holstein-Süd, ein. „Ein Bekannter hatte mich gefragt, ob ich nicht mitmachen will.“ Sogar eine Uniform hat sich Peter Greil gekauft. Diese hat der fitte 77-Jährige bei einer Reservisten-Veranstaltung in Appen getragen.

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