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Frank Beha war als freiwillig Wehrdienstleistender im Afghanistan-Einsatz. Nach fünf Jahren in der Bundeswehr entschied er sich, ins Kloster zu gehen. Nun ist die Bibel seine Waffe.

von Marco Seliger

Die zwölf Soldaten stehen unschlüssig an der Pforte von Kloster Beuron. Reisetaschen und Rucksäcke türmen sich zu einem Haufen auf, auf dem der Schatten der jahrhundertealten Klostermauern liegt. Ein Mönch im Habit, der schwarzen Ordenstracht der Benediktiner, öffnet die Eisengittertür und tritt den Soldaten entgegen. An den Füßen trägt er Sandalen und im Gesicht einen rötlichen Vollbart. "Willkommen in unserer Kaserne", sagt er und blickt in irritierte Gesichter. "Ich dachte, dies sei ein Kloster", erwidert ein Soldat. Der Mönch kichert wie ein kleiner Junge. Was für sie die Kaserne sei, sei für ihn das Kloster, erklärt er den Gästen und zieht eine Bibel aus der Tasche. "Ich bin ein Soldat Gottes, und das ist mein Gewehr", sagt er und wedelt mit dem Buch. Die Soldaten schauen betreten drein. Sie wissen nicht, ob sie jetzt lachen sollen. Der Vergleich des Klosterlebens mit dem Militär wirkt unerwartet und befremdlich. "Darf ich mich vorstellen", sagt ihr Gegenüber schließlich fröhlich. "Stabsgefreiter der Reserve Frank Beha, hier Bruder Longinus Beha genannt!" Die Gesichter entspannen sich. "Hallo, Kamerad!", sagt ein Soldat. "Wer hätte das gedacht!" Bruder Longinus lächelt. Er hat sichtlich Spaß an seiner Rolle.

Kindheit in der Einsamkeit
Tief im Schwarzwald zwischen Villingen und St. Georgen verlebte Frank Beha eine Kindheit in der Einsamkeit eines abgeschiedenen Bauernhofs. Kindergarten, Schule und Lehrbetrieb waren weit entfernt im nächsten Ort, bis auf seine ältere Schwester gab es niemanden, mit dem er spielen konnte. Das Alleinsein prägte ihn, er ist gern allein und mag die Stille und die Klänge der Natur. Ein Kind vom Land, dem die Hektik und der Lärm einer Stadt schnell zu viel werden. Der sonntägliche Kirchgang war in seiner tief katholischen Heimat Tradition, doch Frank ging nur hin, weil es so üblich war, ohne groß darüber nachzudenken. Für den Religionsunterricht und alles, was dazugehörte, konnte er sich nicht begeistern. In seiner Erinnerung waren Taufe, Kommunion und Firmung zwar schöne Familienfeste, mehr aber auch nicht. Er besuchte die Grundschule Unterkirnach, und weil alles Weiterführende viel zu umständlich gewesen wäre, machte er dort auch seinen Hauptschulabschluss. Im Winter fuhr ihn sein Vater mit dem Auto zur Schule, im Sommer legte er die sechs Kilometer mit dem Fahrrad zurück. Als er zehn Jahre alt war, verließ die Mutter die Familie für einen anderen Mann. Seitdem ist Franks Verhältnis zu ihr gestört. Mit 16 bekam er einen Motorroller geschenkt und begann in Villingen eine Ausbildung zum Elektroinstallateur.

Die Erzabtei Beuron liegt in einem von schroff aufragenden Kalkfelsen umrandeten Talkessel in der Mitte des Durchbruchs der jungen Donau durch den südwestlichen Ausläufer des Schwäbischen Jura. Den Fluss umsäumen große Buchen- und Tannenwälder, das Tal jedoch wird vom 1097 gegründeten Kloster dominiert. Beuron zählt zu den ältesten Augustiner-Chorherrenstiften Deutschlands. Heute leben hinter den ehrwürdigen Mauern noch 50 Benediktinermönche, die jedoch selten allein sind im Kloster. Jährlich kommen etwa 8.000 Besucher zu Exerzitien und Gastaufenthalten nach Beuron. Auch die zwölf Soldaten gehören dazu. Eine Woche lang werden sie nicht schießen und marschieren, sondern über Gott und die Welt reden und beten – eine Auszeit vom Militäralltag.

Drill, Uniform, Gemeinschaftsgefühl
Für Frank Beha stand früh fest, dass er Wehrdienst leisten wollte. Sein Vater war bei der Bundeswehr, sein Onkel auch. Ihre Schilderungen des Dienstes hörten sich für ihn amüsant und abenteuerlich an. Nach seiner Ausbildung zum Elektroninstallateur wurde er im Mai 2000 zur Artillerie nach Immendingen eingezogen. Die Grundausbildung gefiel ihm gut, er schätzte die Kameradschaft, den Zusammenhalt unter den Rekruten, vor allem aber den Umstand, sich viel an der frischen Luft bewegen zu können. "Man läuft im Freien herum, macht Spaziergänge unter verschärften Bedingungen, spielt Räuber und Gendarm." Seine Beschreibung des Dienstes, die er in seinem vor fünf Jahren erschienen Buch "Ab morgen Mönch" (Herder-Verlag) niedergeschrieben hat, klingt ein wenig naiv. Aber die Zeit, in der aus dem "Riesenspaß", wie er das nannte, für viele Bundeswehr-Soldaten blutiger Ernst werden sollte, war in jenem Grundausbildungsjahr auch noch nicht gekommen. Frank Beha verpflichtete sich als "freiwillig Längerdienender" für 23 Monate und wurde zu den Feldjägern nach Stetten am kalten Markt, später zu den Jägern nach Donaueschingen versetzt. Er fühlte sich wohl bei der Bundeswehr, "weil es sich um eine klar strukturierte Organisation handelt". Das kommt seinem Wesen sehr entgegen. Mit Hierarchien hat er keine Probleme, für ihn ist es in Ordnung, nicht lange nachdenken zu müssen, wenn ihm etwas gesagt wird. "Das macht das Leben leichter", sagt er. Seines jedenfalls. In der Bundeswehr fand er Halt unter Gleichgesinnten und dennoch den Freiraum, den er als Einzelgänger seit frühester Kindheit sucht. Drill, Uniform, Gemeinschaftsgefühl – das alles sollte er später auch im Kloster finden.

Bruder Longinus Beha schreitet vom Erdgeschoss des Klosters die Treppe in die erste Etage des Gästeflügels hinauf, im Schlepptau die zwölf Soldaten mit ihren Reisetaschen und Rucksäcken. Im Büro von Gästepater Sebastian empfangen sie die Schlüssel für ihre Zimmer, einfache, karg möblierte Räume im dritten Stock des Klosters, wie in der Kaserne mit Etagendusche und Toilette auf dem Gang. Exerzitien, abgeleitet vom lateinischen Wort für "üben", sind Tage der Besinnung, die den Soldaten von der katholischen Militärseelsorge angeboten werden. Als Longinus Beha noch Frank Beha hieß, war er auch in Exerzitien. In Beuron heißt das, an mindestens zwei Gottesdiensten täglich teilzunehmen: am Hochamt um Viertel nach elf und an der Vesper um 18 Uhr. Schon damals taten ihm die Ruhe, Gelassenheit und Disziplin des Klosters gut. "Ich hoffe, Sie können das auch so empfinden", sagt er an die Soldaten gewandt.

Aus Langeweile zum Militärgottesdienst gegangen
Die Benediktiner sind der älteste Orden des westlichen Ordenslebens. Sie haben sich den drei Grundsätzen "bete und arbeite und lies" verschrieben, entsagen dem weltlichen und materiellen Dasein und verbringen ihr Leben in sexueller Enthaltsamkeit. Ihr Gelübde stützt sich unter anderem auf dem Gehorsam gegenüber Gott und den Klosteroberen. Als Frank Beha erstmals die Pforte des Benediktinerklosters Beuron durchschritt, war er gerade von einem sechsmonatigen Auslandseinsatz aus Mazedonien zurück. Auch zu diesem Zeitpunkt interessierte er sich noch immer nicht wirklich für Religion. Er stellte sich andere Fragen. Etwa die, wie er die restliche Dienstzeit in der Bundeswehr rumkriegen sollte. Nach dem Einsatz in Tetovo konnte er mit dem drögen Standortdienst nichts mehr anfangen. "Aus lauter Langeweile bin ich zum Militärgottesdienst gegangen", erinnert er sich, das sei immer noch besser gewesen, als langweilige Arbeit zu erledigen. Doch bald stellte er fest, dass der Gottesdienst für ihn mehr ist, als nur die Zeit totzuschlagen. Er war begeistert davon, wie Pfarrer Uwe Schrempp "das Ganze aufzog". Stil und Persönlichkeit des Militärgeistlichen gefielen ihm. Frank Beha wurde zum regelmäßigen Gottesdienstbesucher. Seine Ansichten über den christlichen Glauben änderten sich, er begeisterte sich zunehmend für religiöse Inhalte. Dann gab ihm der Pfarrer den Tipp mit den Exerzitien. Frank Beha sah es, wie so oft in seinem Leben, vor allem von der praktischen Seite: Für fünf Tage geistliche Übungen gibt es fünf Tage Sonderurlaub vom langweiligen Dienst. Im Frühjahr 2003 reiste er nach Beuron.

Es ist die Stille des Morgens, die Bruder Longinus Beha so liebt. Er sitzt im Chorraum der prachtvollen, dem heiligen Martin geweihten Kirche von Beuron, zu hören ist nur der Atem seiner Mitbrüder und das Rascheln, wenn sie die Seiten ihres Psalters umblättern, des Buches der Psalmen und Wechselgesänge, das jeder Mönch bei sich trägt. Es ist kurz nach fünf Uhr, die Sonne geht gerade auf und taucht das Innere der Kirche in ein goldgelbes Licht. Die ersten Sonnenstrahlen tänzeln zwischen den Holzbänken und über den Steinfußboden, da heben die 30 Mönche an zu ihrem Gesang. Die paar Soldaten, die zu dieser frühen Stunde der Morgenhore, des ersten der sechs gemeinsamen Gebete, erschienen sind, kennen ihn etwa aus dem Film "Der Name der Rose". Die Mönche beten die Psalmen in Form eines gregorianischen Gesangs, der durch die Akustik der Kirche so verstärkt wird, dass auch regelmäßige Besucher noch immer eine Gänsehaut bekommen. Die gemeinsamen Gebete geben dem Tag im Kloster eine Struktur. Für die Mönche sind sie Pflicht, selbst für diejenigen, die krank und bettlägerig sind. Morgenhore und Abendgebet werden über Lautsprecher zur Krankenstation übertragen. Seitdem Frank Beha im Kloster lebt, hat er erst einmal das Frühgebet verpasst. Er hatte seinen Wecker nicht gestellt und verschlafen. "Wenn man alle halben Jahre mal zu spät kommt, dann wird schon einmal ein Auge zugedrückt", sagt er und kichert wieder wie ein kleiner Junge. Die Soldaten lächeln noch etwas müde, als er ihnen davon auf dem Weg von der Kirche zum Gästespeisesaal berichtet. Um 4.30 Uhr aufzustehen ist auch für Soldaten ungewohnt.

30-Kilometer-Marsch markiert Wendepunkt im Leben
Wenn Frank Beha davon spricht, wie ihn der Ruf ins Kloster ereilte, berichtet er immer wieder von einer Begebenheit aus dem Jahr 2003. An einem heißen Sommertag stand der Stabsgefreite am Startpunkt eines 30-Kilometer-Marsches, der ihn rund um die Ortschaft Hilzingen in der Nähe des Bodensees führen sollte. Der Gewaltmarsch war Teil des jährlich abzulegenden militärischen Sportabzeichens. Beha hatte sich zum Ziel gesetzt, in weniger als drei Stunden als einer der Ersten seiner Kompanie wieder zurück zu sein. Doch der Kurs war anspruchsvoll, es ging auf und ab. Nach der Hälfte der Strecke hatte er seine Feldflasche mit Wasser geleert, er fühlte sich erschöpft. Auf einer Bank vor einem steilen Anstieg legte er eine Rast ein. Er lag noch gut in der vorgegebenen Zeit für das Sportabzeichen, doch sein selbst gestecktes Ziel, unter drei Stunden zu bleiben, war in weite Ferne gerückt. Da schoss ihm "aus heiterem Himmel" ein Gedanke durch den Kopf, den er noch heute als verrückt bezeichnet: "Wenn ich es doch noch schaffe, diesen Marsch in weniger als drei Stunden hinter mich zu bringen, gehe ich ins Kloster!" Er stand auf, lief los – und erreichte Hilzingen in einer Zeit deutlich unter drei Stunden. Für ihn stand fest: "Gott hat mir geholfen."

Nach dem Frühstück führt Bruder Longinus Beha die zwölf Soldaten durch das Kloster. "Kommen wir zu unserem Rahmendienstplan", sagt er gut gelaunt, und die Gäste lachen. Sie sind seine Vergleiche des klösterlichen Lebens mit dem Militärdienst nun schon gewohnt. Die Parallelen zwischen Kaserne und Kloster sind allerdings auch verblüffend für sie: Der Kommandeur ist der Erzabt, der Klosterchef, dem die Mönche zu absolutem Gehorsam verpflichtet sind. Beim stellvertretenden Kommandeur handelt es sich im Kloster um den Prior, und beim Versorgungsunteroffizier, dem VU, um den Cellerar. Den Magister im Kloster vergleicht Bruder Longinus mit dem Drillinstruktor, die Infirmerie (Krankenstation) im Kloster mit dem Sanitätsbereich in der Kaserne und die Klosterbibliothek mit der Waffenkammer. "Die Ordensgemeinschaft der Benediktiner und die Bundeswehr sind zwei Armeen mit ähnlichen Strukturen, aber völlig unterschiedlicher Bewaffnung", erklärt Bruder Longinus den Soldaten. Das Gewehr sei eine tödliche, das Buch eine geistige Waffe. Frank Beha kann beide bedienen. Doch seit er ins Kloster eingetreten ist, kreist sein Leben vor allem um die Eucharistiefeier, die heilige Messe. "Nihil amori Christi praeponere", der Liebe Christi ist nichts vorzuziehen, heißt es in der Bibel. Der Rest ist Erinnerung.

In Donaueschingen wurde aus dem freiwillig Wehrdienstleistenden Frank Beha ein "SAZ 4". Später hing er noch ein weiteres Dienstjahr dran. Weil er einen Führerschein für das Transportfahrzeug "Mungo" hatte, wurde er in eine Kompanie versetzt, die im Oktober 2004 in Kabul stationiert werden sollte. Frank Beha wusste, dass dieser Einsatz etwas ganz anderes sein würde als der in Mazedonien. "Das könnte riskant werden", erklärte er seinem Vater. Doch er befürwortet noch heute Militärmissionen wie die in Afghanistan zur Stabilisierung eines Landes, er hält sie trotz des Gewalteinsatzes mit dem christlichen Friedensgebot und dem Gebot "Du sollst nicht töten" für vereinbar. "Ich bin realistisch genug, um zu wissen, dass nicht alle Konflikte ohne Waffen zu lösen sind", sagt er.

Er redete mit Dorfgeistlichen über Gott und den Glauben
Frank Beha hatte Glück. Während seiner fünfmonatigen Einsatzzeit in Afghanistan musste er nicht einmal seine Waffe benutzen. Er verbindet mit dem Land am Hindukusch vor allem die Freundlichkeit der Einheimischen. Sein kräftiger roter Vollbart verschaffte ihm ein besonderes Ansehen bei den Menschen. Ein roter Bart gilt in Afghanistan als Zeichen von Frömmigkeit. Auf Patrouillen wandten sich die Einheimischen häufig zunächst an ihn, manche hätten ihn gar gefragt, ob er in Deutschland ein religiöser Führer sei, erinnert er sich. Er redete mit Dorfgeistlichen über Gott und den Glauben und merkte, wie es ihm behagte, wenn sein Gegenüber anerkannte, dass er weiß, wovon er redet. Mit dem Ende des Afghanistan-Einsatzes stand für ihn fest, dass er sein Gelübde aus dem Sommer 2003 erfüllen wollte. Er hatte sich für das Kloster entschieden.

Es ist Mittag geworden in Beuron. Die Messe, das Hochamt des Tages, ist gerade vorüber. Die Mönche stehen von ihren Holzbänken links und rechts des Altars auf, formieren sich in Zweierreihen nebeneinander und ziehen durch eine zweiflüglige schwere Holztür aus der Kirche aus. Sie nehmen das Klaustrum, rechts befindet sich der Kreuzgarten, der Innenhof, und biegen nach links ab durch ein Tor, das in den Kapitelsaal führt. "Wir sehen uns nach dem Mittagessen", raunt Bruder Longinus Beha einem der Soldaten zu. Einige Mönche runzeln die Stirn, sie fühlen sich in ihrer Ruhe gestört. Im Kapitelsaal nehmen sie auf dem Chorgestühl Platz, dessen Sitze durch schmale Holzwände voneinander getrennt sind. Die Zeit der Mittagshore beginnt, die Mönche versinken im gemeinsamen Gebet. "Gott findet man in der Ruhe und nicht im hektischen Betrieb", sagt Bruder Longinus nach dem Mittagessen auf dem Weg zur Elektrowerkstatt. Es klingt beinahe ein wenig entschuldigend.

Gemeinsamkeit und Gehorsam sind wichtiger als berufliche Verwirklichung
Bruder Longinus ist seit einigen Jahren der Klosterelektriker. Wie früher in der Ausbildung trägt er auch heute bei der Arbeit einen Blaumann, damit der Habit nicht schmutzig wird. Es gibt einige Handwerker unter den Mönchen, doch ist es nicht zwingend, dass sie im Kloster auch ihrem Beruf nachgehen. Gemeinsamkeit und Gehorsam sind wichtiger als berufliche Verwirklichung, selbst wenn dies dem Kloster Kosten sparen würde. Eine Benediktinerregel besagt: "Sind Handwerker im Kloster, können sie in aller Demut ihre Tätigkeit ausüben, wenn der Abt es erlaubt. Wird aber einer von ihnen überheblich, weil er sich auf sein berufliches Können etwas einbildet, werde ihm seine Arbeit genommen." Für Bruder Longinus ist das kein Problem. "Ich habe Regeln und Gebote immer geachtet, ob im Elternhaus, in der Schule, bei der Bundeswehr oder jetzt im Kloster", sagt er. Ohne Regeln gingen Ordnung und Achtung vor den Mitmenschen verloren. "Wenn es egal ist, ob ich stehle, betrüge oder gewalttätig bin, dann muss ich mich auch nicht wundern, wenn eine Gesellschaft, die so denkt und handelt, zerfällt." Die Soldaten nicken und fragen nach seinen Erinnerungen an die Militärzeit. Bruder Longinus öffnet die Tür zu seiner Werkstatt, geht vorbei an Werkbänken und Regalen, auf denen sich alte Telefone, Radios, Lampen, Leuchten und Maschinen stapeln, stapft eine Holztreppe hinauf und betritt ein Zimmer. An einer Wand steht ein Schrank. Die Soldaten treten näher, Bruder Longinus öffnet die Tür. "Eine Uniform", sagt ein Soldat überrascht. "Ja", erwidert der Mönch. "Sie gehört mir. Ich denke gern an meine Bundeswehrzeit zurück." Das Geld, das er damals vom Einsatz in Afghanistan übrig behalten hatte, sepndete er dem Kloster.

Wenige Tage nach seiner Rückkehr aus Afghanistan im Frühjahr 2005 bot das Kloster Beuron erneut Soldatenexerzitien an. Frank Beha nutzte die Gelegenheit und erzählte Pater Tutilo, dem damaligen Magister und heutigen Erzabt, von seiner Absicht, ins Kloster einzutreten. Der Pater riet ihm, erst dann wiederzukommen, wenn er sich seines Wunsches absolut sicher sei. Im Mai 2005 endete nach fünf Jahren die Bundeswehrzeit von Frank Beha. Er war 25 Jahre alt und kannte nur noch ein Ziel: das Kloster. Im September fuhr er erstmals für einen ganzen Monat nach Beuron und lebte probehalber in der Klausur mit, dem abgegrenzten, nicht öffentlichen und nur den Mönchen vorbehaltenen Bereich des Klosters. Er war komplett in den Alltag der Brüder und Patres eingebunden, betete und aß mit ihnen. Warum er unbedingt im Kloster leben wolle, wurde er von den Mönchen gefragt. Er antwortete: "Ins Kloster gehen bedeutet für mich das Zurücklassen von Bindungen und Einflüssen, um zu mir selbst zu finden. Das Suchen fernab vom Trubel der Welt öffnet mich für die Welt und für Gott." Für Außenstehende mag das nicht vollständig nachvollziehbar sein, sagt er. Für ihn ist es indes nur ein logischer Schritt: Seit seiner Kindheit war er ein Einzelgänger. Jetzt sollte sich der Kreis seines Lebens schließen.

Er zog das Sakko aus und streifte symbolisch den alten Menschen ab
Im November 2005 erfüllte sich sein Wunsch. Er zog ins Kloster, zunächst für das sechsmonatige Postulat, eine Art Probezeit. Frank Beha war bereits vollständig in das Klosterleben integriert, trug aber noch seinen bürgerlichen Namen und Zivilkleidung. Wie bei einer Heirat gilt: Drum prüfe, wer sich ewig bindet. Der Eintritt in den Benediktinerorden ist eine Entscheidung fürs Leben. Doch Frank Beha hatte sich entschieden. Die "Hochzeit" fand im Frühjahr 2006 im Kapitelsaal des Klosters statt, Gäste waren seine künftigen Mitbrüder. Frank Beha trug ein Sakko, an dessen Revers er seine Bundeswehrauszeichnungen für die Einsätze in Mazedonien und Afghanistan geheftet hatte. Er wusste, was während der Prozedur auf ihn zukommt. Als es dann soweit war, empfand er sie dennoch als "komisch". Zunächst wusch ihm der Erzabt einen Fuß, dann ging das ganze Konvent an ihm vorbei, kniete nieder und küsste den gewaschenen Fuß als Zeichen der Zuwendung. Auch die älteren Brüder, die sich kaum noch bücken konnten und vor Anstrengung ächzten, mussten das tun. Danach zog Frank Beha das Sakko aus und streifte symbolisch den alten Menschen ab. Mit dem Moment, in dem ihm der Erzabt den Habit überwarf, war aus ihm Bruder Longinus geworden, benannt nach dem römischen Centurio, der nach Jesu Tod dem Gekreuzigten die Seite mit der Lanze öffnete und später als Märtyrer starb.

"Gegen die menschliche Liebe bin auch ich nicht immun"
Frank Beha, Stabsgefreiter der Reserve, lebt jetzt seit acht Jahren als Bruder Longinus Beha im Kloster Beuron. "Haben Sie Ihre Entscheidung jemals bereut?", fragt ihn einer der Soldaten. Die Vesper ist vorüber, das Abendessen wartet. Bruder Longinus spricht von der Angst vor der Einsamkeit, der Angst, auf der Straße zu stehen und nicht zu wissen, was man mit seinem Leben anfangen soll, und von der Geborgenheit, die er in der Gemeinschaft seiner Mitbrüder findet. Er redet auch von Zweifeln am Leben hinter Klostermauern und davon, ob es "draußen" nicht doch besser wäre. Doch er verspüre keine Gier mehr nach dem weltlichen Leben und habe auch nicht mehr das Gefühl, "draußen" etwas zu verpassen. Die Soldaten stehen wieder vor der Klosterpforte, Reisetaschen und Rucksäcke türmen sich zu einem Haufen. Sie verabschieden sich von Bruder Longinus, ihre Exerzitien sind zu Ende. "Was wäre, wenn du eine Frau treffen würdest", fragt ein Soldat zum Abschied. Bruder Longinus muss nicht lange nachdenken. "Die einzige konkrete Situation, in der ich mir vorstellen könnte, das Kloster zu verlassen, wäre, eine Frau kennenzulernen. Gegen die menschliche Liebe bin auch ich nicht immun", sagt er. Diesmal kichert er nicht.

Bild oben:
Frank Beha, Stabsgefreiter der Reserve, lebt jetzt seit
acht Jahren als Bruder Longinus Beha im Kloster Beuron.
(Foto: Jonas Ratermann für loyal)

Zweites Bild:
Die Erzabtei Beuron liegt in einem von schroff aufragenden
Kalkfelsen umrandeten Talkessel in der Mitte des Durchbruchs
der jungen Donau durch den südwestlichen Ausläufer des
Schwäbischen Jura. (Foto: Jonas Ratermann für loyal)

Drittes Bild:
Die Benediktiner sind der älteste Orden des westlichen Ordenslebens.
Sie haben sich den drei Grundsätzen "bete und arbeite und lies"
verschrieben, entsagen dem weltlichen und materiellen Dasein und
verbringen ihr Leben in sexueller Enthaltsamkeit.
(Foto: Jonas Ratermann für loyal)

Viertes Bild:
Frank Beha im Oratorium, einem kleinen Gebetsraum, der, anders als
die Kirche, beheizt werden kann. Im Winter findet deshalb dort die tägliche
Morgenhore statt. (Foto: Jonas Ratermann für loyal)

Fünftes Bild:
Bruder longinus Beha betrachtet die Andenken an seine Dienstzeit.
(Foto: Jonas Ratermann für loyal)

Sechstes Bild:
Messe in der Kirche des Klosters Beuron.
(Foto: Jonas Ratermann für loyal)

Bild unten:
Bruder Longinus Beha ist Stabsgefreiter der Reserve.
In seinem Schrank hängt noch immer seine alte Uniform.
(Foto: Jonas Ratermann für loyal)

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