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Die körperliche Belastungsfähigkeit junger Soldaten ist signifikant gesunken. Das Heer reagiert darauf mit mehr Sport in der Grundausbildung. Und: Wer nicht mehr mithalten kann, darf nun aufhören.

von Marco Seliger

Anfang des Jahres ging im Verteidigungsministerium ein anonymes Schreiben ein. In der Spezialausbildungskompanie 209 in Pfullendorf, berichtete der Verfasser, habe ein Instrukteur die Soldaten bei einem Geländelauf so lange angetrieben, bis sechs von ihnen erschöpft aufgegeben hätten und ein Soldat bewusstlos zusammengebrochen sei. Medien berichteten daraufhin von "Gewaltmarsch" und "Drill" in der "skandalumwitterten Kaserne" und zogen Parallelen zum "Fall Munster". Dort waren im Juli vorigen Jahres mehrere Offiziersanwärter während eines Eingewöhnungsmarsches in Ohnmacht gefallen und mit Symptomen eines Hitzschlags ins Krankenhaus eingeliefert worden. Einer von ihnen starb wenig später an multiplem Organversagen.

Drei Tage nachdem das Schreiben in Berlin eingegangen war, schickte das Heer ein Team nach Pfullendorf, um den Vorwürfen nachzugehen. Die Ergebnisse des Untersuchungsberichts wurden dem Verteidigungsausschuss vorgelegt. Sie stehen symbolhaft für die Schwierigkeiten, mit denen die Bundeswehr heute bei der Ausbildung konfrontiert ist. Danach standen die 36 Soldaten, die den Lauf begonnen hatten, am Anfang des dreijährigen "Lehrgangs für Kommandofeldwebelanwärter und Fallschirmjägerfeldwebel". Kommandofeldwebelanwärter sind Soldaten, die am Ende ihrer Ausbildung die einwöchige Aufnahmeprüfung beim Kommando Spezialkräfte (KSK) ablegen wollen.

Die körperlich extrem fordernde Eignungsfeststellung bei der Elitetruppe beinhaltet unter anderem eine Marschleistung von bis zu 170 Kilometer mit Waffe und etwa 30 Kilogramm Gepäck. Wer nicht den unbedingten Willen mitbringt, diese Strapazen durchzuhalten, scheitert. Dennoch, so das Fazit des Untersuchungsteams, sei ein 15-Kilometer-Lauf in Sportanzug und Turnschuhen innerhalb einer Zeit von 90 Minuten in einem so frühen Stadium der Ausbildung nicht angemessen gewesen. Einige der Soldaten kamen gerade aus dem Zivilleben, andere hatten schon in anderen Einheiten der Bundeswehr gedient. Den unterschiedlichen Leistungsständen der einzelnen Soldaten, so das Untersuchungsteam, hätte stärker Rechnung getragen werden müssen.

Studie: Ausdauer junger Menschen im Vergleich mit ihren Eltern sinkt weltweit
Der Vorfall in Pfullendorf wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf ein Problem, mit dem die Bundeswehr zunehmend zu tun hat. Die durchschnittliche körperliche Belastbarkeit junger Berufseinsteiger ist im Vergleich zu früheren Jahren signifikant gesunken. Eine Studie der Universität Adelaide (Australien) vor fünf Jahren ergab, dass seit Jahrzehnten die Ausdauer junger Menschen im Vergleich mit ihren Eltern weltweit sinkt. Diese Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen von Bundeswehrausbildern. Sie berichten von einer wachsenden Diskrepanz zwischen den dienstlichen Anforderungen an die Fitness und der tatsächlichen Leistungsfähigkeit junger Soldaten. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat daraus schon vor vier Jahren ihre Schlüsse gezogen. Sie erklärte, nicht jeder Soldat, gleich welche Aufgabe er in der Bundeswehr ausfülle, müsse tatsächlich einen langen Marsch mit schwerem Gepäck bewältigen können.

Das Deutsche Heer hat nun auf die körperlich bedingten Zusammenbrüche von Soldaten und das zunehmende Fitnessproblem der Truppe reagiert. Vor Kurzem gab das Ausbildungskommando in Leipzig eine Anweisung heraus, die Ausbildern vorschreibt, körperlich hartes Training künftig sofort zu stoppen, wenn ein Soldat zu verstehen gibt, dass er nicht mehr weitermachen könne. Dies, so schreibt Kommandochef Norbert Wagner, gelte selbst dann, wenn der Einzelne sich durchbeißen wolle und das klar zum Ausdruck bringe. Die individuelle Unversehrtheit der Soldaten müsse absolute Priorität haben, erklärte Wagner und machte deutlich, was diejenigen erwartet, die sich nicht an seine Weisung halten. Wenn Soldaten zusammenbrächen und körperliche Schäden erlitten, kündigt er an, würden gegen die verantwortlichen Ausbilder in jedem Fall straf- und disziplinarrechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung aufgenommen.

Soldat verschwieg krankheitsbedingte Schwächung
Doch dass Versäumnisse nicht immer eindeutig den Ausbildern zuzuordnen sind, zeigt der Fall in Pfullendorf. Dort hatte der Ausbilder die Lehrgangsteilnehmer vor dem 15-Kilometer-Lauf befragt, ob sie sich fit fühlten. Das müssen Instrukteure inzwischen vor jedem Unterricht tun. Es stellte sich jedoch heraus, dass einer der Soldaten krankheitsbedingt geschwächt war, dies jedoch nicht angegeben hatte. Er ist nach 20 Minuten und einer Strecke von etwa drei Kilometern zusammengebrochen.

Eine Folge der Anweisung Wagners besteht nach Aussagen von Ausbildern darin, dass sich künftig keiner von ihnen mehr trauen werde, einem Soldaten zu widersprechen, der angibt, erschöpft zu sein, selbst wenn dieser offensichtlich simuliere. Norbert Wagner sieht dieses Problem durchaus. Die Instrukteure, schreibt der Chef des Ausbildungskommandos, müssten "an die Eigeninitiative und den Leistungswillen der Soldaten" appellieren, um das Vortäuschen von Erkrankungen oder Schwächeanfällen zu unterbinden. Die Trainingsteilnehmer seien darauf hinzuweisen, dass sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssten, um die geforderten Laufbahnziele zu erfüllen.

Sinkende Belastbarkeit ein zentrales Problem der Nato
Doch diese "Voraussetzungen" werden stetig dem sinkenden Belastungsniveau der Soldaten angepasst. Um ihren Personalbedarf zu decken, stellt die Bundeswehr inzwischen Bewerber für die Laufbahnen der Zeit- und Berufssoldaten ein, die sie früher wegen mangelnder körperlicher oder gesundheitlicher Eignung abgelehnt hätte. Schon vor fünf Jahren zitierte die "Wehrmedizinische Monatszeitschrift" aus einem Untersuchungsbericht der Nato, wonach es in allen westlichen Armeen in wachsendem Umfang zu Erschöpfungssyndromen und Erkrankungen durch Übergewichtigkeit komme. Sinkende Leistungsfähigkeit und geringere Belastbarkeit von Soldaten entwickelten sich zu einem zentralen Problem in allen Streitkräften der Allianz, heißt es in dem Beitrag einer Gruppe von Ärzten des Bundeswehrkrankenhauses Koblenz. Die Mediziner kamen zu dem Schluss, dass ein beträchtlicher Anteil der deutschen Rekruten "offensichtlich elementaren militärischen Anforderungen nicht gewachsen" sei.


Deshalb hat die Bundeswehr vor einigen Jahren die Anforderungen beim Sporttest, den jeder Bewerber absolvieren muss, reduziert. Den 11×10-Meter-Pendellauf bestehen Interessenten schon, wenn sie dafür nicht mehr als 60 Sekunden benötigen. Danach folgt ein Klimmhang für mindestens fünf Sekunden. Für den abschließenden Fahrradergometer-Test haben die Kandidaten dann sechseinhalb Minuten Zeit für eine Strecke von 3.000 Meter. Diese Anforderungen sind selbst für unsportliche Bewerber zu schaffen. Die Folge ist, dass immer mehr Übergewichtige eingestellt werden. Er tue sich inzwischen schwer, in seinen Ausbildungsgruppen Soldaten zu finden, die körperlich in der Lage seien, das Maschinengewehr zu schleppen, berichtet der Ausbilder einer Fernmeldeeinheit. Dennoch, sagt er, seien sie angehalten, keinen Soldaten aufgrund mangelhafter körperlicher Leistungsfähigkeit durchfallen zu lassen.

Erst Sport, dann "grüne Ausbildung"
Nach den Vorstellungen von Verteidigungsministerin von der Leyen soll die Bundeswehr bis 2024 von heute 180.000 auf 200.000 Soldaten anwachsen. Wer einmal dabei ist, soll möglichst auch dabeibleiben. Das Heer will die Rekruten deshalb künftig zunächst körperlich fit machen, bevor die Gefechtsausbildung ("grüne Ausbildung") beginnt. In einem Pilotprojekt in Hagenow wird demnächst eine neu strukturierte Grundausbildung erprobt. Danach steht in den ersten sechs Wochen vor allem Sport auf dem Dienstplan. Die Soldaten werden in verschiedene Leistungsgruppen eingeteilt und unter Anleitung von Sportlehrern an die körperlichen Anforderungen der Gefechtsausbildung herangeführt. Bisher ist der Sport nur ein Teil der dreimonatigen Grundausbildung, bei der vor allem die Vermittlung soldatischer Rechte und Pflichten, der Formaldienst und die Waffenausbildung im Mittelpunkt stehen. An der Dauer der Grundausbildung soll sich trotz des Sportschwerpunkts in den ersten sechs Wochen nichts ändern.

Allerdings wird auch ein verstärktes Fitnesstraining zu Beginn der Dienstzeit ein Kernproblem der Bundeswehr nicht lösen. Bei dem Vorfall Anfang Januar in Pfullendorf hat sich gezeigt, dass junge Menschen manchmal mit falschen Vorstellungen zum Militär kommen. Zwei Soldaten hatten den Lauf nach wenigen Kilometern erschöpft abbrechen müssen. Den Angaben eines Heeressprechers zufolge hätten sie nach der Rückkehr in die Kaserne den Dienst quittiert und erklärt, mit so hohen körperlichen Anforderungen nicht gerechnet zu haben. Ein Ausbilder aus Pfullendorf kritisiert in diesem Zusammenhang die Beratung in den Karrierecentern der Bundeswehr, den früheren Kreiswehrersatzämtern. Er wirft den Mitarbeitern dort vor, die Bewerber nicht korrekt zu informieren. Wer Kommando-feldwebelanwärter oder Fallschirmjägerfeldwebel werden wolle, müsse wissen, dass ihn eine körperlich sehr fordernde Ausbildung erwartet.

Der während des Geländelaufs ohnmächtig zusammengebrochene Soldat hat den Lehrgang inzwischen fortgesetzt. Für seinen Ausbilder ging es nicht so glimpflich ab. Er wurde in eine andere Einheit versetzt, weil der Verdacht besteht, dass der Lauf als "Selektionslauf" angelegt und zumindest die Überforderung einiger Rekruten beabsichtigt gewesen sein könnte. Tatsächlich zeigt die fordernde Ausbildung in Pfullendorf aber Wirkung. Etwa die Hälfte der dort ausgebildeten Kommandofeldwebelanwärter besteht das Eignungsfeststellungsverfahren beim KSK.


Bild oben:
Rekrutenbesichtigung.
(Foto: Bundeswehr/Wilke via flickr.com)

Bild unten:
Dran, drauf, drüber!
(Foto: Bundeswehr/Modes via flickr.com)

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