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„Gemeinsinn ist eine Daueraufgabe“




Ein FSJ'ler bei der Betreuung während eines Feriencamps. Freiwilligendienste könnten mit gewissen systematischen Anreizen noch attraktiver gestaltet werden.

(Foto: Diakonie/Kathrin Harms)

Grundausbildung bei der Bundeswehr.

(Foto: Bundeswehr/Marco Dorow)

Dienstpflichtgesellschaftsdienst

Kann eine Dienstpflicht die Gesellschaft resilienter machen? Das hat die loyal-Redaktion Professor Dr. Johannes Varwick gefragt. Der Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik spricht im Interview über den Sinn eines allgemeinen Gesellschaftsdienstes.

Herr Professor Dr. Varwick, derzeit sind circa 5.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr als helfende Hände im Einsatz gegen das Coronavirus. Die Bundeswehr hält 20.000 Männer und Frauen als Krisenreserve für die Bewältigung der Pandemie vor. Bei gleichbleibenden Verpflichtungen bei internationalen Einsätzen zeigt der Kampf gegen das Coronavirus gerade, dass die Bundeswehr bei lang anhaltend hohen Infektionszahlen personell an ihre Grenzen stößt. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus dem Kampf gegen die Pandemie im Hinblick auf Überlegungen zur Einführung eines allgemeinen Gesellschaftsdienstes?

Die Bundeswehr hat die Aufgaben im Zuge der Pandemie nach meiner Bewertung bisher im Großen und Ganzen sehr gut gemeistert. Es hat sich gezeigt, dass Artikel 35 des Grundgesetzes – also die Amtshilfe – eine hinreichende Grundlage für Einsätze im Inneren darstellt und die Bundeswehr, wenn Not an Mann und der Frau ist, Kräfte effektiv mobilisieren kann. Zugleich sind solche Einsätze natürlich nicht Kernaufgabe von Streitkräften und insofern lohnt es sich schon darüber nachzudenken, ob wir in unserer Katastrophenvorsorge wirklich krisenfest aufgestellt sind.

In der Coronavirus-Pandemie ab 2020 hat sich gezeigt, dass zunehmend komplexe Aufgaben im Inneren zu bewältigen sind und dabei der Gesundheitsdienst und der Zivil- und Katastrophenschutz unter Druck, beziehungsweise an ihre Grenzen geraten können. Wir haben wohl einerseits zu wenig in solchen Szenarien gedacht, aber anderseits auch zu wenig Ressourcen dafür vorgehalten. Dass die ohnehin schon belastete Bundeswehr in einer durchaus als angespannt zu bezeichnenden internationalen Sicherheitslage für solche Aufgaben einspringen muss, kann kein Dauerzustand sein. Die sich ändernden demografischen Rahmenbedingungen werden für die Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben durch die Aussetzung der Wehrpflicht und den damit verbundenen Wegfall des Zivildienstes aus dem Jahr 2011 noch verschärft.

Und weil das Viele so sehen, hat sich auch eine Debatte um Solidarität und Zusammenhalt in der Gesellschaft verstärkt, die politisch bereits seit einiger Zeit und durchaus kontrovers unter dem Schlagwort „Allgemeiner Gesellschaftsdienst“ diskutiert wird. Diese Debatte hat also gewissermaßen durch die Pandemie etwas Auftrieb bekommen. Ob dieser Aufrieb dazu führt, dass daraus nachhaltige Veränderungen entstehen, hängt auch davon ab, ob sinnvolle Konzepte entwickelt werden. In einer solchen Lage besteht jedenfalls ein großer Bedarf an faktenbasiertem Orientierungswissen, das als Ausgangspunkt für eine aufgeklärte Diskussion zu diesem gesellschaftspolitischen Streitthema dienen kann.

Der Sturm auf das Kapitol in den USA hat vor Augen geführt, wie sehr die demokratischen Institutionen des Rechtsstaates durch eine gespaltene Gesellschaft und durch Polarisierung und Radikalisierung in Gefahr geraten können. Welche Gefahren sehen Sie in Deutschland durch Polarisierung und Radikalisierung?

Wir sind glücklicherweise in einer anderen Lage als unsere amerikanischen Freundinnen und Freunde, aber auch hierzulande steht die Demokratie vor einer Bewährungsprobe. Das gilt einerseits für rechtsextreme Bestrebungen und auch rechtsextreme Parteien wie die AfD, aber auch für Reichsbürger und andere Verfassungsfeinde. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist in einem durch Wertedivergenz, zunehmende Partikularinteressen und wachsende Zersplitterung der Gesellschaft, aber auch durch die Bedingungen einer Zuwanderungsgesellschaft geprägten Land wie Deutschland eine permanente Herausforderung. Demokratie ist zugleich die wohl einzige Staatsform, die von ihren Bürgerinnen und Bürgern „eingeübt“ werden muss und davon lebt, dass nicht nur Einzelinteressen, sondern auch öffentliche Angelegenheiten als im gemeinsamen Interesse wahrgenommen werden. Zugleich sind ein Mindestmaß an gesellschaftlichem Zusammenhalt sowie ein gewisser „Gemein- beziehungsweise Bürgersinn“ unerlässliche Grundlage für die Stabilität eines Gemeinwesens, das sich als funktionsfähige und lebendige Demokratie versteht. Das ist eine Daueraufgabe – und die fällt nicht vom Himmel.

Kann eine allgemeine Dienstpflicht die Gesellschaft resilienter machen?

Prof. Johannes Varwick. (Foto: Marlene Gawrisch)

Ich meine, unter bestimmten Voraussetzungen, ja. Allerdings ist die Dienstpflichtdebatte durch die Überlagerung mehrerer Interessenfelder und Diskussionsebenen gekennzeichnet: Die speziellere Zielsetzung ist auf die Unterstützung von zentralen Institutionen – Blaulichtorganisationen, Entwicklungshilfeorganisationen, Kirchen, im Bereich Natur- und Umweltschutz sowie die Bundeswehr – ausgerichtet, die gemeinwohlbezogene Aufgaben wahrnehmen. Es geht hier konkret darum, Personalmängel auszugleichen sowie die Kosten zu begrenzen, die bei einer hauptberuflichen Ausführung der Tätigkeiten höher wären. Damit verbunden ist die allgemeine Zielsetzung, die auf die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ausgerichtet ist und an die sozialen Wirkungen anknüpft. Durch einen Gesellschaftsdienst sollen insbesondere junge Menschen aus möglichst vielen Gesellschaftsschichten in einer entscheidenden Phase ihrer Entwicklung mit gesellschaftlichen Realitäten und gemeinnützigen Aufgaben konfrontiert und für diese sensibilisiert werden, um zugleich ihr Verständnis für gesellschaftlichen Zusammenhalt und damit auch für Demokratie zu stärken. Allerdings war und ist das umfassend umstritten, das heißt, sowohl in Bezug auf die Zielsetzungen als auch auf ihre Zulässigkeit und die Verwirklichung der angestrebten Ziele besteht keine Einigkeit.

Es bräuchte aber einen breiten politischen Konsens, um die verfassungsrechtlichen Schwierigkeiten zu überwinden. Den sehe ich derzeit nicht. Zudem sollten wir die Erfahrungen aus der Wehrpflicht nicht vergessen, die eben bei zu Vielen auch als sinnloser „Gammeldienst“ in Erinnerung geblieben ist. Dienstpflichtige sind aber nicht in erster Linie billige Arbeitskräfte, sondern eine Dienstpflicht muss dezidiert in einen gesellschaftspolitischen Zusammenhang gestellt werden. Wenn es also nicht gelingt, wirklich sinnstiftende Angebote zu entwickeln, ist eine Dienstpflicht kontraproduktiv. Zugleich wird die Forderung nach einem Pflichtdienst auch von zahlreichen Kritikpunkten flankiert. Während einerseits die finanzielle Belastung betont wird, kritisieren die Sozialverbände insbesondere die Verpflichtung potenziell unmotivierter junger Menschen und fordern stattdessen „echte Freiwillige“ anstatt „zwangszugeführter junger Menschen“.

Auch bleibt die Verbindlichkeit einer allgemeinen Dienstpflicht weitestgehend unklar: Welche Sanktionen für das Fernbleiben vom Dienst beziehungsweise dessen Nichtantritt vorgesehen sind, wurde bislang nicht erörtert. Inwiefern hierbei auf Zwangsinstrumente des hergebrachten Wehr- oder Ersatzdienstes zurückgegriffen werden kann und soll, ist offen. Weiterhin steht die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht unter dem Eindruck, man wolle Personalprobleme mithilfe von Dienstverpflichteten lösen.

Und tatsächlich lässt sich die Behauptung nicht ganz von der Hand weisen, man wolle die personelle Ausstattung und Professionalisierung wichtiger gesellschaftlicher Bereiche wie etwa Erziehung oder Pflege zugunsten eines überall verbreiteten Gesellschaftsdienstes, ausgeführt von unqualifiziertem Personal, ersetzen und dies mit inhaltsleeren Formeln wie „lebenslanges Lernen“ oder dem „patriotischen Zusammenhalt“ sowie der „Identifikation mit dem Staat“ rechtfertigen.

In Frankreich soll der Service Universel National für 15- bis 17-Jährige, der im Moment noch freiwillig ist, bald verpflichtend sein. Er untergliedert sich in zwei Phasen. Er beginnt mit einem zweiwöchigen Gemeinschaftsaufenthalt, wo Jugendliche aus verschiedenen Schichten und Milieus zusammenkommen. Die zweite Phase besteht aus einem konkreten Dienst, der die Autonomie der Jugendlichen stärken soll. Welche Vor- und welche Nachteile hätte das französische Modell einer allgemeinen Dienstpflicht aus ihrer Sicht für Deutschland?

Das französische Modell ist interessant, passt aber nicht wirklich zum föderalen System Deutschlands. Denn Schulpolitik ist Ländersache, das Grundgesetz regelt nur die Schulaufsicht und normiert nicht einmal eine Schulpflicht. Zudem haben wir ja bereits Instrumente wie den Bundesfreiwilligendienst oder Jugendfreiwilligendienste, bei denen ebenso wie in Frankreich Bildungsangebote und eine Art Staatsbürgerkunde Pflicht sind. Das Problem ist, dass dies nur bestimmte Gesellschaftsschichten erreicht und, salopp gesagt, diejenigen, die es gebrauchen könnten, wohl nicht auf die Idee kommen, sich freiwillig zu engagieren. Dieses Dilemma zu überwinden, liegt dem französischen Ansatz zugrunde und darüber lohnt es sich, nachzudenken.

Was halten Sie von der Idee, einen Teil der allgemeinen Dienstpflicht in die Schulzeit zu integrieren?

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