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Jemen – Der vergessene Kriegsschauplatz

Eine der größten humanitären Katastrophen mit hunderttausend Toten und Millionen Hungernden in einem nicht endenden Bürgerkrieg. Die Vereinten Nationen (VN) sprechen hierbei nicht von Syrien oder Libyen, sondern von dem ärmsten Land des Nahen Ostens: Jemen. In dem südlich von Saudi-Arabien gelegenen Land tobt seit Jahren ein Krieg, der in den Nachrichten deutlich weniger präsent ist als andere Konflikte in der Region. Folglich sind auch die politischen und sozialen Hintergründe kaum bekannt. Doch warum ist das der Fall? Und was sind gute Gründe, dem Jemen größere Aufmerksamkeit zu geben?

(Symbolbild: Pixabay via pexels.com)

IranJemenNaher OstenSaudi-Arabien

Für das Verständnis des aktuellen Konflikts ist ein kurzer Blick auf die jüngste Vergangenheit des arabischen Landes wichtig. Die heutige Republik Jemen entstand 1990 durch die Vereinigung des ehemaligen Königreichs Nordjemen und des kommunistischen, zuvor britischen Südjemens. Im Gegensatz zu anderen geteilten Ländern waren die Beziehungen der beiden Republiken freundlich, was die Vereinigung begünstigte. Bereits vier Jahre später brach jedoch ein von Separatisten aus dem Süden ausgelöster Bürgerkrieg aus. Dieser konnte zwar schnell von den Regierungstruppen gewonnen werden, aber die politischen Spannungen blieben bestehen.

Neben dem politischen Konflikt im Süden war und ist das wiedervereinigte Jemen auch auf gesellschaftlicher Ebene gespalten. Zum einen zeichnet sich das Land mit seinen rund 30 Millionen Einwohnern durch stark von verschiedenen arabischen Stämmen geprägte Strukturen und Gewohnheiten aus. Des Weiteren ist die islamische Gesellschaft konfessionell in 55 Prozent Sunniten und 45 Prozent Schiiten geteilt. Letztere haben ihre Heimat in den nördlichen Gebieten und stellten die Herrscher des früheren Königreichs, das sich zum Nordjemen entwickelte. Die meisten Schiiten fühlen sich sozial diskriminiert und politisch nicht repräsentiert. Die südlichen Teile des Landes und die politische Führung waren hingegen stets sunnitisch geprägt. Gemein ist allen Regionen eine geringe wirtschaftliche Entwicklung trotz Öl- und Gasressourcen, da Abhängigkeiten zu ausländischen Produzenten bestehen und die Infrastrukturen unzureichend sind. Jemen gilt daher als das ärmste Land im Nahen Osten.

Im Jahr 2011 erfuhr das jahrzehntelang von Präsident Ali Abdullah Salih autoritär regierte Jemen eine historische Zäsur: Die von den Ereignissen in Tunesien inspirierten Proteste mündeten in eine Revolution und zwangen den Machthaber zum Rücktritt. Allerdings gelang es der neuen Regierung unter ex-Vizepräsident Abed Rabbo Mansur Hadi nicht, alle politischen und sozialen Kräfte in eine von ihm geleitete Transformation zu integrieren. Unter den Oppositionsgruppen – zu denen auch die separatistische Südliche Bewegung und Bündnisse aus Islamisten zählen – hat insbesondere die Huthi-Miliz als Vertreter der Schiiten eine entscheidende Rolle im Kampf um die politische Vorherrschaft im Land eingenommen. Die Einnahme der Hauptstadt Sana’a durch die schiitischen Rebellen bis Anfang 2015 zwang die Hadi-Regierung zur Flucht und die angekündigte politisch-militärische Expansion auf den gesamten Jemen entfesselte schließlich einen neuen Bürgerkrieg.

Von inneren Kämpfen zum Krieg der Regionalmächte

Der Huthi-Miliz wurde von Seiten der Vereinigten Staaten, Saudi-Arabien und weiterer Golfstaaten früh enge politische Verbindungen zum Iran, der größten schiitischen Nation, vorgeworfen. Der Erzfeind des saudischen Königreichs soll den Rebellen Waffenlieferungen, Ausbildungen und finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt haben, um seinen Einfluss in der Region weiter auszubauen. Laut einem VN-Bericht von 2015 habe diese Unterstützung bereits im Vorfeld der Revolution begonnen. Sowohl die schiitischen Rebellen als auch der Iran bestreiten die Existenz direkter Verbindungen auf politischer oder militärischer Ebene. Auf der anderen Seite finden Treffen zwischen ranghohen Vertretern statt und Rebellen werden ideologisch und militärtechnisch durch Spezialisten im Iran geschult. Des Weiteren werden in iranischen Medien Angriffe der Huthis als Maßnahmen zur Selbstverteidigung legitimiert und Erklärungen für deren Unterstützung ausgestrahlt.

Mit der Eroberung weiter Teile des Nordens durch die schiitische Miliz hat sich der Jemen zu einer der Hauptfronten des Konflikts der Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien im Nahen Osten entwickelt. Beide Länder verfolgen hierbei strategische Interessen. In der Zeit vor den revolutionären Ereignissen befand sich das Land politisch, ökonomisch und militärisch in der saudischen Einflusssphäre. Der Fall der Hauptstadt Sana’a und die Absetzung der offiziellen, pro-saudischen Regierung stellt für das streng sunnitische Königreich eine geopolitische Bedrohung dar. Auf die Erfolge der dem Iran nahestehenden Huthis reagierte Saudi-Arabien mit einer großflächigen militärischen Intervention, die von einigen Golfstaaten militärisch und von den USA logistisch unterstützt wurde. Innerhalb weniger Wochen sollten die schiitischen Rebellen besiegt und aus der Hauptstadt vertrieben werden.

Das militärische Eingreifen Saudi-Arabiens seit 2015 stellt in mehrfacher Hinsicht einen Wendepunkt in der Entwicklung des Jemen dar: Zum einen griff erstmals ein Nachbarland direkt – sowie offiziell und mit Hilfe der Weltmacht USA – in den Konflikt ein. Des Weiteren haben die Operationen enorme Folgen für die Bevölkerung nach sich gezogen. Maßnahmen wie die Meeresblockade haben die Hungersnot und mangelnde medizinische Versorgung im Land verschärft und von den flächendeckenden Bombardierungen waren insbesondere Zivilisten betroffen. Schließlich bedeutete die Intervention die nächste Stufe der Eskalation des saudisch-iranischen Konflikts um die politische Vorherrschaft im Nahen Osten, da nach dieser militärischen Operation Gegenreaktionen erwartet werden.

Die Lage des Jemen auf der Arabischen Halbinsel (Bild: CIA World Factbook)

Stellvertreterkrieg zulasten der Bevölkerung

Der ursprünglich innerstaatliche Konflikt zwischen politisch-religiösen Gruppierungen entwickelte sich durch die Blockaden und Luftangriffe Saudi-Arabiens auf Gebiete, die unter Kontrolle der pro-iranischen Huthi-Miliz stehen, immer mehr zu einem Stellvertreterkrieg. Saudi-Arabien positionierte sich seit Beginn der Revolution auf Seiten der offiziellen Regierung, um seinen politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf den Jemen weiterhin zu sichern. Ein instabiles Nachbarland im Süden ist schlecht für das sunnitische Königreich, der Fall des Landes in die Hände einer Iran-nahen Regierung wäre jedoch eine geopolitische Katastrophe. Der Iran hingegen konnte durch die politisch-militärischen Erfolge der schiitischen Glaubensbrüder seine Position im Nahen Osten, die seit der Unterstützung der Assad-Regierung im syrischen Bürgerkrieg gestärkt ist, weiter ausbauen. Eine vollständige Integration des Jemen in die iranische Einflusssphäre wäre ein Riesen-Coup und käme einem Erdbeben in der Region gleich.

Die Übernahme des Landes durch die schiitischen Huthis versuchen Saudi-Arabien und seine Verbündeten seit 2015 mit militärischen Mitteln zu verhindern. Diese Operationen haben nicht nur die Lage des Konfliktes, sondern auch die Situation der Bevölkerung massiv verändert. So haben die Bombardierungen vor allem Wohngebiete, Krankenhäuser, Einkaufszentren, Schulen und wichtige Infrastrukturen getroffen. Bei den Angriffen wird zum Teil Streumunition verwendet, deren Herstellung und Einsatz von den meisten europäischen Staaten verboten ist. Wichtige Lieferungen wie Lebensmittel sind seit dem saudischen Militäreinsatz weder über den Luftraum noch über Landwege möglich. Mit der Besetzung des Meereszugangs wurde der Jemen schließlich wirtschaftlich vollständig isoliert, da nun auch Transportschiffen der Zugang zu Häfen verwehrt wird.

Aufgrund der umfassenden Blockade sind neben Nahrungsmitteln auch Trinkwasser und Medikamente knapp. Dadurch hat sich seit 2016 eine Hungersnot im Land ausgebreitet, die etwa die Hälfte der Bevölkerung betrifft und für den Tod von etwa 50.000 Kindern innerhalb eines Jahres verantwortlich ist. Des Weiteren hat die mangelnde Hygiene im Kriegsgebiet laut Weltgesundheitsorganisation zum weltweit größten Cholera-Ausbruch mit über zwei Millionen Verdachtsfällen beigetragen. Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen vor Ort bezeichnen die Lage der Bevölkerung als desaströs. Die Vereinten Nationen sprechen vor dem Hintergrund der Hungersnot und des Choleraausbruchs im Jemen von der zurzeit „größten humanitäre Katastrophe der Welt“, wobei die Auswirkungen der aktuellen Corona-Pandemie noch nicht berücksichtigt sind. Nach den Berechnungen der VN werden sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit Covid-19 infizieren und etwa 40.000 Menschen daran versterben. Insgesamt sind im Verlauf des Bürgerkriegs bisher mehr als 112.000 Menschen gestorben.

Waffenlieferungen und Angriffe auf Ölraffinerien

Ungeachtet der Notlage weiter Teile der Bevölkerung geht der Konflikt im Land weiter – und damit auch das Aufrüsten. So fing die US Navy im Zuge der Meeresblockade 2016 ein Schiff mit einer Lieferung von tausenden Waffen aus dem Iran, vor allem AK-47 und Panzerabwehr-Granatwerfer, ab. Die amerikanische Regierung geht hierbei von einer Lieferung in den Jemen aus. Des Weiteren wurden auf Seiten der schiitischen Miliz unter anderem die Verwendung von russischen Katjuscha-Raketenwerfern und Kornet-Panzerabwehrlenkraketen sowie iranischen Artilleriesystemen und Drohnen entdeckt. Aufgrund der Herkunft der Waffen gehen Experten von einer Lieferung über die paramilitärische Revolutionsgarde des Iran aus. Sowohl die Aussagen von Generälen der Revolutionsgarde über ihren großen Einfluss auf die Huthis als auch die Zusage der „spirituellen Unterstützung“ seitens des Obersten Führers Ali Chamenei im Jahr 2019 deuten auf ein stärkere militärische Involvierung des Iran im Bürgerkrieg hin.

Parallel dazu hat auch Saudi-Arabien sein Vorgehen im Land und seine militärische Präsenz in der Region intensiviert. Die Luftangriffe auf von der schiitischen Miliz kontrollierte Gebiete dauern ungebrochen an und Angriffe der jemenitischen Armee werden logistisch und militärisch unterstützt. Da Saudi-Arabien direkt in den Bürgerkrieg im Jemen eingreift, hat das Land in die eigene Aufrüstung investiert und 2017 einen Waffendeal mit den Vereinigten Staaten in Höhe von 110 Milliarden US-Dollar abgeschlossen. Der Kaufvertrag beinhaltet unter anderem Panzer, Kriegsschiffe, Bomben sowie Raketenabwehr-, Radar-, Kommunikations- und Cybersicherheitssysteme. Die massive Aufrüstung des Landes wird als Gegenmaßnahme zum zunehmenden iranischen Einfluss im Nahen Osten interpretiert und ist als Zeichen der Fortsetzung des Stellvertreterkriegs im Jemen anzusehen.

Die fortlaufende militärische Intervention Saudi-Arabiens hat jedoch auch Konsequenzen im eigenen Land nach sich gezogen. So haben die Huthis als Vergeltungsmaßnahmen erfolgreich südliche saudische Provinzen angegriffen, Grenzorte eingenommen und mittels Drohnen und Kurzstreckenraketen Flughäfen und Ölfelder im gesamten Land attackiert. Insbesondere der überraschende Drohnenangriff auf die weltweit größte Ölraffinerie im September 2019 hat die Verwundbarkeit Saudi-Arabiens und die regionale bis globale Dimension des Bürgerkriegs im Jemens aufgezeigt. Zum einen hat das Königreich seine Öltagesproduktion auf die Hälfte drosseln müssen, was fünf Prozent des weltweiten Verbrauchs entspricht und mit für die aktuelle Entwicklung des Ölpreises verantwortlich ist. Des Weiteren gehen die US-Regierung und Saudi-Arabien aufgrund der professionellen Technologie und geografischen Nähe der östlich gelegenen Fabrik nicht von einem Angriff aus dem Jemen, sondern aus dem Iran aus. Der Erzfeind des sunnitischen Königreichs wehrt sich gegen die Vorwürfe, jedoch müssen laut Ansicht von Experten zumindest die Waffen aus dem Iran stammen. Unabhängig vom Grad der Involvierung wird die Überraschungsattacke als nationale und globale Prestigesteigerung des von US- und EU-Sanktionen betroffenen Irans und als weitere Zuspitzung des Konflikts der beiden Regionalmächte interpretiert.

Regionaler Konflikt mit globaler Dimension

Der Jemen befindet sich seit fast zehn Jahren in einer schweren politischen Krise, die vor fünf Jahren in einen bis heute andauernden Bürgerkrieg gemündet ist. Obwohl bereits mehr als 112.000 Menschen gestorben sind und die Bevölkerung unter Hungersnot, Cholera sowie aktuell unter Corona leidet, ist das Land in den Medien weniger präsent als Syrien oder Libyen. Dies ist zum einen geografisch zu begründen, da der Jemen im Gegensatz zu den anderen Ländern deutlich weiter von Europa entfernt ist und keine Land- oder Meeresgrenze zu einem Mitgliedstaat oder Nachbarland der Europäischen Union aufweist. Folglich kommen so gut wie keine jemenitischen Flüchtlinge in Europa an, was dazu führt, dass das Land in der deutschen Flüchtlingsdebatte de facto keine Rolle einnimmt. Aufgrund der großen Distanz wird der Bürgerkrieg primär als ein innerstaatlicher bis regionaler Konflikt wahrgenommen. Dies wird durch das geringere Engagement von Seiten der EU und Deutschlands – als Vergleiche können die Bundeswehrmission in Syrien oder der Ausbau der europäischen Grenzagentur Frontex im Mittelmeer herangezogen werden – unterstrichen.

Bei genauer Betrachtung handelt es sich bei dem Bürgerkrieg im Jemen jedoch – eventuell noch stärker als bei Syrien und Libyen – um einen regionalen Konflikt mit globalen Ausmaßen. Aufgrund des militärischen Eingreifens von Saudi-Arabien und des Engagements des Irans, das bis zu potenziellen Drohnenangriffen auf Gebiete des Erzfeindes reicht, stehen sich die beiden Regionalmächte nirgendwo so nah gegenüber wie im Jemen. Mit der Unterstützung der saudischen Operationen durch die Großmacht USA, die unter Trump einen Konfrontationskurs zum Iran fährt, und der Angriffe auf wichtige Ölfabriken erreicht der Konflikt eine globale Dimension. Die militärisch-politische Konstellation im Bürgerkriegsland und das direkte Aufeinandertreffen der Regionalmächte trägt schließlich zur weiteren Instabilisierung des Nahen Ostens bei. Da die Auswirkungen auf andere Regionen und somit auch auf Europa unkalkulierbar sind, sollte dem Jemen auch vor dem Hintergrund der humanitären Krise insgesamt eine stärkere mediale und politische Beachtung gegeben werden.


Dieser Text stammt aus dem Sicherheitspolitischen Newsletter des Sachgebietes Sicherheitspolitische Arbeit. Diesen können Sie hier abonnieren.

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