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Loyal – Titel-Thema April 2009




Das transatlantische Bündnis begeht Anfang April in Straßburg, Kehl und Baden-Baden ein bemerkenswertes Jubiläum. Sechs Jahrzehnte NATO – darauf kann man anstoßen. Doch anschließend müssen die Staats- und Regierungschefs den Nordatlantikpakt den neuen Bedrohungen und Herausforderungen anpassen. Franz H.U. Borkenhagen hat darüber schon einmal nachgedacht.
Die NATO, gegründet 1949, feiert in diesem April ihren 60. Geburtstag. Sie versteht sich als das sicherheitspolitische Rückgrat der transatlantischen Partnerschaft, gleichermaßen als Garant für stabile Sicherheit in Europa, kollektives Verteidigungsbündnis und transatlantischer Konsultationsrahmen. Richtig ist auch: Die NATO hat nicht nur die Herausforderungen des Kalten Krieges gemeistert, sondern nach dessen Ende maßgeblich den Aufbau einer gemeinsamen Sicherheitsordnung in einem ungeteilten Europa mitgestaltet.
Eine noch so begründete wohlwollende Rückschau verbietet gleichzeitig ein Ausruhen auf den bisherigen Erfolgen, ja, es wäre für die multinationale Sicherheitsvorsorge geradezu gefährlich. Vielmehr ist das Bündnis dringend weiterzuentwickeln. Dafür lauten die Leitfragen: Bietet die NATO auch künftig den geeigneten politischen Handlungsrahmen für die gemeinsame Sicherheit, und ist sie auch in Zukunft für die transatlantischen Partner unerlässlich? Hat sie die geeigneten Strukturen? Folgen die politische und die militärische Transformation den zu erwartenden An- und Herausforderungen?
Neben einem über alle Grenzen hinweg agierenden und wirksamen Terrorismus, der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie den Kriegen in allen Teilen dieser Welt bergen Staatsversagen und Staatsverfall die aktuellen und künftigen Konfliktpotenziale schlechthin. Daneben werden Ressourcen immer knapper. Rohstoffgewinnung und -transport erhalten unmittelbare sicherheitspolitische Bedeutung. Die Energieversorgung der Industrieländer zeigt sich zunehmend störanfällig. Das Zudrehen von Pipelines oder das Verringern von Fördermengen oder das partielle Abschalten der Versorgung wandeln sich zu Instrumenten von Bedrohung, Einschüchterung oder neuen Formen der Gewaltanwendung. Die Palette der Risiken und Konflikte lässt sich durch eine Übersicht der vielen zunächst noch regional wirkenden, aber potenziell dynamischen Krisen in und um Europa, in Afrika und in Asien erweitern.
Noch eindringlicher und bedrohlicher wirken die Klimaveränderung und die erkennbaren Klimaentwicklungen, die in vielen Szenarien dramatische Auswirkungen erwarten lassen. In Verbindung mit den übrigen Problemen wie Hunger, Armutswanderung, Unterentwicklung, Korruption etc. bergen sie ein vielgestaltiges Drohpotenzial globalen Ausmaßes. Wenn die Zugänge zu Ressourcen nur noch beschränkt und in geschützten Gebieten möglich sein werden, sind Konflikte und Kriege in naher Zukunft unausweichlich. Sie entwickeln sich überdies zu einer weiteren Facette der Auseinandersetzungen zwischen den armen und den reichen Nationen der Welt, zwischen Süd und Nord.
Die NATO sieht sich infolgedessen vor neuen und bisher in ihrer Komplexität ungekannten Herausforderungen und Gefahren, die umfassende und zum Teil völlig neue sicherheitspolitische Antworten verlangen. Dazu sind Initiativen und Zielvorgaben für den Wandel notwendig. Sie sind wegen der Dynamik der weltweiten Entwicklungen und deren Anforderungen an die westliche Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch dringend. Tatsächlich wirkt das transatlantische Verhältnis bei den unterschiedlichen Krisen in der Zielbestimmung alles andere als harmonisch, oft ist keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Partner USA und Europa zu erkennen. Vielmehr stehen die oft divergierenden Interessen der USA und Europas im Vordergrund, die in den vergangenen Jahren häufiger zu Meinungsverschiedenheiten über die Abstimmung, das Vorgehen und den Einsatz von militärischen Mitteln geführt haben.
Die NATO wird jedoch zunehmend global gefordert. Ihre Mitglieder müssen über den politischen Willen und die militärischen Fähigkeiten verfügen, die gemeinsame Sicherheit und Freiheit zu gewährleisten und zur Entschärfung und Bewältigung regionaler Krisen und Konflikte dort beizutragen, wo ihre Interessen betroffen sind. Eine militärische Transformation der NATO allein reicht zur Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sicher nicht aus. Auch die Foren der transatlantischen Zusammenarbeit müssen sich den neuen Bedingungen anpassen. Die militärische Transformation der NATO muss eingebettet in einer politischen Transformation erfolgen. Es geht darum, die NATO und die transatlantischen Beziehungen insgesamt zu stärken.
Dazu wäre es erstens die Aufgabe, das Verständnis für eine erneuerte transatlantische Partnerschaft aufzubauen und die Rolle der Allianz in einer veränderten Welt zu definieren. Dies umso mehr, als der Irakkrieg verdeutlichte, dass die NATO als Ort der transatlantischen außen- und sicherheitspolitischen Diskussion und Entscheidungsfindung an Bedeutung verloren hat. Auch, weil sich ihre europäischen Mitglieder in Gegner und Befürworter des Vorgehens der USA trennen ließen. Deshalb ist es dringend geboten, die Rolle der NATO als zentrales Diskussions- und Entscheidungsforum transatlantischer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu revitalisieren und zu festigen. Notwendig ist überdies ein gemeinsames strategisches Verständnis der Amerikaner und der Europäer über die Bedrohungen der gemeinsamen Sicherheit sowie über Ziele, Ansätze und Instrumente des bündnisgemeinsamen Handelns in einem grundlegend veränderten sicherheitspolitischen Umfeld.
Dazu wäre es sinnvoll, einen neuen "Harmel-Bericht" in Auftrag zu geben und diese Überarbeitung der gemeinsamen Strategie durch ausgewählte unabhängige europäische und amerikanische Experten erstellen zu lassen. Aufgabe der Fachleute wäre, das Verständnis einer erneuerten transatlantischen Partnerschaft zu entwickeln und die Rolle der Allianz deutlich zu artikulieren. Dies müsste als Signal und kräftiger Impuls für die politische und strategische Positionierung der NATO vor dem Hintergrund gewandelter Herausforderungen und als Teil einer erneuerten zukunftsorientierten transatlantischen Partnerschaft zu verstehen sein.
Der Kern eines neuen "Harmel-Berichts" wäre an den folgenden Punkten auszurichten:

  • ein gemeinsames transatlantisches Verständnis der künftigen Herausforderungen euro-atlantischer Sicherheit als Grundlage für gemeinsames Handeln
  • eine Definition der strategischen Rolle der Allianz und ihre Handlungsrahmen sowie der Gebiete in der Welt, in denen die NATO ihre Interessen vertreten will
  • ein geregeltes Verhältnis der NATO zu anderen Institutionen wie EU und UNO
  • Voraussetzungen für den Einsatz militärischer Gewalt
  • Anforderungen an Entscheidungsstrukturen und militärische Fähigkeiten für die globale Ausrichtung der Allianz sowie
  • die Rolle der NATO als zentraler Diskussions- und Entscheidungsrahmen transatlantischer Außen- und Sicherheitspolitik.

Die sich daraus ergebenden und vorrangigen Hauptaufgaben lauten:

  • die Vertiefung der Beziehung und der Zusammenarbeit mit der EU auf der Ebene der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zur effizienten und wirkungsvollen Nutzung ziviler und militärischer Instrumente der beiden Staatengemeinschaften
  • die Reform und Anpassung der Militärstrategie der NATO, um den sich wandelnden Herausforderungen begegnen zu können. Dazu gehört auch die Überbrückung von Fähigkeits- und Kapazitätslücken zwischen den USA und Europa
  • eine eingehende und umfassende Prüfung der Voraussetzungen und Bedingungen einer Erweiterung der Allianz um weitere Mitglieder sowie
  • die Revitalisierung der Beziehungen zwischen der NATO und Russland.

Zweitens steht wie Mitte der sechziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts, zum Zeitpunkt des ersten "Harmel-Berichts", die NATO erneut an einem Punkt ihrer Entwicklung, der sie zu einer Neubestimmung ihrer militärischen Fähigkeiten und ihrer politischen und strategischen Rolle zwingt. Die militärische Transformation des Bündnisses für die Anforderungen im 21. Jahrhundert wurde auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Prag im Jahr 2002 bereits eingeleitet. Die politische Einbettung der militärischen Transformation steht allerdings noch aus. Die in Prag 2002 verankerte globalere Ausrichtung der NATO ("Herausforderungen begegnen, aus welcher Richtung sie auch kommen mögen") ist zwar ein wichtiger erster Schritt. Er reicht aber nicht aus. Mit Übernahme der Führungsrolle in Afghanistan hat die NATO erstmals deutlich gemacht, dass sie bereit ist, auch außerhalb Europas zu handeln und Verantwortung zu übernehmen – wenn auch zögerlich und gewiss nicht immer effektiv. Notwendig ist aber ein gemeinsames militärstrategisches Verständnis der Vereinigten Staaten und Europas über die Bedrohungen der gemeinsamen Sicherheit sowie über Ziele, Ansätze und Instrumente des bündnisgemeinsamen Handelns in einem grundlegend veränderten sicherheitspolitischen Umfeld.
Dazu gehört vor allem ein Abgleich amerikanisch-europäischer Einsatzgrundsätze und Streitkräftetransformationen. Der deutsche Wissenschaftler und NATO-Experte Johannes Varwick unterstreicht in seinem jüngsten Buch "Die NATO – Vom Verteidigungsbündnis zur Weltpolizei?" das nicht gerade an Missverständnissen arme Miteinander der Europäer mit dem atlantischen Partner. Liegen doch dessen Rollenverständnis jenseits der europäischen Vorstellungen und seine Kapazitäten, Fähigkeiten und Finanzvolumen überproportional über denen der Partner auf dem "alten Kontinent". Hieraus ergeben sich Unstimmigkeiten, die die Wirkungsmöglichkeiten der NATO hemmen. Außerdem darf man nach einer Rollenverteilung fragen, wenn es um militärische Einsätze geht: Könnten die Europäer allein das Spektrum der Anforderungen ohne Rückgriff auf die (amerikanisch dominierten) Kapazitäten der NATO abdecken?
Schließlich ist zu fragen, inwieweit die NATO die inzwischen gewachsene Aufgabenvielfalt in Einsätzen beherrschen kann. Denn es geht längst um mehr als um ausschließlich militärische Präsenz. Diese militärische Komponente ist bei den meisten Einsätzen zwar ein zentrales Element. Ohne einen Instrumentenmix, der auch zivile, politische und ökonomische Elemente enthält, wird sich jedoch kein längerfristiger Erfolg einstellen. Hier fehlt es an der Koordination und Abgrenzung von Kompetenzen und Zuständigkeiten zwischen der NATO und anderen Organisationen wie der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen.

Text: Franz H.U. Borkenhagen, Fellow der Bertelsmann Stiftung
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