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Nach Bombenanschlag: Vom Quereinsteiger zur Weltspitze




Sein Einsatz in Afghanistan kostet ihn beinahe sein Leben: Durch einen Selbstmordanschlag verliert Stephan Deuschl 2005 beide Beine. Mit neuem Lebensmut und Disziplin kämpft sich der pensionierte Berufssoldat an die Weltspitze der Kanufahrer.

Blickrichtung nach vorn, die Muskeln laufen heiß, das Wasser spritzt den Fahrern ins Gesicht – die Schlagzahl muss nach oben: Auf Sprintstrecken schlägt das Paddel bis zu 130 Mal in der Minute durch die Wasseroberfläche. Das Kanu wird schneller, die Ziellinie ist im Visier. Das ist Kanu-Rennsport, das ist körperliche Schwerstarbeit.

Die besten Kanufahrer der Welt kamen Ende August zur Kanu-Rennsportweltmeisterschaft in Duisburg zusammen. 956 Athleten aus 78 Nationen kämpften um die Medaillen. Unter ihnen der kriegsversehrte Stefan Deuschl mit zwei klaren Zielen: Ins Finale kommen und zweitens unter 50 Sekunden bleiben. Auf 200 Meter ist das Weltklasse.

Auf Sekundenbruchteile kommt es an
Das zweite Teilziel gelingt: 49,134 Sekunden. Das heißt in diesem Fall aber auch: Nur vierter Platz, also haarscharf den direkten Einzug für den Endlauf verpasst. Beim zweiten Versuch übers Semi-Finale schafft Deuschl seine drittbeste Zeit überhaupt (50,588 Sekunden) – leider auch hier Sekundenbruchteile am dritten Platz vorbei. Kein Endlauf. Erstes Teilziel verpasst. "Zweimal am Tag so eine Topleistung unter 50 Sekunden abrufen, so weit bin ich dann doch noch nicht", sagt Deuschl später sichtlich enttäuscht. Doch dann überwiegt auch bei ihm der Stolz über die Zeiten. Vor einem Jahr lag er noch bei 58 Sekunden. Ein unglaublicher Leistungssprung. Wie schafft man das? Deuschl überlegt nicht lange: "Disziplin, Disziplin, Disziplin!" Konkret: Dreimal die Woche Training auf dem Wasser mit 120 Kilometern Anfahrt, dreimal die Woche 60 Kilometer Konditionstraining mit dem Handbike, koordinatives Krafttraining, früh ins Bett, kein Alkohol, keine Zigaretten, gesunde Ernährung.

Wenige Sekunden verändern ein Leben
Um ein solches Pensum durchzuhalten, braucht es tatsächlich vor allem Disziplin. Und ja, diese hat er nicht nur durch einen strengen Lehrmeister während seiner Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker gelernt, sondern auch bei der Bundeswehr. Stefan Deuschl war Berufssoldat. Und wer den Rest seiner Geschichte hört, der wird nicht nur von seiner Kanu-Rennsportleistung beeindruckt sein. Wenige Sekunden veränderten schlagartig das Leben des ehemaligen Soldaten. Am Montag, 14. November 2005, werden Stefan Deuschl und zwei seiner Kameraden Opfer eines Selbstmordanschlages in Afghanistan. Einer der Kameraden stirbt, der andere verliert einen Unterschenkel, Deuschl beide Beine. An den Anschlag selbst kann er sich nicht mehr erinnern. "Ich fiel sofort ins Koma. Nach dem Aufwachen im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz sagten mir die Ärzte, dass mir beide Beine abgerissen worden sind." Tausend Gedanken um die Zukunft. Der Lebenswille gleich null. "Du bist kein Vater mehr, du bist kein Mann mehr, du kannst deinen Beruf nicht mehr ausüben, kannst nie mehr Sport machen. Du kannst deine Familie nicht mehr ernähren", waren die Gedanken in diesem Moment.

Familie und Kameraden helfen wo sie können
Vor allem die Söhne – damals im Alter von neun und sieben Jahren – gaben dem Anschlagsopfer schließlich den Lebensmut zurück. Die Ärzte hatten die Idee dazu, holten die Kinder ans Krankenhausbett. "Da sind noch zwei, die brauchen dich noch sehr lange", erkannte er schließlich. Seine Frau Violetta und seine Söhne Henry und Robin stehen seitdem voll hinter ihm, egal was anliegt und welche Entscheidung er trifft. "Was Besseres kann ich mir gar nicht vorstellen", so Deuschl im Interview mit dem Reservistenverband. Doch auch seine Kameraden der 5. Kompanie vom Feldjägerbataillon 451 aus Murnau helfen dem versehrten Soldaten wo sie können. "Wenn ich  heute noch etwas brauche, dann ruf ich da einfach an. Und dann weiß ich, es kommt auch jemand." Auf diese Kameradschaft ist er stolz. "Die war da, die ist da. Egal wann."

Das Ende des bisherigen Lebens
So unkompliziert lief es nicht immer. Deuschl erinnert sich auch an viel sogenannte Papiertigerei. Um ein selbstständiges Leben führen zu können, musste erst einmal eine behindertengerechte Wohnung her. Doch im ersten Jahr zahlt eine private Unfallversicherung in solchen Fällen noch kein Geld. Schließlich half das Bundeswehrsozialwerk mit einem zinslosen Darlehen. Dafür hatte sich der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, persönlich eingesetzt – Grundlage für Deuschls neues Leben. Das hieß für ihn aber auch: Ausscheiden aus dem aktiven Dienst. "Denn jeden Tag im Kasernenbüro an einem Schreibtisch zu sitzen, während meine Kameraden am Fenster mit Marschgepäck vorbeilaufen, hätte ich nicht ertragen können", so der heute pensionierte Stabsfeldwebel.

Das große Fernziel
Mittlerweile hat sich das Leben des 46-Jährigen eingespielt. Das Umfeld und die Infrastruktur stimmen. Alles ist genau organisiert, liegt griffbereit wie Deuschl es braucht. Dann bringt ihn der Fahrstuhl seiner Wohnung bis hinunter in die Tiefgarage. Dort lädt er seine Sachen ins Auto. "Und dann geht‘s los." Keine unnötigen Schwierigkeiten. Damit er sich ganz seiner Leidenschaft widmen kann: dem Sport. Stefan Deuschl will zeigen, dass er trotz seiner Behinderung noch immense sportliche Leistung abrufen kann. Es ist vor allem diese Willenskraft, die ihn binnen eines Jahres als Quereinsteiger an die Weltspitze gebracht hat. Trotz des Rückschlags in Duisburg geht die Blickrichtung weiter nach vorn. Das nächste Ziel ist die Qualifikation für die Europa- und Weltmeisterschaft. Das große Fernziel ist die Nominierung für die Paralympics 2016 in Rio de Janeiro. Ob er guter Dinge ist? Deuschl sieht es realistisch und locker: "Ich bin Sportler. Ich weiß, dass es immer wieder Rückschläge geben kann. Ich weiß, dass ich bei den Paralympics 49 Jahre sein werde. Jederzeit kann ein Jüngerer daher kommen und mir die Zeit um die Ohren fahren. Jede kleine Infektion an meinen Stümpfen kann mich aus der Bahn werfen. Es ist mein Ziel, mein Traum, aber ich muss mit Rückschlägen rechnen."

Zusammenleben fängt im Kopf an
Aufgrund seiner Erfahrungen im Rollstuhl wünscht sich Deuschl heute von den Menschen die Bereitschaft, auch mal mehr mitzudenken, sich in die Rolle eines Behinderten zu versetzen. Als Beispiele nennt er den Behindertenparkplatz, der von Gesunden zugeparkt wird, oder Einladungen zu Veranstaltungen an Orten, die noch nicht einmal eine Rollstuhlrampe zum Eingang haben. Scheinbare Kleinigkeiten, die das Leben behinderter Mitbürger unnötig erschweren. "Barrierefreiheit fängt im Kopf an", sagt Stefan Deuschl. Gegenwärtig sucht er einen Sponsor. Ein neues, schnelleres Boot muss her. Das Kanu, mit dem er noch im August die Weltmeisterschaft fuhr, ist im Grunde nicht konkurrenzfähig: "Es war das mit Abstand breiteste und schwerste Boot im Wettkampf. Auch das kostete entscheidende Zehntelsekunden." 3.800 Euro sind nötig. "Die kann ich nicht so eben aus meinen laufenden Einnahmen stemmen." Es wäre schade, wenn Deuschls weitere Karriere, die ihm so viel Lebensfreude gibt, nur an einem veralteten Boot scheiterte. Den Quereinstieg zur Weltspitze hat er damit zumindest geschafft – und sein Paddel wird weiter ins Wasser schlagen, Blickrichtung nach vorn, die Ziellinie im Visier.


Dennis Hallac

Bild 1: Stefan Deuschl bei der
Kanu-Weltmeisterschaft in Duisburg
(Foto: Uschi Zimmermann).

Bild 2: Stefan Deuschl beim
Training in der Halle
(Foto: Uschi Zimmermann).

Bild 3: Stefan Deuschl trainiert für die
Kanu-Weltmeisterschaft
(Foto: Uschi Zimmermann).

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