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Reservisten blicken zurück: Helmut Michelis




Zwei ganz besondere Höhepunkte seiner Dienstzeit als Reservist der Deutschen Bundeswehr erlebte unser Mitglied Helmut Michelis aus Mönchengladbach als Angehöriger des ersten Kontingents SFOR 1997 in Sarajevo-Rajlovac: die Evakuierungsoperation "Libelle", mit der über 100 Menschen aus bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Albanien gerettet wurden, und die militärische Sicherung des Besuchs von Papst Johannes Paul II. Michelis berichtet:

13./14. März 1997 – Zermürbende Warterei

Der Zettel wird mir um drei Uhr nachts in den Container gereicht, wo ich – vorgewarnt – in "vollen Klamotten" auf dem Bett liege: "An OTL Michelis: 1.) PrOffz Albanien, 2.) Anzug Kampfanzug, Helm, Bristol, P1, Rucksack, kl. Kampftasche, Schlafsack, 3.)". Es wird also Ernst.  
Zugegebenermaßen schlafe ich die verbleibenden zwei Stunden unruhig. Aber okay, das ist es, was ich mir als Soldat wünsche, und warum ich mich als Reservist auch für SFOR gemeldet habe: hautnah dabei zu sein, noch dazu bei einer solchen Aktion, mit der man sich so einfach identifizieren kann: Menschen müssen aus Lebensgefahr gerettet werden, wir von der Bundeswehr können das, also los!
Doch die letzten Meldungen unseres S3, Hauptmann Hans-Jörg Heuer ("in der Stadt wird wild herum geschossen, es ist nichts mehr unter Kontrolle") lassen die Phantasie wuchern. Angst? Nein, ehrlich nicht. Aber schwer angespannt bin ich, nervös. Zu unklar ist die Lage. Sorgfältig öle ich meine alte P1, Routine ist in solchen Fällen hilfreich.
Am nächsten Morgen lässt die Spannung des Augenblicks die Müdigkeit vergessen: 88 Mann beladen ihre sechs Hubschrauber, Antreten, Vollzähligkeitsüberprüfung, Aufteilen auf die Maschinen, letzte Befehle. Ich bin dem kleinen Stab um Oberst Glawatz zugeteilt. "Mein" Heli ist vollgestopft mit Ausrüstung. Die Bristol-Schutzweste habe ich zunächst auf dem Schoß, den Rucksack zwischen den Beinen, mit der kleinen Kampftasche am Rücken passt der Sicherheitsgurt kaum. Doch die unbequeme Lage stört mich nicht – endlich geht es los.
In Dubrovnik wird der vorgeschobene Gefechtsstand eingerichtet. Was mir die ganze Zeit auffällt: Es läuft alles absolut routiniert und ruhig ab. Jeder weiß, was er zu tun hat, falsche Hektik kommt nie auf. Ein Außenstehender hätte sicherlich gedacht: Hier läuft eine ganz normale Übung ab.
Unser Kommandoführer, Oberst Henning Glawatz, arbeitet fast seelenruhig seinen Operationsplan aus, lässt sich auch nicht aus dem Konzept bringen, wenn Lageänderungen mal wieder zu Umplanungen zwingen. Diese besonnene Konzentriertheit strahlt wohltuend auf unsere kleine Truppe aus. Lediglich an Glawatz‘ steigendem Zigarettenkonsum lässt sich ablesen, dass er vielleicht doch etwas angespannt ist.
Die Planung steht. Zermürbend wirkt sich jetzt die Warterei aus, die Ungewissheit, ob nun grünes Licht aus Bonn kommt oder nicht. Auch ist relativ ungewiss, was uns in Tirana erwartet. Als gegen 11 Uhr das Ministerbüro anruft, schickt Glawatz alle aus der Operationszentrale. Danach geht alles rasend schnell, Zeit für persönliche Gedanken bleibt nicht mehr.
Die stolze Rückkehr in Sarajevo-Rajlovac nach der Rettung. Der letzte Heli ist "meiner".
Mich hat sehr beeindruckt, dass die Geheimhaltung so gut geklappt hat. Seit kurz vor Mitternacht wusste ich von dem Unternehmen, viele andere mussten eingeweiht werden. Trotzdem haben alle den Geheimschutz gewahrt, bis die letzte CH 53 wieder gelandet war und gemeldet werden konnte: Alle sind in Sicherheit. Danke!
Haben wir Glück gehabt? Ja, mag sein. Aber ein Hasardeur-Stück war die Operation nun wirklich nicht, egal, wie es die Medien vielleicht darstellen mögen. Bewaffnung und Ausrüstung reichten aus; die Planung war so fundiert, wie es unter den turbulenten Rahmenbedingungen überhaupt möglich sein konnte. Das Unangenehmste für mich ist der Rückflug über Mostar: Müde, in meinem Hubschrauber befindet sich noch ein VW-Bus und jede Menge Ausrüstung, sind wir auf Plätze im schwankenden Heck verdrängt. Langsam wächst die Übelkeit.
Die Landung im Feldlager in Rajlovac aber entschädigt dafür: Was für ein bewegender Empfang! Sogar auf dem Ausleger des Kranwagens haben sich Soldaten Plätze gesichert, um die Landung der sechs Hubschrauber des Einsatzverbandes Libelle mitzuerleben. Wer, erschöpft von der erfolgreichen Aktion, über die Heckrampe ins Freie tritt, muss tief schlucken ob eines Jubels wie im Fußballstadion, ob der Horrido-Joho-Rufe und des stürmischen Beifalls. "Unüblich für Soldaten", stellt der Nationale Befehlshaber, Generalmajor Klaus Frühhaber, fest, während die Fernsehkameras surren. Aber der Applaus verdeutlicht das Außergewöhnliche des Unternehmens. Da erlaube ich mir, ein ganz klein wenig stolz darauf zu sein, dass ich dazugehört habe.

12. April 1997 – Schutzschirm für den Papst

"Colombo, noch 20 Minuten." 12. April 1997, der Papst im Anflug auf Sarajevo. Eine gespenstische Atmosphäre: Die Stadt ist, scheinbar, wieder so menschenleer wie drei Monate zuvor. Aber 11.000 Polizisten sind in Bereitschaft; in den Nebenstraßen warten versteckt deutsche, französische und italienische Panzer; auf den Dächern sind SFOR-Scharfschützen in Stellung gegangen. "Colombo minus 14" – im Funkführungskreis wird es plötzlich hektisch: "Eine Gruppe Männer baut da irgendwas nahe dem Flughafen in der Einflugschneise auf", meldet ein deutscher Spähtrupp. "Können Sie Näheres erkennen?" – "Die Männer tragen Tarnuniformen. Das Ding sieht aus wie ein Bügelbrett."
"Colombo minus zehn." – "Schnell, fahren Sie sofort hin." – "Geht nicht, zu weit entfernt, dazwischen liegt ein Tal." Hektische Aktivitäten hinter den Kulissen: Soll der Landeanflug des Alitalia-Jets sicherheitshalber abgebrochen werden? "Colombo minus fünf", meldet die Stimme im Funkgerät. Und überraschend folgt die Entwarnung: Die Alliierten haben sich gemeldet, die Verdächtigen sind italienische Artilleriebeobachter, die ihren Papst aus der Nähe sehen wollen und deshalb ihr Gerät aufgebaut hatten.
Trotzdem: Die Anspannung bleibt, denn von Entwarnung kann allgemein keine Rede sein. "Schon 1994 wollte Johannes Paul II. diese Reise wagen, aus Sicherheitsgründen verschob er sie jedoch auf friedlichere Zeiten. Aber auch 1997 ist dies ein Besuch unter Todesgefahr", wird zwei Tage später die Zeitung "Die Welt" berichten. 
Schneller Standortwechsel. Das gelbe Plastik-Tuch auf unserem "Wolf"-Geländewagen, das uns aus der Luft als "Freund" identifizierbar machen soll, knattert im Fahrtwind wieder ohrenbetäubend. Ich postiere mich mit dem Fahrer irgendwo einsam an einer zugigen Straßenecke der ehemaligen Sniper-Alley. Sechs Stunden vor der Ankunft von Johannes Paul II. waren hier mit Plastiksprengstoff verbundene Panzerminen samt Fernzünder unter einer Brücke entdeckt worden, über die der päpstliche Konvoi fahren sollte. In einer ersten wirren Erklärung der Behörden ist von vier alten Minen der Serben die Rede. Das Innenministerium dementiert kurz darauf, gibt die Zahl der Minen dann aber mit 23 an. Ein Attentatsversuch? Ein Propagandatrick der bosnischen Polizei, die ihre Leistungsfähigkeit beweisen wollte? Eine Drohgeste, um den Papstbesuch in letzter Minute doch noch zu verhindern? Die wildesten Gerüchte kursieren in der Stadt, sogar von einer Atombombe in einem der Hochhäuser ist die Rede. Es ist bitterkalt, schneit ab und zu – eine frostige Atmosphäre im doppelten Wortsinn.
Eine dichte Menschentraube umringt uns plötzlich. Da, wo deutsche Soldaten stehen, ist es sicher, scheinen sich diese Einheimischen wohl gedacht zu haben. Die Papst-Kolonne braust heran, ist in Sekunden in Richtung Innenstadt verschwunden.
Später, beim Gottesdienst im Kosevo-Stadion, sind 40.000 Gläubige unter Gefahr für Leib und Leben meist aus Kroatien angereist. Darüber kreisen wachsam die damals hochmodernen und noch streng geheimen amerikanischen Predator-Aufklärungsdrohnen. Ich weiß, dass sie da sind, entdecke sie aber nicht im bleigrauen Himmel. Erst Wochen später sehe ich im Hauptquartier in Zagreb die Filme, kann den Papst samt weiß-gelbem Regenschirm und, so bilde ich mir zumindest ein, sogar mich erkennen. Eine beeindruckende Technik.
Nach aufregenden 25 Stunden steigt der Papst in die Alitalia-Maschine. Mit Verspätung hebt sie ab, steigt in die schneeschweren Wolken und ist schnell außer Reichweite tragbarer Flugabwehrraketen. Vom Berghang gegenüber dem Flughafen aus setzen wir die letzte Funkmeldung an den Stab GECONSFOR ab: "Der Papst hat gesund unseren Verantwortungsbereich verlassen." Das Aufatmen scheint über Kilometer hinweg hörbar.

Text: Helmut Michelis

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