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Sicherheitspolitische Arbeit

Lage in Asien ist „sehr gespannt, aber stabil”




Symbolbild: Skyline im Geschäftsviertel von Peking.

Quelle: pixabay

Asienchinasicherheitspolitik

Professor Dr. Sven Bernhard Gareis hat als Verteidigungsattaché der Reserve an der Deutschen Botschaft in Peking gedient. Sicherheitspolitik in Asien ist seit vielen Jahren sein Arbeitsschwerpunkt. Im Interview spricht er über seine Einsätze als Verteidigungsattaché und verrät, wie er die sicherheitspolitische Lage im Südchinesischen Meer einschätzt.

Herr Professor Dr. Gareis, wann und in welcher Funktion waren Sie als Militärattaché in Asien eingesetzt?

Ich war zunächst 2003 in Malaysia als Vertreter des Verteidigungsattachés in Kuala Lumpur das erste Mal in dieser Region gewesen. Dann war ich von 2009 bis 2014 in Peking und war dort für einige Wochen im Jahr ebenfalls als Verteidigungsattaché im Einsatz. Im Sommer 2017 war ich in Tokio, dieses Jahr soll es nach Moskau gehen.

Welche Aufgaben haben Sie als Verteidigungsattaché an der Deutschen Botschaft in China wahrgenommen?

Das waren sehr viele Dinge. Wir haben über alles berichtet, was im Bereich Sicherheitspolitik und der Streitkräfte des Gastlandes wichtig war. Man arbeitet in einer Botschaft sehr eng mit der Politischen Abteilung zusammen, um Lagebeurteilungen zu erstellen. Folglich haben wir viele Berichte gemeinsam verfasst. Es hat zahlreiche Gespräche im Militärattaché-Korps gegeben, wo man sich mit Vertretern anderer Nationen und insbesondere mit den EU- und Nato-Mitgliedern besprochen hat. Der internationale Austausch und Informationen aus offenen Quellen zu sammeln ist ja das, was zum guten Teil den Job eines Verteidigungsattachés ausmacht.

Ich habe auch repräsentative Aufgaben wahrgenommen und mich zum Beispiel auf Veranstaltungen wie den Armed Forces Days der anderen Staaten sehen lassen und Netzwerke gepflegt. Darüber hinaus waren wir mit den chinesischen Behörden in Kontakt, um Delegationsbesuche aus Deutschland vorzubereiten. Der Militärattachéstab ist zum Beispiel aber auch zuständig für Überfluggenehmigungen, wenn etwa deutsche Regierungsflieger ins Land kommen.

Sie sagen, eine Aufgabe bestand darin, Berichte über das Gastland und dessen Streitkräfte zu schreiben, zum Beispiel?

Als ich im Sommer 2017 in Tokio war, gab es durchaus eine kritische Situation. Ich war dort während der nordkoreanischen Nuklearkrise, während die Dispute zwischen Kim Jong-Un und dem US-Präsident Donald Trump eskalierten. In großen Höhen wurde auch japanisches Territorium von nordkoreanischen Raketen überschossen. Zu dieser Zeit hatte ich intensive Beratungstätigkeiten für den Botschafter bzw. seinen Stellvertreter und das Botschaftspersonal zu leisten. Es kamen aber auch immer wieder Anfragen von Vertretern der deutschen Wirtschaft im Land nach einer Einschätzung, wie gefährlich die Situation tatsächlich ist.

Wie haben Sie die Situation wahrgenommen?

Es war eine heikle Phase, die durchaus sehr gefährlich wirkte. Die Drohungen, die aus dem Weißen Haus kamen, dass der „kleine Raketenmann“ dem eigenen Untergang entgegensähe, sollte er eine Aggression unternehmen, klangen bedrohlicher, als die Lage letzten Endes war. Das war auch unsere und meine Einschätzung vor Ort. Keiner ist davon ausgegangen, dass es zu einem Angriff seitens Nordkoreas auf Gebiete der Vereinigten Staaten kommen würde. Es hat auch niemand geglaubt, dass Südkorea und Japan wirklich Ziel eines nordkoreanischen Militärschlages würden. Aber es war schon eine gespannte Situation.

Profitieren Sie bei solchen Einschätzungen auch von Ihrer akademischen Fachexpertise?

Ja gut, Sicherheitspolitik in Asien ist seit Jahrzehnten eines meiner wichtigsten wissenschaftlichen Arbeitsgebiete. Letztlich war das auch der Grund, warum ich Ende der 1990er Jahre in die Militärattaché-Reserve aufgenommen wurde. In meiner Bewerbung hatte ich angeboten, meine regionale Expertise einzubringen – und mir gewünscht, im asiatischen Bereich eingesetzt zu werden. So haben beide Seiten sehr profitiert. Ich hatte dann Glück, dass ich 2002 an einem internationalen Lehrgang der Nationalen Verteidigungsuniversität der Volksrepublik China teilnehmen konnte. Dadurch habe ich recht gute Einblicke in die nach außen doch sehr verschlossene chinesische Volksbefreiungsarmee bekommen.

Der Lehrgang gehörte zur Vorbereitung dazu?

Zur Vorbereitung auf ihre Verwendung gehen Militärattachés in der Regel auf längere Lehrgänge im Gastland, um mehr über dessen Streitkräfte zu erfahren und auch um die Sprachkenntnisse zu vertiefen. Der Lehrgang in China wurde und wird auch von unseren aktiven Militärattachés besucht. Ich hatte Glück, dass gerade kein Bedarf für einen aktiven Attaché-Anwärter bestand. Ich wurde wegen meiner Regionalexpertise vorgeschlagen und man hat mich hingeschickt. Es war, wie immer bei solchen Gelegenheiten, eine Veranstaltung, bei der sich die Volksbefreiungsarmee und auch das Land selbst präsentierte. Wir hatten viele Vorträge und sogar recht offene Diskussionen, haben Truppenteile aller Teilstreitkräfte besucht, hatten ein sehr ordentliches Kultur- und Landeskundeprogramm und tauschten uns auch mit den chinesischen und internationalen Lehrgangskameraden aus. Für chinesische Verhältnisse war das sehr lehrreich und spannend. Es war aber natürlich auch eine kontrollierte Showcase-Veranstaltung.

 

Inwiefern hat sich Ihre Tätigkeit als Militärattaché für Ihre akademische Karriere ausgezahlt?

Natürlich habe ich von diesen praktischen Einsichten sehr stark profitiert. Fast alles konnte ich in meine akademische Arbeit und vor allem in meine Lehre an der Führungsakademie der Bundeswehr umsetzen, wo ich viele Jahre über China unterrichtet habe. Meine Eindrücke und Erfahrungen habe ich an Offiziere in der Generalstabsausbildung weitergegeben. Auch haben mich etliche Verteidigungs- bzw. Militärattachés in Vorbereitung auf ihre Verwendung angerufen. Dann haben wir uns zusammengesetzt und besprochen, wie man in China lebt und sich verhält.

Im Südchinesischen Meer gibt es viele kleine Inseln, die im Zentrum von Territorialkonflikten stehen. Sechs Staaten in der Region beanspruchen teilweise dieselben Gebiete für sich. Wie schätzen Sie die Situation in der Region derzeit ein?

Sie ist sehr gespannt, aber insgesamt doch stabil. Es gibt in Ostasien ganz unterschiedliche Konflikte in ganz unterschiedlichen Konstellationen. Es gibt die Senkaku/Diaoyu-Inseln nördlich von Taiwan im Ostchinesischen Meer, die zwischen China und Japan umstritten sind. Es gibt im Japanischen Meer einen Disput, den Japan mit beiden Koreas um die Dokdo/Takeshima-Inselgruppe führt. Wir haben im Südchinesischen Meer die Spratley- und Paracel-Inseln, um die sich die Volksrepublik China und fünf weitere Anrainer streiten. Die Volksrepublik ist sicherlich die stärkste Macht und versucht, Fakten zu schaffen, indem künstliche Inseln aufgeschüttet und militärische Einheiten stationiert werden.

Aber auch Taiwan unterhält eine Militärbasis auf der Insel Taiping mitten in der Südchinesischen See. Vietnam beansprucht ebenfalls zahlreiche Inseln und hält einige von ihnen besetzt. Zwar gab es 2016 einen Spruch des internationalen Schiedshofes in Den Haag, dass die umfassenden Gebietsansprüche Chinas keine rechtliche Grundlage haben. China lehnt dieses Urteil rundweg ab – und so bleibt das politische Problem widerstreitender Forderungen weiterhin ungelöst.

Wir haben immer wieder gesehen, dass vor allem China, aber auch Vietnam und die Philippinen die Inseldispute zumeist aus innenpolitisch-nationalistischen Gründen hochgefahren haben. Nationalismus ist in der gesamten Region stark verbreitet. Grundsätzlich liegt das überragende Interesse aller Beteiligten in der Region aber in einer gedeihlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit – innerhalb derer natürlich China eine sehr starke Position einnimmt.

Im Südchinesischen Meer sind viele für den Welthandel sehr wichtige Schifffahrtsrouten. Welche Rolle spielt die Wirtschaft für die Stabilität in der Region?

China ist vor Japan die stärkste wirtschaftliche Macht in der Region und spielt diese Karte natürlich aus. Praktisch alle Anrainer profitieren wirtschaftlich von ihren engen Verflechtungen mit China und sind folglich vorsichtig, sich mit der Volksrepublik wirklich anzulegen. Tatsächlich will niemand in der Region einen großen Knall.

In der Region sind auch die USA mit ihren Freedom of Navigation Operations (FoNOps) präsent. Dieser militärisch weitaus stärkeren Macht gegenüber versucht China zwar Flagge zu zeigen, hält sich aber immer wieder zurück, weil man keine Konfrontation mit den USA in Kauf nehmen möchte. Es wäre nicht nur eine Katastrophe für die Region und die Welt, wenn es dort zu einer größeren Auseinandersetzung kommen würde. China würde als der große Verlierer vom Platz gehen – und das weiß Beijing auch.

Wie schätzen Sie das zunehmend selbstbewusste Auftreten Chinas in der Region ein, als illegitimen, aggressiven Akt oder als normales Vorgehen einer aufstrebenden Weltmacht?

Natürlich trumpft China machtpolitisch auf. Aber es ist schwieriger: Vor allem das Verhältnis zwischen China und Japan ist stark widersprüchlich. Zum einen sind die beiden Volkswirtschaften aufs Engste miteinander verwoben. Japan war stets ein wichtiger Akteur im Transformationsprozess der chinesischen Wirtschaft und ist weiterhin ein wichtiger Pfeiler, als Lieferant und Produzent, der in China Millionen gut bezahlter Arbeitsplätze schafft. Auf der einen Seite stehen die historischen Belastungen, die sich dann beispielsweise in den Inseldisputen Bahn brechen. Dort gehen die meisten Provokationen von China aus. So schmerzt es die chinesische Seele, wenn in japanischen Geschichtsbüchern versucht wird, die Verheerungen in China im Zweiten Weltkrieg und namentlich das Nanjing-Massaker von 1937/38 mit mehr als 300000 Toten, kleinzureden. Es ist eine historisch belastete Beziehung, aber eben auch eine sehr enge wirtschaftiche Verflechtung. Allerdings tritt auch China, das auf eine Jahrtausende lange Vormachtstellung in Ostasien zurückblickt, gegenüber den kleineren Nachbarn sehr resolut auf und verwehrt seinen früheren Tributstaaten den Respekt, den es von stärkeren Akteuren wie den USA ganz selbstverständlich einfordert. Beijing provoziert so ebenfalls nationalistische Abwehrreaktionen. Aufgrund der mangelnden Bereitschaft vieler Staaten, sich auch mit ihren historischen Verfehlungen und Defiziten auseinanderzusetzen, bleibt die Geschichte in Ostasien eine scharfe Waffe, die gerade aus innenpolitischen Gründen immer wieder gerne gezückt wird.

Herr Professor Gareis, vielen Dank für das Gespräch!

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