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Von der Unterhose bis zum Schützenpanzer




Das neue Ausrüstungskonzept "Infanterist der Zukunft" soll einen Hightech-Krieger erschaffen. Von der Funktionswäsche bis zum "elektronischen Rücken" greift hier alles ineinander, um die Kampfkraft zu erhöhen. Doch es besteht die Gefahr, dass die Technik den Menschen überfordert.

Von Julia Egleder ("loyal", März 2016)

Soldaten, die in Afghanistan waren, kennen das: In der sengenden Hitze Zentralasiens hängt die Kleidung wie ein nasses Tuch am Körper, der Helm drückt auf den Nacken und schränkt jede Bewegung ein. Die zehn Kilogramm schwere Kampfweste klemmt den Körper ein wie in einem Schraubstock und lässt jede Drehung roboterartig und schwerfällig wirken. Unter der Weste staut sich die Hitze und tritt bei jeder Bewegung in einer kleinen, warmen Wolke hervor.
Schutz und Beweglichkeit des Soldaten – das war schon immer ein schwer aufzulösender Gegensatz. In Afghanistan führte das dazu, dass die teilweise mit bis zu 40 Kilogramm bepackten Soldaten nur wenige Stunden bei 50 Grad Celsius zu Fuß patrouillieren konnten. Damit soll nun Schluss sein. Am neuen "Infanterist der Zukunft" haben Afghanistan-Veteranen mitgewirkt. Ihre Erfahrungen sind in ein neues Bekleidungs- und Technikkonzept eingeflossen. Der Infanterist soll künftig nur noch das tragen, was er im Kampf wirklich braucht.

Doch was genau das ist, daran scheiden sich die Geister. Helm, Weste, Waffe, Munition – klar, das benötigt jeder. Aber braucht der Soldat auch einen GPS-Empfänger, ein Funk-Headset und einen Computer mit digitalem Display, der ihn mit seinen Kameraden und höheren Entscheidungsebenen vernetzt? Die Panzergrenadiertruppe sagt: Ja. Und nicht nur das. Sie betrachtet den Soldaten von morgen nicht mehr für sich allein, sondern gleich im Verbund mit seinem Hauptwaffensystem. Ihr Ausrüstungskonzept reicht künftig von der Unterwäsche bis zum Schützenpanzer.

Besuch auf dem Truppenübungsplatz Munster: Noch ist die neue Ausrüstung in großen dunkelgrünen Truhen verstaut. Doch die ersten Soldaten, die sie in der speziellen Konfiguration für die Panzergrenadiere bekommen sollen, warten bereits darauf, sie auszuprobieren. Sie sind vom Panzergrenadierbataillon 33 aus Neustadt am Rübenberge. Ihre Ausbildung ist Aufgabe der "Einführungsorganisation Puma" (EFO Puma). Sie wurde geschaffen, um den Panzergrenadieren das Zusammenwirken des neuen Schützenpanzers und der persönlichen Ausrüstung zu erklären. Das braucht viel Zeit.

Allein das Bekleidungskonzept ist höchst komplex. Es beginnt bei Unterhose und Unterhemd. Allein davon gibt es drei Ausführungen, abhängig von der Klimazone, in der der Einsatz stattfindet. Im Temperaturbereich von minus 32 Grad bis plus 45 Grad Celsius soll kein Soldat mehr frieren oder schwitzen. Die Winterunterwäsche besteht aus dunkelgrauer, flauschiger Merinowolle. "Sie ist in Kanada getestet worden", sagt Oberstleutnant Jens Scherer vom EFO Puma. Daneben liegt ein leichtes, eierschalenfarbenes Unterwäsche-Set. Es sieht aus wie Skikleidung und besteht aus Baumwoll-Synthetikgewebe, das auch Leistungssportler gern tragen. Das Material leitet Wärme und Feuchtigkeit nach außen. Wenn es dem Soldaten trotzdem zu warm wird, kann er mit einem Handgriff per Fernsteuerung die Belüftung einschalten. Sie wurde in die neue, sogenannte weichballistische Schutzweste der Klasse eins eingebaut. Diese Weste soll kleinkalibrigem Beschuss standhalten. Darüber kann noch eine Weste der Schutzklasse vier gezogen werden, ausgestattet mit Keramikplatten, die den Durchschuss mit Hartkernmunition aus Langwaffen verhindern. Auch ein Combatshirt gehört jetzt zur Ausstattung. Viele Soldaten wird das freuen. Sie kauften sich das Shirt bisher selbst, weil es gegenüber der bisherigen Bundeswehrkleidung viele Vorteile aufwies, praktisch war, nicht auftrug und auch unter der heißen Sonne Afghanistans angenehm zu tragen ist. In den Feldlagern war das Combatshirt ein Verkaufsschlager. Es besteht aus einem eng anliegenden, anschmiegsamen Teil, der den Oberkörper bedeckt, und den Armteilen einer Kampfweste aus robustem Stoff.

Generell sollen die Soldaten in Zukunft nichts mehr dazukaufen müssen. Deshalb nahmen sich die Entwickler auch den Helm vor, mit dem viele Soldaten unzufrieden waren. Der neue Kopfschutz ist nun um einiges leichter als der Vorgänger und lässt im Nacken Platz für den Splitterschutzkragen. An den Ohren ist genügend Raum für das Headset, an der Stirnseite kann das neue Helmdisplay angebracht werden.

Die Entwickler betonen, dass sie sich streng an den Bedürfnissen der Soldaten orientiert hätten. Was keinen wirklichen Fortschritt gebracht habe, wurde wieder verworfen. So zum Beispiel eine Kampfhose mit einem Reißverschluss über dem Po für den schnellen Toilettengang. Dabei wäre nur das Hinterteil freigelegt worden, allerdings hätte sich der Soldat, um sich nicht zu beschmutzen, in der Hocke weit nach vorn beugen müssen. Das erwies sich als unpraktikabel. Die Testpersonen kippten aufgrund des hohen Ausrüstungsgewichts leicht vornüber. Nun wurde ein anderes Modell geschaffen, damit sich Soldaten im Feld schnell erleichtern können. Die Kampfhose wurde mit Hosenträgern aus Gummi versehen, die sich mit einem Klettverschluss von der Hose trennen lassen.

Die neue Bekleidung dürfte zum Besten gehören, was Armeen weltweit zu bieten haben. Sie schützt gegen Nässe, Kälte, Feuer und giftige Insekten, passt sich ergonomisch dem Körper an und ist funktional. Die Tester reisten durch die ganze Welt, durchstanden feucht-kaltes Klima in Österreich, trocken-kaltes Wetter in Schweden, feucht-heiße Umgebung in Französisch-Guyana und trocken-heiße in Spanien.

Von der Unterhose bis zum G36 soll bei der zweiten Generation des Systems "Infanterist der Zukunft" alles zueinander passen. Die verschiedenen Lagen sollen miteinander "kommunizieren". Bei der ersten Generation war das noch anders. Die Einzelteile wurden damals schnell zusammengeklaubt. Gekauft wurde, was der Markt hergab, nicht unbedingt, was zusammenpasste. Die neuen Auslandseinsätze in Somalia und auf dem Balkan Anfang und Mitte der 1990er Jahre verlangten nach schnell einsetzbaren, leicht verlegbaren Truppen. Sie sollten ausgerüstet werden mit der neuesten Technik, die "Revolution in Military Affairs" war gerade voll in Gange. So war das Grundsystem "Infanterist der Zukunft" ein Sammelsurium einzelner Teile, ihm lag aber kein zusammenhängendes Konzept zugrunde. Erst eine Dekade und viele Erfahrungen später machte sich die Industrie unter Beratung der Infanterieschule daran, ein durchdachtes, ausgeklügeltes System zu entwerfen, bei dem alles ineinander greift: Kleidung, Ausrüstung und Technik.

Ob das Konzept etwas taugt, zeigt sich in Munster. Die Soldaten aus Neustadt am Rübenberge treffen sich auf der Schießbahn 17. Vor ihnen liegt eine mit Gras und Gestrüpp bewachsene Fläche, der Wind pfeift über die Heide. Etwa 100 Meter entfernt ragen Häuserfassaden aus dem Boden. Hörsaalleiter Hauptfeldwebel René Sandau ist von Panzergrenadieren umringt, alle in voller Montur. Aus den gepanzerten Westen der Männer ragen Kabel und Antennen. Anstatt eines Rucksacks tragen sie einen "elektronischen Rücken". Er besteht aus einem Computer, einem GPS-Gerät und länglichen Akkus, die die Elektronik mit Strom versorgen. Verkabelt sind sie mit schweren Steckverschlüssen. Der "elektronische Rücken" gilt als größtes Manko des neuen "IdZ". Er ist knapp zehn Kilogramm schwer und leistet doch nicht mehr als ein modernes Smartphone. Aber: "Er muss auch noch bei minus 15 Grad verlässlich funktionieren, was ein Handy oder Laptop nicht kann", sagt Scherer. Immerhin: Wie ein guter Wanderrucksack liegt die Kampfweste mit dem elektronischen Rücken auf der Hüfte auf. Sie zieht nicht mehr schwer an den Schultern. Es sollte nun weniger Rückenprobleme bei den Soldaten geben.

Mit ruhiger Stimme erklärt Hauptfeldwebel Sandau den Männern folgendes Übungsszenario: Der Gegner greift einen Beobachtungsposten an. Die Soldaten rufen den "Puma" und seine Besatzung zur Verstärkung. "Ziel ist es, den Beobachtungsposten zu verteidigen und die feindlichen Kämpfer zurückzudrängen", instruiert Sandau die Panzergrenadiere.

Die Soldaten ziehen sich in den "Puma" zurück. Dort geht Sandau über die Bordsprechanlage mit der Besatzung noch einmal das Vorgehen durch: Die Soldaten sollen das Fahrzeug schnell verlassen, die Umgebung sichern und Stellung beziehen. Der "Puma" ist so entwickelt worden, dass er mit dem neuen "Infanterist der Zukunft" zusammenpasst. Die Soldaten passen auch mit voller Ausrüstung in die Sitze und können ihren elektronischen Rücken an Kabel über ihren Köpfen anschließen.
"Fertigmachen zum Absitzen", befiehlt Sandau über die Bordsprechanlage. Die Hecklappe öffnet sich, die Panzergrenadiere springen aus dem "Puma" hinter einer Mauer. "Feind aufgeklärt", gibt einer der Soldaten über sein Headset an die anderen durch. Und: "Feind schießt". Die Panzergrenadiere erwidern das Feuer. Leuchtmunition fliegt durch die Heide. In diesem Gefechtslärm haben die Soldaten früher kaum ein Wort verstanden, verbale Verständigung war schwierig. Nun ist es anders: "Mit dem neuen Sprechsatz muss im Gefecht keiner mehr brüllen", erklärt Oberstleutnant Scherer.

Der Flüsterfunk ist auf dem neuesten Stand der Technik: Das Mikrofon im Ohr nimmt die Sprache über den Backenknochen ab, auch bei lauten Umgebungsgeräuschen wie einem Schusswechsel können sich die Männer noch gegenseitig hören und die Ohren sind geschützt. "Das ist ideal bei Nachtpatrouillen", erklärt Scherer "Da können die Soldaten jetzt flüstern." Doch es gibt auch einen Nachteil: Er entsteht, wenn ein Soldat direkt mit einem anderen spricht und gleichzeitig im Headset eine Stimme auftaucht. Dann wird es leicht verwirrend.

Und das ist noch nicht alles. Der Infanterist der Zukunft hat noch viel mehr Informationen zu verarbeiten. Kein Soldat wurde jemals mit so vielen technischen Informationen aus seiner direkten Umgebung versorgt. In ein am Helm über dem linken Auge befestigtes Display kann eine virtuelle Lagekarte eingespielt werden, auf der der Soldat Freund und Feind erkennt. Blaue Kreuzchen zeigen die Positionen der Kameraden, rote die der Gegner. Daneben werden eingehende Textnachrichten der Kameraden eingeblendet, der Akkustand und wo sich der nächste Satellit befindet. Die Technik soll Instinkt und Sinne der Soldaten ergänzen.

Das sehen allerdings nicht alle Truppengattungen der Infanterie so. Bei den Fallschirmjägern scheint es eine erhebliche Skepsis gegenüber dem Hightech-Material zu geben. "Vieles von dem Zeug wird bei uns niemals die Waffenkammer und Zugkeller verlassen, weil es für den Einsatz unpraktikabel ist und die Soldaten von der Informationsflut überfordert sind", sagt ein hoher Fallschirmjägeroffizier auf Nachfrage von loyal.

Zurück in Munster: "Feind vernichtet", tönt es jetzt im Kopfhörer. Hörsaalleiter Rene Sandau, der in der Übung auch die Rolle des Zugführers übernimmt, streicht auf seinem Führungsrechner den getroffenen feindlichen Soldaten aus der virtuellen Lagekarte und sendet eine aktualisierte Fassung an seinen Schützentrupp weiter. "Der Soldat im Feld wird zum Sensor. Er kann seine Beobachtungen weitergeben und dazu beitragen, dass alle umfassend  informiert sind", erklärt Scherer. Der berühmte "Nebel des Krieges", der laut dem preußischen Militärstrategen Carl von Clausewitz die Soldaten von einer realistischen Beurteilung der Lage abhält, soll damit vertrieben werden. Ein permanenter Informationsfluss bewegt sich vom Soldaten weg und zu ihm zurück.

Auch der "Puma", das "Mutterschiff" der Grenadiere, ist in den Informationsfluss eingebunden. Mit seiner 30-Millimeter-Kanone kann er Ziele erfassen, die für die Soldaten mit ihren Maschinen- oder Sturmgewehren nur schwer erreichbar sind.
Aber was ist, wenn die Technik ausfällt? Wenn ein Soldat im Einsatz von den anderen abgeschnitten wird oder sein "elektronischer Rücken" den Geist aufgibt? Oder wenn der Akku leer ist? Dann müssen die Panzergrenadiere die alten Verfahren anwenden. Dann rufen sie sich die Meldungen wieder zu oder notieren sie auf einem Zettel und lassen sie von einem Melder überbringen. Das dauert zwar länger, ist ungenauer und gefährlicher. Funktioniert aber auch ohne Computer und Strom.

Hier geht es zu einem Videobeitrag der Bundeswehr über den Infanterist der Zukunft.

Der neue "IdZ" hat Vor- und Nachteile. Er droht die Soldaten aufgrund der vielen Elektronik und der Datenflut zu überfordern. Einerseits. Andererseits ist das Bekleidungskonzept durchaus überzeugend, zumal die Soldaten künftig auch aus verschiedenen Modellen ihre Kampfschuhe wählen können (siehe loyal  01/16). Damit ist die Bundeswehr international vorn dabei. "Das System verlangt viel vom einzelnen Soldaten", räumt Alexander Z., Hauptfeldwebel beim Panzergrenadierbataillon 33, nach der Übung in Munster ein. "Da ist schon eine lange und umfassende Ausbildung nötig."

Die erste Übung verlief jedenfalls erfolgreich. Vier feindliche Schützen wurden getötet, der Beobachtungsposten gehalten und der Gegner zurückgedrängt. Mission erfüllt. Für heute. Denn bis die Panzergrenadiere mit der neuen Ausrüstung und ihrem neuen Schützenpanzer voll vertraut sind, werden noch viele Monate vergehen.
 


Bilder oben: Infanteristin der Zukunft (IdZ). Lage für Lage
baut die Kleidung aufeinander auf – von der Unterwäsche
bis zum Helm (Foto: Andreas Arnold).

2. Bild: Digitale Lagekarte: Im Helmdisplay sieht der Soldat,
wo er sich im Feld befindet und wo der Gegner steht (Foto: Andreas Arnold).

3. Bild: Schützentruppführer René Sandau, in der Hand
den tragbaren Führungsrechner, im Hintergrund
der neue Schützenpanzer "Puma" (Foto: Andreas Arnold).

4. Bild: Der Soldat trägt Rechner, Funkgerät, GPS-Empfänger
und Akkus bei sich, verbunden mit dicken Kabeln
und schweren Steckern (Foto: Andreas Arnold).

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