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Warum eine Europäisierung der Verteidigungsindustrie notwendig ist




Diskutierten auf dem Podium bei der RAG Brüssel: Riho Terras, Michael Gahler, Ralf Ketzel und Pieter Taal (v.l.n.r.).

Foto: Benjamin Vorhölter

Der Krieg in der Ukraine ist ein Warnschuss für Europa. Nach mehr als acht Monaten blutigen Krieges zeichnet sich eine der Lehren ab, die die europäischen Mitgliedsstaaten ziehen können: Wir brauchen mehr Europa in der Verteidigung.  Der europäischen Verteidigungsindustrie kommt hierbei eine Schlüsselrolle sowohl für die Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Aggressor als auch für die Ausrüstung europäischer Streitkräfte zu. Angesichts der aktuellen Bedrohungslage und einer langen Zeit der Vernachlässigung der Ausrüstung unserer Streitkräfte stellt sich nun die Frage: Welche Erwartungen hat die Politik an die Verteidigungsindustrie?

„Wir können nur Erwartungen erfüllen, die wir kennen“, sagte Ralf Ketzel, Vorsitzender der Geschäftsführung von Krauss-Maffei Wegmann (KMW), bei der von der Reservistenarbeitsgemeinschaft (RAG) Brüssel organisierten Diskussion zum Stand und den Perspektiven der europäischen Verteidigungsindustrie. Der KMW-Chef diskutierte dabei mit dem ehemaligen Verteidigungschef der estnischen Armee, General a.D. Riho Terras (jetzt Mitglied des Europäischen Parlaments), Pieter Taal von der Europäischen Verteidigungsagentur und Michael Gahler, Vorsitzender der RAG Brüssel und Mitglied des Europäischen Parlaments.

Ralf Ketzel gab zu Bedenken, dass die Branche mangels klar formulierter politischer Forderungen heute nur vermuten könne, welchen Bedarf die Politik an die Industrie stelle.  Die Überlegenheit moderner Technologie könne einen entscheidenden Unterschied machen, ergänzte Riho Terras. Vor dem Hintergrund zukünftiger Anforderungen müssten europäische Armeen mobiler, modularer und interoperabler werden, beschrieb Ralf Ketzel seine Einschätzung zu den zukünftigen politischen Anforderungen.

Auf die Skalierbarkeit kommt es an

General a.D. Riho Terras fragte: „Warum mir einen Mercedes Benz verkaufen, wenn ich ein Fahrzeug brauche, das die gleiche Leistung bringt und weniger kostet?“ Seiner Ansicht nach müsse die Branche nicht nur darüber nachdenken, was das Beste sei, sondern auch, was zweckmäßig sei, insbesondere angesichts der begrenzten Budgets kleinerer Mitgliedsstaaten. Dabei verwies er auf die Entscheidung Estlands, Haubitzen vom Typ K9 Thunder aus Südkorea zu beschaffen, zu der als Chef der estnischen Armee beigetragen hatte: „Es war eine sehr einfache Entscheidung, wenn man bedenkt, dass man für dieses System fast die Hälfte bezahlt als für eine Panzerhaubitze 2000 und es aber die gleichen Dinge tut. Die Vorstellungen von Qualität und Preisvorteil sind sehr unterschiedlich. Ich kann viel mehr Systeme kaufen, wenn ich nicht so teure verwende. Daher würde ich sagen, dass die Skalierbarkeit wichtig ist, aber die Industrie muss über die Möglichkeit nachdenken, etwas günstigere Systeme zu entwickeln.“ Mit Blick auf Skaleneffekte sagte Terras, die Beschaffung von zwei bis drei Varianten eines Systems könne den EU-Mitgliedsstaaten individuelle Anpassungen ermöglichen und es erleichtern, kleine und mittelständische Unternehmen in die Produktion einzubeziehen. Pieter Taal von der Europäischen Verteidigungsagentur teilte diese Perspektive. Einerseits sei die technologische Dominanz wichtig, andererseits stellt er heraus: „Es gibt keine Einheitslösung. Daher könnte es eine Antwort sein, mehr Variationen desselben Produkts zu haben.“

„Wir müssen in der Lage sein, europäische Armeen mit ordentlichen Waffen auszustatten“, erwiderte Ketzel.  „Wer echte europäische Souveränität will, braucht dafür eine leistungsfähige europäische Industrie, die auch europäisch beauftragt wird“, fügte er hinzu. Allerdings zeige die aktuelle Debatte in Deutschland um das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, wie gespalten die Politik über künftige Verteidigungsprojekte sei. Eine europäische Initiative könnte schwierige Fragen der Finanzierung dringend benötigter und zugleich sehr teurer Systeme lösen sowie gleichzeitig Skalierbarkeit ermöglichen. Als Beispiel führte Ketzel einen kürzlich zwischen KMW und der britischen Armee geschlossenen Vertrag über die Lieferung von 600 Fahrzeugen an. Dafür hat KMW vereinbart, die Produktion mit britischen Partnern und in Großbritannien aufzubauen. „Die Briten haben das Problem der Skalierbarkeit verstanden“, sagte Ketzel. Seiner Ansicht nach würden nur europaweite Projekte wie dieses eine Skalierbarkeit ermöglichen. Auch die deutsch-französische Zusammenarbeit zur Entwicklung eines „Main Ground Combat System“ (MGCS) könne ein Wegbereiter für mehr Zusammenarbeit und ein gemeinsames Verständnis der Verteidigungsindustrie sein. Entscheidend sei allerdings, so KMW-Chef Ketzel, dass die Anzahl der zu beschaffenden Fahrzeuge ausreichend groß sei. Nationale Lösungen mit geringer Stückzahl seien vergleichsweise teuer in der Anschaffung sowie kostenintensiv in der Wartung.

Kooperation bedeutet größere Versorgungssicherheit

Mehr Kooperation bedeutet gleichzeitig auch größere Versorgungssicherheit, was ebenfalls im Verlauf der Diskussion deutlich wurde. Die Covid-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben die Risiken der Unterbrechung globaler Lieferketten deutlich gemacht. Vor diesem Hintergrund sei es nicht verständlich, warum Polen Kampfpanzer aus Südkorea gekauft hat, sagte Michael Gahler. „Das ist keine Solidarität gegenüber den Mitgliedsstaaten und im Nato-Rahmen“, sagte der Europaabgeordnete. Eine ähnliche Abhängigkeit von Rohstoffen und Ressourcen wie Stahl und Elektronikkomponenten könne seiner Ansicht nach durch stärkere Kooperation innerhalb der europäischen Verteidigungsindustrie und den Aufbau größerer Produktionskapazitäten gemildert werden. „Während der Pandemie haben wir den Bedarf der Mitgliedstaaten an Impfstoffen kurzfristig geplant und gemeinsam in großem Umfang eingekauft. Dementsprechend wünsche ich mir, dass wir auch in der Verteidigungsindustrie in ähnlicher Weise verfahren“, stellte Michael Gahler heraus.

„Versorgungssicherheit ist der heilige Gral. Man kann immer danach suchen. Aber man wird ihn nie finden“, machte Pieter Taal von der Europäischen Verteidigungsagentur deutlich. Er erklärte, dass es auf europäischer Ebene einige Initiativen gibt, um eine bessere Versorgungssicherheit für die Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Aber je globaler und komplexer Lieferketten laufen, desto weniger sei die Versorgungssicherheit gewährleistet gelöst, stellte Taal klar.

Die entscheidende Frage bleibt jedoch: Was ist die politische Forderung an die europäische Verteidigungsindustrie? Pieter Taal versuchte, etwas Licht ins Dunkel zu bringen: Kurzfristig käme es darauf an, die Lagerbestände wieder aufzufüllen, woran sich mittelfristig die Frage der Versorgungssicherheit stelle, insbesondere mit Blick auf kritische Rohstoffe.  Langfristig gelte es dann, so Taal, innovative Lösungen für neue Bedrohungen zu entwickeln, um letztlich die strategische Autonomie der EU in einer sich verändernden Welt erreichen zu können. All dies müsse auch die Industrie bedenken, wobei allerdings die Kooperation der EU-Mitgliedsstaaten der entscheidende Faktor sei: „Es gibt immer noch individuelle nationale Forderungen und Verfahren. Was wir brauchen, ist eine kohärente Planung, ein längerfristiges Engagement und Zugang zu Finanzmitteln“, betonte Taal.

Über die RAG Brüssel

Geleitet wird die RAG Brüssel von StUffz d.R. Michael Gahler, Mitglied des Europäischen Parlaments. Die Reservisten laden regelmäßig zu hochkarätigen verteidigungs- und sicherheitspolitischen Diskussionen ein. Organisiert von Oberstlt. d.R. Rainer Wenning gelingt es den Reservisten immer wieder, hochkarätige Referenten zu gewinnen. Zu den Gästen der Veranstaltungen gehörten unter anderem der ehemalige deutsche Verteidigungs- und Innenminister Thomas de Maizière oder Generalleutnant a.D. Ben Hodges, Chef der US-Streitkräfte in Europa.

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