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Afghan National Army: Armee im Stützkorsett

Fast zwanzig Jahre Aufbau der afghanischen Armee zeigen Erfolge. Doch um diese zu sichern und auszubauen, müssten die NATO-Partner noch lange bleiben. In dieser Woche hat US-Präsident Joe Biden angekündigt, alle Truppen bis zum 11. September abzuziehen - dem 20. Jahrestag der Anschläge auf New York und Washington.

Ausbildung von ANA-Soldaten durch US-Soldaten.

Foto: Staff Sgt. Gary A. Witte

Afghanistan

Die Afghanische Armee von heute ist der historisch fünfte Versuch, dem Land reguläre Streitkräfte zu verschaffen. Bisherige Aufbauversuche zerschlugen Invasoren, oder sie zerfielen im Bürgerkrieg. Letzteres droht auch dem Projekt Afghanische Nationalarmee, das die Vereinigten Staaten mit ihren NATO-Verbündeten 2002 aus der Taufe hoben. Denn der Abzug der Westmächte vom Hindukusch zeichnet sich ab. Ohne deren Unterstützung ist die Afghan National Army – kurz ANA – fast 20 Jahre seit ihrer Gründung nicht durchhaltefähig.

Das hat Gründe. Nach der Vertreibung der Taliban 2001 begannen US-Militärplaner umgehend damit, die ANA zu konzipieren. Es galt die Devise, rasch und günstig Streitkräfte aufzuziehen, die Aufstandsbekämpfung leisten. Die Amerikaner und ihre europäischen Verbündeten wie Deutschland wollten ein zweites „Bosnienszenario“ vermeiden. Das heißt, mit großen Truppenkontingenten in der Fläche präsent sein. Aus dieser Motivation entstand folgendes Streitkräfte-Konzept: Was an Verbänden diverser Warlords im Feld steht, bildet eine Nationalarmee von 70.000 Mann. Zusammengefügt über ein Machtteilungsabkommen; mit etwas US-Training samt Ausrüstung als Kitt. Dieser Ansatz, eine reguläre afghanische Armee zu bilden, erwies sich als derart stümperhaft, dass ihn die USA bereits 2003 abbrechen mussten. Eine handlungsfähige Armee, die verlässlich für die Regierung in Kabul kämpft, ließ sich so nicht schaffen.

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Erst danach wurde der ANA-Aufbau strukturiert angegangen. Beispielsweise mit einem nationalen Rekrutierungszentrum in Kabul und einem dichten Mentoring durch NATO-Soldaten bis in die Operationen. Doch mit der anfänglichen Inkonsequenz vergeudete der Westen wertvolle Zeit. 2006 hatten sich die Taliban von ihrer Niederlage erholt und konsolidiert, wie der aktuelle Report der Afghanistan-Studiengruppe des US-Kongresses feststellt. Seitdem steht der ANA-Aufbau unter Druck koordinierter Attacken der radikal-islamischen Miliz im gesamten Land.

Rekrutierung wird durch Desertation überboten

In der Folge weiteten die US-Militärs des Combined Security Transition Command Afghanistan in Kabul die ANA-Planzahlen stetig aus, um Territorium halten zu können. Der jüngste ANA-Zustandsbericht des US-Verteidigungsministeriums weist 178.000 „besoldungsfähige“ Soldaten aus, bei einem Stärkeziel von 208.000. Die Abnutzung der Truppe ist jedoch massiv. Die Rekrutierung wird durch Desertation überboten, wie es in dem Bericht heißt. Daten dazu gibt es für die Öffentlichkeit nicht.

Nach dem Rasch-und-günstig-Versuch wurde der Streitkräfte-Aufbau zum zentralen Projekt der USA, um das Überleben der vom Westen etablierten „Islamischen Republik Afghanistan“ zu sichern. Während die internationale Staatengemeinschaft auch den Polizei-Aufbau finanziert, ist die ANA ein fast exklusives US-Vorhaben. 88 Milliarden US-Dollar haben die Vereinigten Staaten bisher in den Aufbau afghanischer Sicherheitskräfte investiert, einen Großteil davon in die Armee. Das sind mehr als 60 Prozent der gesamten US-Hilfen für Afghanistan seit 2002, so die Angaben im jüngsten Bericht des US-Sondergeneralinspektors für den Wiederaufbau Afghanistans, John F. Sopko. Vom Sold, über Kasernen bis zu Gerät und Instandhaltung finanzieren die Amerikaner alles. Der Beitrag der NATO-Partner wie der Bundeswehr über den Afghan National Army Trust Fonds mit 1,7 Milliarden US-Dollar sind Beiwerk.

Die bisherige Aufbauarbeit trägt durchaus Früchte. Jason Campbell ist Militärexperte des US-Thinktanks RAND mit dem Spezialgebiet Aufstandsbekämpfung. Er verfolgt den Werdegang der ANA seit 2007. Nach seiner Einschätzung hat das Mentoring die taktischen Fähigkeiten deutlich verbessert. Campbell im Gespräch mit loyal: „Die erst 2008 gegründete Luftwaffe bildet mit Spezialkräften inzwischen einen schlagkräftigen Einsatzverbund gegen die Taliban und weitere Aufständische.“ Im vierten Quartal 2020 bestritten die afghanischen Special Security Forces 94 Prozent ihrer Einsätze ohne Mentoren, so der Generalinspektoren-Bericht. Allerdings ist das Operationstempo dieser Einheiten hoch und damit auch deren Abnutzung. Laut dem US-Verteidigungsministerium macht sich ein Mangel an „konsistentem Training“ bemerkbar.

Das Hauptproblem ist, dass diese Speerspitze der Armee nicht in die Offensive kommt, da der konventionelle Unterbau der ANA weiterhin dysfunktional ist. Die in sieben Korps und eine Hauptstadt-Division gegliederte Nationalarmee schafft es nicht, freigekämpfte Räume zu sichern und zu halten. Spezialkräfte nebst Luftwaffe sind als Feuerwehr im ganzen Land unterwegs, die Taliban-Attacken zerschlagen, allerdings ohne nachhaltigen Effekt. Ein Symbol dafür sind die laut US-Angaben circa 10.000 ANA-Checkpoints im ganzen Land. Mit 10 bis 20 Soldaten bemannt, ohne Führung durch einen Offizier vor Ort und logistische Unterstützung sind diese Posten militärisch wertlos. Die US-Militärplaner wollen ihre Zahl seit Jahren massiv verringern. Stattdessen sollen wenige, dafür aber befestigte „Patrol Bases“ die Raumsicherung verbessern. Doch von Seiten der Afghanen gibt es latenten Widerstand gegen das Eindampfen der Checkpoints. Der Experte für Afghanistans Sicherheitspolitik Winfried Nachtwei gegenüber loyal: „Diese Checkpoints dienen oft auch dazu, informell Wegzoll zu kassieren.“

Heimatschutz-Miliz ersetzt Lokalpolizei

Die jüngste von den US-Planern angestoßene Maßnahme, um die reguläre Armee wirksamer zu machen, ist die „Territorial Force“. Diese Heimatschutz-Miliz ersetzt die Lokalpolizei, die aufgelöst wurde. Sie sollte in den Dörfern und Gemeinden das staatliche Gewaltmonopol zur Geltung bringen, versagte aber völlig im Dauerkriegszustand. Nun soll die Miliz mehr Wirkung bei der Aufstandsbekämpfung entfalten, da sie ins Militär eingebettet ist. Desweiteren arbeiten die USA daran, vermehrt Bataillone mit spezialisierter Infanterie aufzustellen, mit denen die Spezialkräfte-Einheiten ergänzt werden, um sie durchhaltefähiger zu machen. Auch die Rekrutierung von Frauen für die ANA wird intensiviert.

Konzeptionell sind das sinnvolle Maßnahmen. Sie ändern jedoch nichts daran, dass die Afghanische Nationalarmee nur in einem Stützkorsett externer Hilfen existieren kann. Die USA haben zwar nur noch 2.500 Soldaten im Land stehen; doch allein das US-Verteidigungsministerium bezahlt mehr als 18.000 „Contractors“ für militärische Dienstleistungen, damit die ANA funktioniert – vor allem für die Luftwaffe: Rollen deren Propellerkampfflugzeuge vom Typ Super-Tucano nach Einsätzen in ihre Hangars, warten eingekaufte Firmen-Techniker auf sie. Doch nicht nur für Kampfeinsätze ist die Luftkomponente entscheidend, an ihr hängt auch die Operationslogistik. Die Versorgung am Boden ist nicht belastbar, da Konvois ständigen Angriffen ausgesetzt sind und Straßen gesprengt werden. Doch die ANA hat nur vier C-130 Herkules Transport-Maschinen. Zudem gilt: Für Überholungen muss das Fluggerät der ANA jedes Mal in NATO-Vertragsdepots nach Europa transportiert werden. Auch bei den Bodenfahrzeugen schafft die ANA nur 20 Prozent der Instandhaltung aus eigener Kompetenz, so der Report des US-Generalinspektors.

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Egal ob US-Armee, Bundeswehr und Co. im Mai oder erst später abziehen: Für einen nachhaltigen Aufbau und Erhalt der ANA müssten die NATO-Staaten für weitere zehn Jahre und länger eine aufwendige Sicherheitskooperation betreiben. „Wer von etwas anderem ausgeht, lügt sich in die Tasche“, so Jason Campbell von RAND. Er verweist auf den Irak. Dort beließen es die USA nach ihrem Abzug 2011 bei einem Mini-Beratungselement von 200 Mann für die Armee. Die wurde bald darauf vom IS hinweggefegt. Bei ihrem letzten Treffen schob die NATO Entscheidungen zu Afghanistan auf. Bemerkenswert: Für den Irak wurde hingegen eine Ausweitung der Ertüchtigungsmission von 500 auf 4.000 Soldaten beschlossen.

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