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Die neue Ostflanke




Deutsche Soldaten während einer Übung in Litauen.

Foto: Stephan Pramme

Soldaten des Jägerbataillons 413 bereiten ein Gefechtsschießen auf dem Übungsplatz Pabradė in Litauen vor.

Foto: Stephan Pramme

bundeswehrlitauennatoostflanke

Der prägende Faktor für militärische Operationen in Litauen ist das Wasser. Das sieht, wer über die Autobahn von Vilnius nach Rukla fährt – dem Garnisonsort der Bundeswehr. Stetig tauchen Wasserflächen am Wegesrand auf. Das kleine Land im Baltikum ist ein Schwamm; durchzogen von 30.000 großen und kleinen Flüssen, mit zahlreichen Mooren und Sümpfen.

„Für die Verteidigung Litauens ist das eine besondere Herausforderung“, sagt Oberst Wolfgang Schmidt. Der Kontingentführer der 13. EFP-Rotation empfängt in einem Containerbüro mit einem Bild des preußischen General-stabschef Helmuth von Moltke an der Wand. Schmidt, 53 Jahre alt, kennt sich gut aus mit den baltischen Ländern. In einer seiner letzten Verwendungen war er Referent für die Region im Verteidigungsministerium. Schmidt im Gespräch mit loyal: „Der weiche, nasse Boden und die Wasserläufe machen Litauen zu einem herausfordernden Terrain für Armeen mit ihren zahlreichen schweren Waffen. Das zwingt auch Angreifer auf bestimmte Bewegungsachsen, vornehmlich entlang der Hauptverkehrsachsen. Um dort zu verzögern, braucht es wiederum eine bewegliche mechanisierte Gefechtsführung.“

Zentraler Partner der Litauischen Streitkräfte dafür ist die Bundeswehr. Seit sieben Jahren stellen die Deutschen die Hauptkräfte eines vorgeschobenen NATO-Kampftruppenbataillons im Land – die Enhanced Forward Presence (EFP) – zur Abschreckung Russlands. Die weiteren Partnerarmeen sind die Niederlande, Norwegen, Tschechien sowie weitere Nationen im Wechsel. Das EFP-Bataillon ist Teil der Verteidigungsplanung Litauens unter Führung der Infanteriebrigade Iron Wolf, die ihren Sitz in Rukla hat. Sie bildet mit der leichten Infanteriebrigade Griffin das gesamte litauische Feldheer. Die Streitkräfte des Landes umfassen 22.000 Soldaten. Das heißt: Ohne Alliierte können die Litauer ihr Land nicht gegen eine Militärmacht wie Russland verteidigen.

Oberst Wolfgang Schmidt, Kontingentführer deutscher Anteil EFP-Bataillon. (Foto: Stephan Pramme)

Dabei geht es nicht nur um die berüchtigte Suwalki-Lücke, dem schmalen Landkorridor von Polen nach Litauen zwischen Russlands Enklave Kaliningrad und dessen Verbündetem Weißrussland. In den baltischen Ländern gibt es vier Anschlusshubs an das russische Eisenbahnnetz – alle urban und in Grenznähe, darunter Litauens Hauptstadt Vilnius. Das macht sie gegen einen russischen Angriff schwer zu halten. Fallen sie, hat Russland die wesentlichen Logistikknotenpunkte bereits in der Hand, um massiv Truppen nachzuschieben. Die Strecke von Vilnius bis zur Küste ist ein Katzensprung, die mit dem Pkw keine vier Stunden dauert.

Mit Russlands Invasion in die Ukraine im Frühjahr vergangenen Jahres verstärkte die NATO das EFP-Bataillon von circa 1.200 auf 1.700 Soldaten. Im Zuge dessen wurde auch der Posten des Kontingentführers geschaffen, zusätzlich zum Kommandeur. „Ich verantworte das Meldewesen mit dem Einsatzführungskommando, koordiniere die Zusammenarbeit mit den Litauern und übernehme die Masse der stark gewachsenen Informationsarbeit. Der EFP-Kommandeur kann sich so auf den taktischen Kern konzentrieren, besonders auf Ausbildung und Übungen“, erläutert Schmidt. Weitere Neuerungen: Die Bundeswehr hat nun einen deutschen Oberst als Training Exercice Director im Stab der Iron Wolf-Brigade, um das gemeinsame Üben zu koordinieren. Kontingentführer Schmidt: „Die Litauer arbeiten mit einem Drei-Jahres-Übungszyklus, der zweimal im Jahr die Übung Iron-Wolf zur Überprüfung der Einsatzbereitschaft vorsieht. Hier fordern die EFP-Einheiten als Feindkräfte die Litauer und umgekehrt.“

„Enhanced Vigilance Activities“

Einen Tag später auf Litauens größtem Truppenübungsplatz Pabradė, nur zwölf Kilometer von der Grenze zu Weißrussland entfernt. In einem verschneiten Waldstück schiebt sich rasselnd eine Panzerlegebrücke „Biber“ über einen Wasserlauf. Es trainiert eine weitere Bundeswehrneuheit für die Ostflanke – die EVA-Brigade. Das Kürzel steht für „Enhanced Vigilance Activities“ – zu Deutsch: „Aktivitäten erhöhter Wachsamkeit“. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Litauen im Sommer 2022 versprochen, dass Deutschland sein dortiges Engagement mit einer Kampfbrigade verstärkt. Die Litauer, die eine massive Verteidigung ohne Verzug benötigen, hätten diese gerne bei sich im Land (siehe Interview unten). Doch Deutschland setzt auf ein Rotationskonzept bei der EVA-Brigade: In Rukla wird ein vorgeschobener Kommandoposten mit 50 Soldaten unterhalten, die Kampfeinheiten bleiben in Deutschland und rotieren zu regelmäßigen Trainings nach Litauen. Den Auftrag dafür hat bis Ende des Jahres die Panzergrenadierbrigade 41 aus Neubrandenburg und trainiert ihn mit der Griffin-Übungsserie. Den Auftakt machte „Griffin Lightning“ während des loyal-Besuchs Anfang März, bei der Teile des Jägerbataillons 413 der Brigade nach Litauen verlegten. Im Sommer folgt „Griffin Storm“ mit einem erweiterten Bataillon. Die Aufmarschplanung soll dann erstmals über das neue Territoriale Führungskommando in Berlin laufen. Bis dato stimmen sich dazu Heer, Organisationsbereiche und Einsatzführungskommando untereinander ab. Ob das neue Vorgehen Vorteile bringt, muss sich noch zeigen.

Ein Brückenlegepanzer „Biber“ der Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz Pabradė – eine essenzielle Fähigkeit im gewässerreichen Litauen. (Foto: Stephan Pramme)

Die Verlegung via Straße der leichten Jäger-Infanterie mit ihren Boxern begleitete das Heer auf Twitter nicht ganz stimmig unter dem Hashtag #MittlereKräfte on the Road. Denn diese Kräftekategorie des Feldheeres wird erst aufgebaut. Auch diese Neuerung soll den Verteidigungsbeitrag Deutschlands für die Ostflanke verbessern. Bis jetzt hat das Heer leichte Infanteriekräfte wie Fallschirmjäger und Jäger und schwere wie die Panzertruppe samt Grenadieren. Dazwischen werden nun die Jäger zu Mittleren Kräften kampfwertgesteigert. Statt Boxern mit MG erhalten sie Radschützenpanzer plus stärkere Feuerunterstützung über Radhaubitzen und Mörser. Das Kalkül der Heeresplaner: Würde Russland einfallen oder eine Attacke absehbar sein, sollen die radbeweglichen Truppen rasch via Straßenanmarsch entgegentreten und mit der gestärkten Feuerkraft ihrer Radartillerie auch schwere Feindkräfte verzögern. Die Verlegung via Straße macht den Anmarsch zudem widerstandsfähiger. Das Straßennetz erlaubt ein Ausweichen bei Beschuss. Bahntrassen lassen sich leichter unterbrechen, Schiffstransporte wären ein einfacheres Ziel.

Der Kommandeur der Panzergrenadierbrigade 41, Brigadegeneral Christian Nawrat im Gespräch mit loyal in  Pabradė: „Die EVA-Brigade wird künftig eine der Mittleren Kräfte sein. Deren Aufbau wird aber noch einige Jahre dauern. Dafür müssen hier die Rüstungsentscheidungen zu Radhaubitzen und Co. getroffen werden und die Systeme zulaufen. Parallel erfolgt die Erarbeitung von Einsatzgrundsätzen.“

Brigadegeneral Christian Nawrat. (Foto: Stephan Pramme)

Den Auftrag, als Eingreifbrigade für Litauen zu fungieren, werden in den Folgejahren somit auch schwere Großverbände übernehmen. Für 2024 ist die Panzerbrigade 12 eingeteilt. Im Heer läuft seit diesem Monat die Umgliederung des Heeres für die neue Kräftekategorie. Dafür werden die Jäger-Einheiten bei der 1. Panzerdivision in der Panzerbrigade 21 gebündelt, dem Testverband zum Aufbau der Mittleren Kräfte. Für ihr neues Ostflanken-Werkzeug setzen die Deutschen zudem auf die Ressourcen der niederländischen Landstreitkräfte. Die werden mit all ihren Brigaden nun vollständig in das deutsche Feldheer integriert. „Die gemeinsame Entwicklung Mittlerer Kräfte steht bei dieser Integration im Vordergrund“, heißt es in der Infobroschüre des Heeres „Zeitenwende Ukrainekrieg – Modernisierung der Landstreitkräfte“. In der Truppe sind die Mittleren Kräfte umstritten. Die am häufigsten an loyal herangetragene Kritik: zu wenig Kampfkraft für die Verzögerung. Die Mittel zum Aufbau Mittlerer Kräfte wären effizienter bei der Stärkung der schweren Kräfte aufgehoben – für mehr Munition, Artillerie und Pioniere.

„Erste taktische Verlegung funktionierte bestens“

Zumindest die erste taktische Verlegung der Mittleren Kräfte in spe bei „Griffin Lightning“ funktionierte bestens, so die Bewertung General Nawrats gegenüber ​loyal. „Die Manöverelemente verlegten ohne Probleme via Straße mit vier Marscheinheiten insgesamt innerhalb einer Woche über 1.200 Kilometer nach Litauen.“ Teils wurde Personal jedoch eingeflogen, und Material kam auch auf dem Seeweg. Für den Straßenmarsch galten zudem Einschränkungen durch Reglements unter Friedensbedingungen – etwa gesetzliche Lenk- und Ruhezeiten für Fahrer. Von Seiten der Litauer gibt es die Auflage, Marschkolonnen auf 25 Fahrzeuge zu begrenzen, da größere den zivilen Verkehrsfluss stark hemmen würden.

Soldaten des Jägerbataillons 413 bei einem Gefechtsschießen während der Übung „Griffin Lightning“ in Litauen Anfang März. (Foto: Stephan Pramme)

Das große Bleigewicht für Verlegungen an die Ostflanke ist weiterhin deren aufwendige Handhabung. Sie ist nicht auf militärische Worst-Case-Szenarien ausgelegt. General Nawrat dazu: „Die Geschwindigkeit der Absprachen im Vorfeld ist die Herausforderung. Das fängt beim System Bundeswehr an, das die Verlegung kanalisieren muss. Bis dato sind hier zu viele Akteure und Absprachen nötig. Dies sollte künftig nach meiner Ansicht allein über das Territoriale Führungskommando erfolgen. Des Weiteren haben die NATO-Staaten immer noch aufwendige und stark unterschiedliche Verfahren zur Bearbeitung von Marschkrediten, die mehrere Wochen dauern.“

Die Schwächen der Verlegung sind Legion. Den See-Cargo für Ostflanken-Manöver muss die Bundeswehr teils Monate im Voraus über Einzelausschreibungen am Markt platzieren, damit sie ihn für geplante Manöver sicher hat. Für den „Griffin Lightning“-Seetransport ging die Anforderung Ende Dezember vergangenen Jahres ein, so ein Sprecher des Territorialen Führungskommandos zu loyal. „Die Bundeswehr arbeitet daran, hierfür Rahmenverträge mit zivilen Anbietern zu schließen.“ Solche Verträge zum Abrufen von Leistungen streben die Streitkräfte seit Jahren in vielen Bereichen an, beispielsweise auch bei Munition. Ihr Zustandekommen ist jedoch ein zähes Geschäft, denn das Bereithalten von Transport- und anderen Kapazitäten auf Seiten der Wirtschaft ist immens teuer.

Handlungsbedarf bei Infrastruktur

In der Woche vor „Griffin Lightning“ waren alle Marschfahrzeuge gegen die Afrikanische Schweinepest zu dekontaminieren – eine Vorgabe Polens bei der Tierseuchenprophylaxe. „Um das zu stemmen, mussten wir für einige Arbeitsschritte private Firmen anmieten“, erläutert Kontingentführer Wolfgang Schmidt.“ Nach seiner Beobachtung sind die Litauer aktiv, was die Erneuerung von Infrastruktur anbelangt. „Allerdings gibt es auch einen immensen Handlungsbedarf. Viele Brücken und Straßen stammen noch aus der Sowjetzeit und müssen überprüft werden. Da es im Gefecht wichtig ist, die Tragfähigkeit der Brücken genau zu kennen, unterstützen wir anlassbezogen bei der Einschätzung ihrer Belastbarkeit.“

Der Entwurf für ein Multifunktionsgebäude – Teil einer neuen Infrastruktur für NATO-Truppen am Übungsraum Pabradė, die bis 2026 entstehen soll. (Abbildung: NSPA)

Neben einer besseren Verlegung braucht die neue Ostflanken-Verteidigung der Bundeswehr auch bessere Infrastruktur. Das Mehr an Truppen muss unterkommen und braucht Platz fürs Training. Die Übungsplätze des Landes sind schon seit Jahren überlaufen. Der kleine Übungsplatz Gaižiūnai direkt bei Rukla wird gerade vergrößert, eignet sich bis jetzt nur zur Zugausbildung. Litauens größter Manöverplatz Pabradė bietet Platz für ein Bataillon. Doch drei stehen dafür Schlange: EFP, Iron Wolf und ein US-Bataillon, das direkt vor Ort im Camp Herkus stationiert ist. Der  Übungsraum Rūdninkai in Südlitauen soll schrittweise ausgebaut werden, damit dort drei Kampfbataillone üben können. Doch das dürfte noch bis Ende dieses Jahrzehnts dauern. Bis 2027 soll ein EFP-Logistikhub in Rukla stehen. Die Fläche am Fluss Neris ist planiert. Beim loyal-Besuch wurde gerade das Erdreich verdichtet. Das Projekt wird von der NATO-Beschaffungsorganisation NSPA betreut, ebenso der Bau neuer Kasernen unter dem klangvollen Namen „Neris Terrace Infrastructure“ für 3.000 Soldaten. Um den Deutschen die Stationierung der EVA-Brigade in Litauen schmackhaft zu machen, planen die Litauer für die Bundeswehr drei kleine „Militär-Städte“ (siehe folgendes Interview).

In Litauens Hauptstadt Vilnius findet im Sommer der nächste NATO-Gipfel statt. Hier wird es darum gehen, das „New Force Model“ der Allianz weiter auszuarbeiten. Es sieht vor, Truppenstärken von 800.000 statt bisher 50.000 Soldatinnen und Soldaten mobilisieren zu können. Zurzeit entwickelt die Allianz dafür ihre regionalen Verteidigungspläne. Deutschlands erster Beitrag zum New Force Model soll die Division 2025 sein. Die entsteht auf Basis der 10. Panzerdivision, muss aber wieder Material aus dem gesamten Heer erhalten. Schleppende Rüstung ist nur ein Stressfaktor für die Aufstellung der neue Ostflanken-Verteidigung der Bundeswehr. Diese baut immer noch ihre Corona-Ausbildungsdelle ab und wird zunehmend zur Beistandsarmee für die Ukraine, was Ressourcen kostet. Der Kommandeur der letzten EFP-Rotation vom Panzerbataillon 203 kehrte in einen Verband zurück, der 14 Leopard-2-Panzer für die Ukraine abgeben musste.


Interview

V. Urbelis (Foto: Pramme)

„Deutschland ist strategischer Partner“

loyal-Gespräch mit Vaidotas Urbelis – Politischer Direktor im Verteidigungsministerium Litauens.

 

Herr Urbelis, wie bedrohlich ist Russlands Militärpotenzial trotz Auszehrung im Ukraine-Krieg?

 

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