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Kalter Krieg 2.0

Das Gleichgewicht des Schreckens mit Abertausenden von Atomsprengköpfen hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts jahrzehntelang einen fragilen Frieden zwischen NATO und Warschauer Pakt garantiert. Nach einer Phase der Entspannung gehen die Großmächte nun wieder auf Konfrontationskurs. Die Abschreckungspolitik erlebt als Kalter Krieg 2.0 eine Neuauflage.

Aufstellung von Besatzungen des „Jars“-Waffensystems für ballistische Interkontinentalraketen in Vorbereitung auf die Parade zum Ende des Zweiten Weltkriegs 2020 in Moskau.

Foto: Vladimir Smirnov/ITAR-TASS/imago images

Es war eine bemerkenswerte Nachricht, die Anfang Oktober aus den USA kam: Zum ersten Mal seit vier Jahren haben die amerikanischen Streitkräfte wieder die Zahl ihrer Atomsprengköpfe veröffentlicht: 3750 einsatzbereite und nicht einsatzbereite sollen es sein. Unter US-Präsident Donald Trump war das ein Staatsgeheimnis. Sein Nachfolger Joe Biden hat offensichtlich kein Problem damit, diese Zahl der Welt zu nennen. Nach Angaben des amerikanischen Außenministeriums sind das aktuell 55 Sprengköpfe weniger als im Jahr zuvor und 72 weniger als im September 2017. Die von den USA aktuell genannte Zahl weicht allerdings von Daten ab, die das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI ermittelt hat. Demnach verfügen die USA über 5800 Sprengköpfe, Russland über 6375.

In jedem Fall ist das bedeutend weniger als das, was sich in den Arsenalen während des Kalten Kriegs im 20. Jahrhundert gegenüberstand. 1967 hielten alleine die Amerikaner für einen Krieg gegen die Sowjetunion 31.255 Atomsprengköpfe vor – eine Zahl, die gereicht hätte, um die Erde x-mal zu vernichten. Heute soll es nach SIPRI-Angaben weltweit mehr als 13.000 Atomsprengköpfe geben. Die allerdings sind laufend modernisiert worden und halten immer noch ein Gleichgewicht des Schreckens aufrecht. Zu den bekannten Atomwaffenstaaten gehören Frankreich (290 Atomsprengköpfe), Großbritannien (215), Pakistan (160), Indien (150) und Israel (90). An all diesen Mächten ist inzwischen allerdings China vorbeigezogen. Sein Atombombenarsenal wird auf 320 Sprengköpfe geschätzt, Tendenz rapide steigend. Allein 2019 und 2020 legte sich Peking 30 weitere Sprengköpfe zu. Die USA prognostizierten kürzlich, dass China bis 2030 über 1000 Sprengköpfe verfügen wird – doppelt so viele wie bislang vorhergesagt.

Chinesische Hochrüstung bereitet Sorge

Absolut gesehen ist die Zahl dieser Massenvernichtungswaffen heute niedriger als vor 50 oder 60 Jahren. Weniger gefährlich geworden ist die Welt durch die Reduzierung dennoch nicht. Vor allem die chinesische Hochrüstung ist es, die Politikern und Militärs im Westen Sorge bereitet. Die Volksbefreiungsarmee wächst in einem Maße, dass der Westen kaum noch mit dem Zählen nachkommt. Zudem sind im Gegensatz zum Kalten Krieg unsichere Kantonisten wie Nordkorea in den Club der Atomwaffenstaaten eingetreten; der Iran könnte in absehbarer Zeit dazukommen.

Ausgerechnet in dieser Zeit ist US-Präsident Trump aus dem bewährten INF-Vertrag über die atomare Abrüstung bei den Mittelstreckenraketen ausgestiegen. Nur durch den Wechsel im Weißen Haus und dem raschen Handeln von Präsident Biden kurz nach Amtsantritt ist es gelungen, zumindest den New-Start-Vertrag mit Russland zu retten. Biden unterzeichnete dessen Verlängerung am 5. Februar dieses Jahres kurz vor dem Auslaufen. In dem Abkommen verpflichten sich Washington und Moskau, ihre Atomsprengköpfe auf jeweils 1550 zu reduzieren. Allerdings hat der Vertrag in den zurückliegenden Jahren nicht viel mehr gebracht, als die Arsenale auf einem halbwegs gleichen Stand zu halten. Als Erfolg kann das nur werten, wer keine großen Hoffnungen auf eine bessere Welt hegt.

Eisiges Schweigen

Der neue Kalte Krieg wird durch eisiges Schweigen begleitet. Vor einem Monat erst hat der russische Präsident Wladimir Putin die direkten Kontakte zur NATO abgebrochen: Am 1. November schloss Russland seine Vertretung bei der NATO in Brüssel. Zugleich wurde allen Mitarbeitern des westlichen Bündnisses in Russland die Akkreditierung entzogen. Der russische Außenminister Lawrow warf dem Westen vor, nicht an einem „Dialog und einer Arbeit auf Augenhöhe“ interessiert zu sein. Der Rückfall Russlands in die Rolle einer wirtschaftlich auf tönernen Füßen stehenden Sowjetunion, die sich dafür umso mehr durch aggressives Auftreten und markige Worte zu profilieren versuchte, zeichnet sich schon länger ab. 2014 hatte sich Putin mit der Annexion der Krim und der Unterstützung pro-russischer Separatisten in der Ost-Ukraine verkalkuliert: Der Westen hat beides nie akzeptiert. Auch wenn die aktive Unterstützung der Ukraine durch den Westen eher lau ausfiel, gelten gegenüber Russland doch immer noch Sanktionen. Russland reagierte – zuletzt im November – seinerseits mit Säbelrasseln entlang der ukrainischen Grenze, mit der Unterstützung des weißrussischen Diktators Alexander Lukaschenko, der Migranten als Waffe gegen den Westen einsetzt, während Putins einziger Exportschlager – Gas – nach wie vor als Druckmittel von Bedeutung ist.

Uncle Sam reitet auf einer Atombombe: Das Graffiti auf der ehemaligen amerikanischen Abhörstation auf dem Teufelsberg im Berliner Grunewald versinnbildlicht das Zeitalter des Kalten Kriegs. (Foto: Joko/imago images)

Dass sich die Welt inzwischen wieder in einem neuen Kalten Krieg befindet, der trotz kleiner gewordener Atomwaffenarsenale gefährlicher sein könnte als das „Gleichgewicht des Schreckens“ im 20. Jahrhundert, erklärt Dr. Frank Sauer, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München, im Gespräch mit loyal mit dem Verschwinden der strikten Trennung zwischen nuklearer und konventioneller Sphäre. Gemeint sind hier Cyberoperationen oder unbemannte Waffensysteme, die es früher nicht gegeben hat: „Konventionelle Fähigkeiten sind zunehmend dazu geeignet, die nukleare Zweitschlagsfähigkeit zu gefährden, reichen also in die nukleare Domäne hinein. Das erhöht das Risiko, dass in einer akuten Krise ein Staat seine Nuklearwaffen doch zum Einsatz bringt – etwa, weil er fürchten muss, sie sonst in einem konventionellen Entwaffnungsschlag zu verlieren. Insgesamt also keine gute Entwicklung, weil sie global weniger Stabilität und mehr Risiko bedeutet“, so Sauer.

Kerngeschäft der nuklearen Abschreckung

Die Technologie des atomaren Zeitalters hat sich dabei gegenüber dem früheren Kalten Krieg gar nicht stark verändert. Kerngeschäft der nuklearen Abschreckung ist nach wie vor die Bereitstellung von Silos und U-Booten für den Abschuss ballistischer Raketen. Auch die dahinterstehende Idee ist immer noch die gleiche: Eine Atommacht muss in der Lage sein, einen Zweitschlag gegen ein fremdes Land zu führen, von dem es mit Atombomben angegriffen wurde. Nur diese Zweitschlagsfähigkeit hält einen potenziellen Aggressor von einem Angriff ab, weil er befürchten muss, durch die Reaktion selbst vernichtet zu werden.

Deshalb haben alle Atommächte bis heute sichergestellt, dass nach einem verheerenden Erstschlag gegen das eigene Territorium selbst bei unterbrochener Befehlskette ein Zweitschlag ausgeführt werden kann. In Russland gilt immer noch das bereits in der Sowjetunion existierende System „Tote Hand“, das untergeordnete Militärs einen Atomschlag anordnen lässt, wenn die politische Führung durch einen Enthauptungsschlag ausgeschaltet wäre. In Großbritannien ist es Tradition, dass jeder Kommandant eines der vier Trident-U-Boote mit strategischen Atomraketen einen verschlossenen handgeschriebenen Brief des Premierministers erhält mit Instruktionen, wie er sich zu verhalten habe, sollte in einem Atomangriff die britische Regierung vernichtet werden. Dieser sogenannte „Letter of last Resort“ weist den jeweiligen Kommandanten an, wie er in diesem Falle zu agieren habe: zurückzuschlagen, nicht zurückzuschlagen, nach eigenem Ermessen zu handeln oder sich der Führung einer befreundeten Nation, etwa den USA oder Australiens, zu unterstellen. Niemand außer er selbst weiß, was der aktuelle Premierminister Boris Johnson seinen U-Boot-Kommandanten für diesen Fall aufgeschrieben hat.

„USA sehen keine Einsatzszenarien“

Der Atomwaffenexperte Frank Sauer spricht bei möglichen Einsatzszenarien von „interessanten doktrinären Entwicklungen in den vergangenen Jahren“: „Russland hat in seiner Nuklearstrategie angekündigt, auch nicht-nukleare Angriffe im Extremfall nuklear vergelten zu wollen. Die Trump-Administration zog daraufhin nach und erklärte dies ihrerseits zur US-Strategie. Präsident Biden hat nun aber angekündigt, dies nicht nur zurückzunehmen, sondern eine „Sole purpose“-Klausel einzuführen. Das würde bedeuten, dass die USA ihr Arsenal als einzig und allein dem Zweck der Abschreckung – und im Ernstfall der Vergeltung – von Angriffen mit Nuklearwaffen dienend deklarieren.“ Sauer bewertet diese Haltung positiv, denn „sie stellt klar, dass man in den USA keine Einsatzszenarien sieht, nach denen man einen Krieg unter Beteiligung von Nuklearwaffen führen und gewinnen könnte.“

Noch aber ist nicht sicher, ob die Biden-Administration dies wirklich umsetzt. Sollte es so kommen, hätte diese Strategieänderung gewiss Auswirkungen auf die atomare Teilhabe der Verbündeten. An der ist auch Deutschland beteiligt; in Büchel in der Eifel lagern etwa 20 amerikanische Atombomben, die im Ernstfall durch deutsche Tornado-Kampfjets ins Ziel getragen werden könnten.

Unsicherheitsfaktor China

Größter Unsicherheitsfaktor im neuen Kalten Krieg ist die Volksrepublik China und ihr nationalistisch aufgeladener Modernisierungskurs mit Großmachtanspruch, der atomar massiv unterfüttert wird. Trotz der chinesischen „No first use“-Doktrin, die einen atomaren Erstschlag eigentlich ausschließt, trauen die USA den Versicherungen aus Peking nicht und beklagen mangelnde Transparenz und Zweideutigkeiten in dieser Frage. Peking liefert den Falken in Washington damit genau die Argumente, die sie brauchen, um ein neues Wettrüsten auszulösen. Sauer: „Es wäre dringend notwendig, mit China in Rüstungskontrollgespräche einzusteigen. Leider hat das Land, anders als Russland, kaum Erfahrung mit solchen Prozessen und kaum Vertrauen in sie. China beharrt bisher stur darauf, dass sein vergleichsweise kleines Arsenal keine Rüstungskontrolle notwendig mache.“

Chinesische Raketen vom Typ Dongfeng DF-17 bei einer Parade. Sie können mit Hyperschall-Flugkörpern bestückt werden. (Foto: imago images/ITAR-TASS)

Dass inzwischen mit China ein dritter Player auf dem Feld der strategischen Atombewaffnung anzutreffen ist, der zudem auch noch Abrüstungsgespräche ablehnt, ist der bedeutendste Unterschied des aktuellen Kalten Kriegs zu dem im vergangenen Jahrhundert. Dies umso mehr, als Chinas aggressive Politik der Absicherung eigener globaler Interessen in Zukunft immer mehr mit der der USA kollidieren dürfte. Dabei ist von der heiklen Taiwan-Frage noch gar nicht die Rede.

„Nordkorea nicht unterschätzen“

Schwer vorherzusagen ist schließlich, wie sich Nordkorea künftig verhalten wird. Für den Politikwissenschaftler Sauer ist die Entwicklung dort besorgniserregend: „Vieles in Nordkorea wirkt auf uns im Westen fremd, manches geradezu ulkig. Aber Nordkorea hat das alte sowjetische Scud-Design seiner Raketen konsequent weiterentwickelt und inzwischen eigene technische Entwicklungslinien hervorgebracht. Es unterhält Kooperationen im Raketenbereich mit dem Iran und besitzt nicht nur ballistische Raketen, sondern auch Marschflugkörper sowie – wonach es seit Kurzem aussieht – gar Hyperschallgleitvehikel. Im Grunde vollzieht Nordkorea stoisch, allen Sanktionen zum Trotz, den technologischen Entwicklungspfad der Sowjetunion nach, bloß versetzt um einige Jahrzehnte. Man darf Nordkorea nicht unterschätzen.“

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