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Lehren aus dem Afghanistan-Debakel

Eingreiftruppe, Koalitionen der Willigen, Nationaler Sicherheitsrat: Nach dem afghanischen Debakel haben alte Vorschläge für eine bessere deutsche Sicherheitspolitik Konjunktur. Doch die Hürden für einen Neustart bleiben. Es ist fraglich, ob Berlin die richtigen Lehren ziehen wird.

Ende der Evakuierungsmission: Deutsche Soldaten nach der Landung auf dem Fliegerhorst Wunstdorf.

Foto: Bundeswehr/Jana Neumann

Afghanistanloyal

Die Monstranz deutscher Außen- und Sicherheitspolitik ist der so genannte „vernetzte Ansatz“. Nach diesem Konzept bilden Diplomatie, Militär, Entwicklungshilfe und Co. einen bestens abgestimmten Reigen, mit dem die Bundesrepublik moralisch besonders wertvolle Weltpolitik gestaltet – mehr als nur Interessenspolitik. 360 Grad, vorausschauend, präventiv, nachhaltig. Kein Attribut darf fehlen, wenn es um das vermeintliche Hochleistungswerkzeug geht. Am 14. August kam der Offenbarungseid.

Die hastige Evakuierungsoperation der Westmächte für ihre afghanischen Hilfskräfte aus Kabul legte offen, was Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik in Wirklichkeit ist. Ein stümperhaft koordiniertes Nebeneinander der Akteure, ohne klare Ziele und belastbare Ambitionen. Gerade Deutschlands Anspruch hätte es entsprochen, für seine Ortskräfte frühzeitig eine umfassende Evakuierung zu planen und durchzuführen. Schließlich war Berlin in 20 Jahren Afghanistan-Engagement des Westens ein dominanter Wortführer der Agenda, mit und für die Afghanen ein demokratisches Gemeinwesen am Hindukusch zu errichten. Eingetreten ist das Gegenteil.

Versagen im Auswärtigen Amt

Das Auswärtige Amt versagte in seiner Leadfunktion. Es konnte den Verlauf des afghanischen Staatszerfalls nicht erfassen. Das Innenressort folgte einer engstirnigen Abschiebeagenda. Bei der Entwicklungshilfe wollte man den Untergang der eigenen Arbeit verdrängen. Das Kanzleramt ließ die Fehlentwicklung so lange laufen, bis das Heft des Handelns nicht mehr in deutscher Hand lag. Dabei hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer schon im April die Notwendigkeit aufs politische Tapet gebracht, die von den Taliban bedrohten Ortskräfte „vereinfacht und schnell“ nach Deutschland zu holen.

Im Katastrophen-Momentum konnte sich die „Friedensmacht Deutschland“ (Außenminister Heiko Maas) zum Glück auf ihren militärischen Muskel Bundeswehr verlassen, den sie üblicherweise gerne klein hält. In nur 48 Stunden fuhren die Streitkräfte einen Evakuierungseinsatz hoch, mit dem sie in fast zwei Wochen mehr als 5.000 Menschen aus Kabul ausflogen. Dabei ist das Rettungskonzept der Bundeswehr auf Evakuierungen von lediglich einer Handvoll Staatsbürgern aus nahen Krisenregionen wie Nordafrika ausgelegt.

Wie stets, wenn die Bundeswehr in die Rolle als Retter kommt, überschlugen sich die Lobpreisungen aus allen Teilen der Politik, selbst von den Linken. Dabei ging unter, dass die Afghanistan-Erregtheit mal wieder offenbarte, wie wenig sich weite Teile der Politik de facto für die Leistungsfähigkeit der eigenen Streitkräfte interessieren. So äußerte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich für die Sozialdemokraten, als Kabul bereits an die Taliban gefallen war, die Bundeswehr solle auch aus anderen Landesteilen umfassend Menschen evakuieren. Eine krude Vorstellung. Dazu hätte es großangelegter Luftlandeoperationen bedurft, welche die Bundeswehr nur mit amerikanischer Luftunterstützung hätte durchführen können.

Evakuierung zeigt Abhängigkeit von den USA

Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, nannte es eine „bittere Enttäuschung“, dass die USA die Luftevakuierung nicht über den 31. August hinaus fortführten. Eine Anmaßung. Die Vereinigten Staaten hatten bei den Taliban keine Verlängerung erwirken können. Eine Fortführung der Evakuierungen wäre dann im Kriegszustand mit den Islamisten erfolgt. Die Last einer militärischen Eskalation hätten zuvorderst die US-Streitkräfte getragen. Nur deren Sicherung des Flughafens Kabul mit circa 5.000 Mann ermöglichte die Trittbrettfahrer-Evakuierungen der Europäer.

Die Kabul-Operation zeigte im Brennglas, wie stark die militärische Leistungsfähigkeit der Europäer gegenüber jener der USA abfällt. Während die USA innerhalb weniger Tage Truppen in Brigadestärke zum Einsatz bringen konnten; schaffen Europäer nur Kompanie- oder Bataillonsgröße. Das mobile Flugabwehr-System Phalanx der US-Army wehrte noch kurz vor Abschluss der Evakuierung einen Raketenangriff ab. Etwas Entsprechendes könnte keine europäische Armee einbringen. Zu einer Luftabdeckung mit Kampfjets wären die Europäer auch gemeinsam nur mit zu langem Vorlauf und Abstrichen in der Lage. Dazu fehlt ihnen ein Basen-Netzwerk; ganz zu schweigen von fehlenden Führungseinrichtungen und der Bereitschaft, hohe Verluste hinzunehmen.

Kein Konzept für EU-Eingreiftruppe

Dabei war die Kabul-Evakuierung in Intensität und Umfang wohl ein singuläres Ereignis. Für die Europäer wäre es schon ein Fortschritt, wenn sie zusammen in ihrem Krisengürtel von Nordafrika bis ins Baltikum überzeugend eingreifen könnten. Die Kabuler Ernüchterung befeuerte die Ideen einer schnellen Eingreiftruppe der EU in Brigadegröße, die im Frühjahr über eine Koalition von EU-Staaten um Frankreich und Deutschland zur Debatte gestellt wurde. Doch ein klares Konzept liegt bis dato nicht vor. Der bisherige Ansatz der seit 2007 bestehenden EU-Battlegroups erwies sich als untauglich. Unter anderem, weil die rotierenden Truppensteller die Kosten tragen; also kein Interesse haben, mit den Battlegroups in Einsätze zu gehen, die sie nicht direkt betreffen. Einen supranationalen Verband bei der EU-Kommission aufzubauen, ist unrealistisch.

Ein entscheidender Hebel wäre die Bereitschaft in der EU, konsequent über Koalitionen der Willigen und Fähigen militärische Schlagkraft aufzubauen. Dies forderte zuletzt Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Treffen der EU-Verteidigungsminister in Ljubljana mit Verweis auf Artikel 44 des EU-Vertrages. Nach diesem können die Unionsländer gemeinsam beschließen, eine Gruppe bereiter Mitglieder mit Missionen zu beauftragen. Doch auch hier lauert die Kostenfrage im Hintergrund. In der Realität ist vor allem Deutschland gegen diesen pragmatischen Ansatz. Berlin betreibt traditionell eine EU-Politik maximaler Einbeziehung aller. Doch ein kleinster gemeinsamer Nenner ist in der Sicherheitspolitik, wo es um klare Effekte geht, die schlechteste Herangehensweise. Zurzeit ist das bei der wirkungslosen EU-Mission zur Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen zu beobachten.

Nationaler Sicherheitsrat widerspricht Ressort-Prinzip

Um Deutschland nach dem Afghanistan-Debakel strategiefähiger zu machen, fordern vor allem konservative Politiker jetzt wieder verstärkt einen Nationalen Sicherheitsrat. Die Kernidee: Ein Ausschuss der Ressorts um Außen- und Sicherheitspolitik unter Vorsitz des Kanzlers, samt leistungsfähigem Arbeitsstab und Leiter in herausgehobener Rolle. Dieser soll die Ministerien koordinieren. Allerdings wabert dieser Ansatz schon seit Jahrzehnten durch die deutsche Politik, ohne dass eine Umsetzung erfolgte. Denn er widerspricht der Tektonik unseres politischen Systems. Das etablierte Ressort-Prinzip ermöglicht den einzelnen Ministerien die Profilierung, auf die sie nicht verzichten wollen. Speziell das Auswärtige Amt ist traditionell Bühne für kleinere Koalitionspartner. Zudem fuhren die meisten Kanzler bisher gerne die Linie, die Verantwortung für das heikle Politikfeld Sicherheit bei den Ministern zu belassen.

Wenn der Afghanistan-Schock abgeklungen ist, wird sich nach der Bundestagswahl zeigen, ob es zu wertigen Bemühungen aus der Politik kommt, die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands besser aufzustellen. Auf eine Ernüchterung sollte man sich einstellen.

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