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Putins giftige Manipulation

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat nicht nur die Eroberung des Nachbarlands zum Ziel. Moskaus Kriegsführung im neuen Ost-West-Konflikt ist grenzenlos. Ziel ist die Destabilisierung der Demokratien im Westen durch Sabotage, Lügen und Fake News.

Moskau hat sich zum Ziel gesetzt, die westlichen Demokratien auch durch Fake News zu destabilisieren.

Illustration: Stefan Bachmann

desinformationloyalputinrussland

Die NATO spricht von hybrider Kriegsführung. Plastischer für Moskaus Strategie im Ringen mit seinem selbst gewählten Feindbild, dem Westen, ist ein Begriff, den der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow geprägt hat: der „entgrenzte Krieg“. Dieser Krieg wendet alle Mittel an, wobei nur der Einsatz von Atomwaffen unwahrscheinlich bleibt. Teil der Strategie und Taktik der hybriden, entgrenzten Kriegsführung Russlands in der Ukraine sind nichtstaatliche Akteure wie die Gruppe Wagner und die Truppen des Tschetschenen-Führers Ramsan Kadyrow. Ihre Kriegsführung setzt auch auf Vergewaltigungen, Folter, Massaker unter der Zivilbevölkerung, das systematische Aushungern und die großflächige Bombardierung von Städten („Aleppofizierung“). Der Gegner Ukraine soll demoralisiert werden. Der Feind im Westen hingegen wird auf einem anderen Schlachtfeld bekämpft: in den Köpfen der Menschen. Zumindest jene, die das Internet nutzen – und wer ist das nicht? Hier geht es um Cyberattacken und Desinformation, um Lug und Trug. Im Netz ist für Moskau (fast) alles möglich.

Verwundbare Demokratien

Im Hinblick auf den Westen nutzt hybride Kriegsführung in der Beschreibung des Bundesverteidigungsministeriums „eine Kombination aus klassischen Militäreinsätzen, wirtschaftlichem Druck, Computerangriffen bis hin zu Propaganda in den Medien und sozialen Netzwerken“. Das Ziel sei dabei auch, „Gesellschaften zu destabilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen“. Offene pluralistische und demokratische Gesellschaften bieten hierfür viele Angriffsflächen und sind somit leicht verwundbar. Ein wesentliches Element der hybriden Kriegsführung ist die Verschleierungstaktik. Die Angreifer operieren anonym oder bestreiten Beteiligungen an Vorfällen und Konflikten. Dabei gehen sie erfinderisch und koordiniert vor. Der wohl entscheidende Kriegsschauplatz von Hybridkriegsführung ist der Cyber- und Informationsraum.

Eine Datenauswertung des WDR, des NDR und der Süddeutschen Zeitung zeigte bereits im April 2022, dass Facebook nicht gegen die russischen Desinformationskampagnen gegen Deutschland ankommt. Eine Vielzahl von Fake News, beispielsweise über die Massaker und Gräueltaten russischer Soldaten an Ukrainern in Butscha, verbreiteten sich im April 2022 auf Facebook rasant. Videos mit Fake News russischer Propagandisten wurden in Deutschland Tausende Male angeschaut. Die Auswertung einer Stichprobe von Facebook-Seiten durch Journalisten der beiden Rundfunkanstalten und der Zeitung zeigte, dass „Postings und Seiten, die die Gräueltaten in Zweifel ziehen, hohe Wachstumsraten und Views verzeichnen – ohne gelöscht oder als falsch markiert zu werden“. Die Massaker von Butscha wurden in jenen russischen Fake News-Videos mit „inszeniertes Blutbad von Butscha“ oder „die Lüge von Butscha“ betitelt. Als „Beweise“, dass es gar nicht stattgefunden habe, wird das Fehlen von Blut an ukrainischen Autos genannt, oder auch, dass die Körper der zum Teil gefesselten Menschen „keine Leichenstarre“ aufgewiesen hätten.

Zur Facebook-Seite der russischen Botschaft in Deutschland, die seit dem Beginn des Krieges unbehelligt Desinformation, Propaganda und Fake News in Deutschland verbreitet, kamen zahlreiche kleine Accounts aus dem verschwörungsideologischen Millieu, etwa die Facebook-Seite „Anonline“. Diese wurde unmittelbar nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegründet. Nach vier Wochen und rund 250 Pro-Putin-Posts folgten ihr in Deutschland im April 2022 mehr als zehntausend Menschen. Insgesamt, so zeigt es die Analyse des WDR, des NDR und der Süddeutschen Zeitung, wurden von „Anonline“ gepostete Videos mehr als zwei Millionen Mal gesehen. Facebook-Seiten wie diese gibt es viele, und ihre Followerzahlen verzehnfachten sich teilweise innerhalb einer Woche.

Täuschend echt aussehende Nachrichtenseiten

Das Bundesinnenministerium zeigte sich Ende August 2022 beunruhigt über gefälschte und täuschend echt aussehende Medien-Websites mit pro-russischen Desinformationen rund um den Ukraine-Krieg. So teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums mit: „Wir haben mit Sorge zur Kenntnis genommen, dass über Fake-Accounts in bestimmten sozialen Medien täuschend echt aussehende, allerdings gefälschte Webauftritte von etablierten Nachrichtenseiten verlinkt werden.“ Dort werden demnach erfundene Nachrichten und gefälschte Videos – Teil der russischen Desinformationskampagnen – verbreitet. „Diese verfolgen das Ziel, Vertrauen in Politik, Gesellschaft und staatliche Institutionen zu untergraben“, erklärte der Sprecher des Bundesinnenministeriums. Die betroffenen Medien zeigten sich entsetzt – und blieben machtlos. Die „Spiegel“-Verlagsgruppe beispielsweise erklärte: „Leider werden unsere Marken immer wieder für vergleichbare Aktionen missbraucht.“

Der Tenor der meisten Videos und Meldungen lautet: Die Sanktionen Deutschlands und der EU gegen Russland müssten sofort aufhören, sonst werde Deutschland verarmen, es drohe Hunger, Menschen könnten im Winter erfrieren, die Wirtschaft kollabieren. Das strategische Ziel der russischen Kampagne besteht darin, die deutsche Bevölkerung zu verunsichern und Stimmung gegen die EU-Sanktionen zu machen. Eifrig beteiligen sich daran auch jene Telegram-Gruppen, die schon vor dem 24. Februar, dem Angriff auf die Ukraine, russische Narrative in ihrer Kritik an den Corona-Hygienemaßnahmen der westlichen Regierungen verbreitet haben. Auch sie verbreiten nun Lügen wie „Russland musste sich vor einer NATO-Aggression verteidigen“ oder „die NATO hat Chemiewaffenlabore in der Ukraine installiert“.

Kaum Gegenwehr

Eine Gegenwehr in Deutschland ist kaum erkennbar. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) postulierte Zeitenwende konzentriert sich auf eine bessere Ausstattung der Bundeswehr, übersieht aber, dass die russische Hybridkriegsführung einen neuen Ost-West-Konflikt befeuert, der außerhalb der Ukraine, in den angrenzenden westlichen Staaten der EU, in den sozialen Medien geführt wird. In Zeiten dieser erneuten russischen Aggression sind moderne Kampfpanzer und Kampfflugzeuge für die Bundeswehr zwar wieder wichtig geworden, die russische Hybridkriegsführung gegen den Westen wird aber nicht mit neuen Waffen auf dem Gebiet der NATO oder mit schwerem Gerät, das die Ukraine erhält, gestoppt werden – so wichtig das auch ohne Zweifel ist. Der Westen wird sich stärker als bislang auch mit dem Kampf gegen die russische Desinformation im Internet auseinandersetzen müssen.

Als für die Bekämpfung russischer Desinformationskampagnen zuständige Organe beschreibt die Bundesregierung das Auswärtige Amt, das Bundespresseamt sowie das Bundesinnenministerium und seine nachgeordneten Behörden, vor allem das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Nationale Cyber-Abwehrzentrum, die das Internet hinsichtlich dort kursierender falscher oder irreführender Informationen beobachten. Das Nationale Cyber-Abwehrzentrum ist keine eigenständige Behörde, sondern stellt eine gemeinsame, behörden- und institutionenübergreifende Plattform dar.

Staatlichen Institutionen fehlen Kompetenzen

Im Mai 2022, in der ersten Hochphase russischer Desinformationskampagnen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), dass „der Kampf gegen Desinformation eine zentrale Herausforderung zum Schutz unserer Verfassung“ sei und dieser Schutz „nicht nur als behördliche Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz“ verstanden werden dürfe, da Desinformation „vor allem in den Bereichen unserer Gesellschaft auf fruchtbaren Boden“ falle, „wo Ressentiments und Verschwörungsmythen ohnehin weitverbreitet“ seien.

Laut einer Analyse der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung steht Deutschland russischen Desinformationskampagnen „relativ unvorbereitet gegenüber“. Eines der Probleme seien unzureichende Ausbildung in und fehlende Kompetenzen von staatlichen Institutionen, schrieben die Autoren Eleonora Heinze und Manuel Steudle schon im April dieses Jahres. Das Problem ist inzwischen von der Politik erkannt worden: Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums der Geheimdienste, stellte kürzlich fest, die Dimension von Desinformationskampagnen zur intransparenten Manipulation demokratischer Diskurse habe ein „besorgniserregendes Ausmaß“ angenommen. Neben Sicherheitsbehörden und Plattformbetreibern sei auch die Politik gefragt, so von Notz: „Wir brauchen neue und bessere Strukturen zur Erkennung und Abwehr dieser hybriden Bedrohungen.“

EU braucht Zentren zur Abwehr von Desinformation

Es ist offensichtlich, dass die bisherigen Institutionen und Maßnahmen nicht ausreichen. Bildlich gesprochen: Die Ukraine benötigt sofort Kampfpanzer, Haubitzen und HIMARS. Deutschland und die anderen EU-Mitgliedstaaten benötigen sofort Zentren zur Analyse und Abwehr von Desinformationskampagnen. Und nicht nur das. Sie brauchen auch Möglichkeiten, um in die Online-Propagandasysteme der Cyberkrieger Putins einzudringen und sie dort zu bekämpfen.

Abschließend muss erwähnt werden, dass zur hybriden Kriegsführung Russlands auch die Beeinflussung und Gewinnung westlicher Politiker gehört. Als besonders prominentes Negativbeispiel ist der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) zu nennen. Allerdings sind auch verschiedene weitere Politiker, etwa der Linkspartei und der AfD, öffentlich mit einer auffallenden Nähe zum System Putin aufgetreten. Beispielsweise sprachen Sahra Wagenknecht (Die Linke) und AfD-Chef Tino Chrupalla von einem „deutschen Wirtschaftskrieg gegen Russland“. In anderen Ländern sind Marine Le Pen von der rechtsextremen französischen Partei Rassemblement National sowie Viktor Orbán, der Ministerpräsident von Ungarn mit ähnlichen Pro-Putin-Standpunkten aufgefallen.

Putins Schergen suchen Verbündete und finden sie bei Populisten von links und rechts, bei Radikalen und Extremisten. Öl- und Gaspreise sind für die meisten Deutschen greifbarer und relevanter als der Zustand ihrer Streitkräfte. Putins Propagandisten wissen das und spielen mit den Ängsten der Menschen. Dem sollten Deutschland und die NATO mehr als bisher entgegensetzen.


Der Autor

Prof. Dr. Stefan Goertz ist Oberstleutnant d.R. Der Politikwissenschaftler lehrt und forscht an der Hochschule des Bundes am Fachbereich Bundespolizei in Lübeck. Dieser Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

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