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Schnell kampfbereit

Die Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) ist der schnelle NATO-Eingreifverband. Den Aufbau von dessen Heereskomponente für 2023 leitet die Panzergrenadierbrigade 37. loyal war auf dem Truppenübungsplatz Bergen bei den Vorbereitungen dabei.

Soldaten des Panzergrenadierbataillons 371 - 3. zug der 3. Kompanie - trainieren in Bergen den vom Schützenpanzer "abgesessenen Kampf"

(Foto: Stephan Pramme)

natoVJTF

Truppenübungsplatz Bergen in Niedersachsen Mitte September. Ein Pulk Schützenpanzer stößt feuernd durch eine Waldschneise. Geübt wird der Gegenangriff auf einen Feind, der die Attacke mit Minensperren stoppen will. Es geht um die „Basics“ ihres Handwerks, so die Panzergrenadiere zu loyal. Trainiert wird für den schnellen Eingreifverband der NATO – die Very High Readiness Joint Task Force, kurz VJTF. Den Leitverband der VJTF-Landkomponente 2023 stellt die Panzergrenadierbrigade 37 aus Frankenberg in Sachsen.

Während deren Soldaten an ihrer Routine feilen, hat ihr Chef das große Ganze zusammenzufügen. Brigadekommandeur Oberst Alexander Krone muss bis Ende 2022 aus elf Verbänden in Bataillonsstärke diverser NATO-Streitkräfte (siehe Grafik) ein einsatzfähiges VJTF-Heereskontingent formen. Eine vertrackte Planungsaufgabe, trotz der Erfahrungen aus bereits zwei deutschen VJTF-Führungen 2015 und 2019. Krone im Gespräch mit loyal: „Circa 40 Prozent der Planungsarbeit ist stets Neuland, weil die VJTF immer anders konfiguriert wird; bei der nächsten haben wir eine gänzlich andere Flugabwehr-Taskforce mit Partnern und Systemen als 2019.“ Zudem gilt, dass NATO-Partner ihren Beitrag auch mal aus nationalen Erwägungen ändern oder kleinere Armeen ihren Beitrag variieren müssen, so Krone.

Oberst Alexander Krone baut die Heereskomponente der VJTF 2023 auf. (Foto: Stephan Pramme)

„Speerspitzenbrigade“ im Stand-By-Modus

Die VJTF besteht aus einer Luft-, Marine-, Spezialkräfte- und Heereskomponente, ergänzt um Logistik und eine ABC-Schutzeinheit. Die Gesamtstärke beträgt rund 20.000 Männer und Frauen. Der schnelle Eingreifverband ist nicht allein für die Ostflanke vorgesehen, die momentan im Fokus steht. Die VJTF soll im gesamten Allianz-Gebiet eingesetzt werden können. Ihr Heeresanteil ist eine verstärkte Brigade aus circa 7.000 Soldaten und mehr. Das heißt, es gibt die Leitverband-Brigade einer NATO-Armee, erweitert um kleinere Einheiten anderer Allianz-Streitkräfte. Fixe NATO-Vorgaben zur Konfiguration der VJTF gibt es nicht, nur einen Rahmen. Krone: „Bei Kampfgruppenbataillonen sollen es beispielsweise mindestens drei sein, gerne auch fünf.“

Die so genannte „Speerspitzen-Brigade“ ist ein Jahr lang im Stand-By- Modus: mobilisierbar in zwei bis sieben Tagen. Die bisherige sowie die folgende VJTF-Brigade dienen mit längeren Mobilisierungsphasen als Verstärkung. So befindet sich die Vorgängerbrigade im Stand-down mit 30 Tagen, der kommende VJTF-Großverband im Stand-up von 45 Tagen. In diesem Kontext bereitet die Panzergrenadierbrigade 37 die Landstreitkräfte-Komponente für die Triade 2022 bis 2024 vor. Im Fokus der Wahrnehmung steht die Stand-by-Phase der VJTF. Schon im nächsten Jahr ist die Bundeswehr beteiligt: Die Speerspitze wird dann von der deutsch-französischen Brigade gestellt, allerdings als Beitrag Frankreichs, was das Interesse der deutschen Öffentlichkeit offensichtlich auf null senkt.

„autarke Vollausstattung“ bleibt problematisch

Hierzulande herrscht ein Tunnelblick auf die deutsche VJTF 2023. Diesen haben die Militärplaner selbst erzeugt. Die „autarke Vollausstattung“ der VJTF-Brigade wurde zum ersten Meilenstein der Bundeswehr-Ertüchtigung stilisiert, die seit der Krim-Annexion Russlands 2014 angelaufen ist, und als Eichmaß für Deutschlands Reputation in der NATO gilt. Die Streitkräfte hoffen hier auf ein Mittel, um die Beschaffung neuer Ausrüstung im Fluss zu halten. Zu Anfang hatte die Bundeswehr sogar die Ambition, 2023 erstmals mit der künftig vorgesehenen „Standard-Brigade“ aufzulaufen. Das heißt, eine vom Schützenpanzer Puma über neue Pionierpanzer und Transportfahrzeuge schimmernden Wehr. Doch wie 2015 und 2019 muss auch für die kommende Speerspitzen-Brigade Material aus anderen Verbänden zusammengezogen werden. Neue Fähigkeiten wie die Drohnenabwehr werden nur in „abgestufter Qualität“ erreicht, so Heeresinspekteur Alfons Mais.

Schützenpanzer Marder beim Gefechtsschießen in Bergen. Der rote und grüne Wimpel signalisieren Gefechtsbereitschaft bei der Übung. (Foto: Stephan Pramme)

Inzwischen betonen die Militärs nicht mehr die Ziele, sondern den Prozess dorthin. So auch Brigadekommandeur Alexander Krone. Für ihn ist wichtig, dass die neuen Großwaffensysteme kommen. Sein Panzerbataillon 393 hat soeben die ersten Leopard2 7AV erhalten. Ab 2022 hat seine Brigade dann die Übungs- und Planungshoheit über den VJTF-Beitrag des Panzergrenadierbataillons 112 mit dem neuen Schützenpanzer Puma. „Wenn der Pionierpanzer Dachs 2023 noch nicht durch das neue Modell Kodiak ersetzt ist, ist das nichts, was den VJTF-Auftrag gefährdet.“ Eine Brigade sei auch zu groß, als dass dort nicht laufend neues Material eingepflegt werde, so der Offizier. Einen finalen Zustand der Modernisierung gibt es nicht.

Faktor Zeit

Dagegen sollte die nationale Zertifizierung für die VJTF Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Denn ab 2022 geht es in den Stand-up, dann kommt der multinationale Anteil hinzu. Doch nun überlappt sich beides. Schuld ist die Corona-Pandemie. Von den 5000 Soldaten der Panzergrenadierbrigade 37 leisteten 3000 Amtshilfe – in der Spitze 1300 gleichzeitig, so Brigadekommandeur Krone. Übungen mussten deshalb verschoben oder reduziert werden. Daraus entstand eine Welle an Problemen. Denn während das Kerngeschäft Waffenhandwerk nachtrainiert wird, wie beim Gefechtsschießen in Bergen, verblassen bei der Truppe Nebenfähigkeiten wie ABC-Abwehr, erläutert Krone. Dann müssen noch Extraschulungen durch Spezialisten vom ABC-Abwehrkommando aus Bruchsal organisiert werden. Ein weiterer Aufwand. Hinzu kommt: Die Besichtigung der nationalen Übungen durch Offiziere der VJTF-Partner ist ein wichtiger Arbeitsschritt, damit diese ihren Beitrag sinnvoll vorplanen können. Doch Quarantäneauflagen bei hohen Inzidenzen machten Reisen oft unmöglich. Eine Erleichterung hat VJTF-Planer Krone jedoch: In Richtung Speerspitze gilt eine Ausnahme von der Soldatenarbeitszeitverordnung. Diese sieht seit 2016 einen Regeldienst von 41 Stunden pro Woche vor. Für viele Offiziere, die im Grundbetrieb ihre Truppe ausbilden ein Ärgernis. Beispielsweise wenn sie Übungen in die Nacht hinein verlängern wollen, um den Kampf bei Dunkelheit zu trainieren.

(Grafik: Ruwen Kopp)

Interoperabilität als Herausforderung

Ein latenter Schwachpunkt für die aufwendig zusammengeführten NATO-Verbände wie bei der VJTF sind die unsicheren Funkverbindungen und unterschiedlichen Führungssysteme. Die Bundeswehr führt zurzeit ein digitales Führungs- und Informationssystem ein – das Battle Management System namens Sitaware Frontline. Dieses nutzen auch die Litauer in ihren Gefechtsständen. Allerdings stellt sich die Frage, ob beide Seiten auf demselben Stand der Updates sind. Die meisten Partner, wie etwa Tschechiens Streitkräfte, haben andere Systeme. „Im Zweifel schicken wir eine ‚Interoperabilitätssquad’ in den Gefechtsstand des anderen, so Oberst Alexander Krone. Das heißt, die deutsche Soldaten betreiben das Bundeswehrsystem direkt neben dem der Partner und gleichen mit Blick auf deren Anzeigen und Bildschirme das Lagebild ab. Auch wegen dieser labilen Verbindungen setzt die Bundeswehr wieder auf Kradmelder – Boten auf Motorrädern – um im schlimmsten Fall wenigstens zentrale Meldungen an die Partnereinheiten durchzubringen.

Den Kampfverbändekern der Land-VJTF 2023 stellen Deutschland, Norwegen und die Niederlande – wie bereits 2019. Das Panzerbataillon 393 der Bundeswehr arbeitet mit dem norwegischen Telemark-Bataillon und einem Bataillon der 13. Leichten Brigade des Heers der Niederlande zusammen. Laut Oberst Krone ist es ein Fortschritt zu damals, dass beide Partnerarmeen frühzeitig Oberste als stellvertretende VJTF-Kommandeure und weitere Stabsoffiziere in seinen Brigadestab nach Frankenberg in Sachsen abgestellt haben. Teils sind jene sogar mit ihren Familien vor Ort gezogen. „Die Genehmigungen solcher Stellen ist ein bürokratischer Kraftakt, hat aber diesmal funktioniert.“ Zudem dürften diese Offiziere den Großteil ihrer Arbeit auf die VJTF verwenden; üblich seien solche Rollen meist nur als Nebenverwendung. Vor allem die benötigte Logistik lässt sich so besser planen. Entscheidend für die kommende VJTF-Brigade wird die Übung „Cougar Sword“ im November 2022 in Wildflecken sein. Bei dieser Stabsrahmenübung muss die Panzergrenadierbrigade 37 zeigen, dass sie die elf VJTF-Verbände führen kann.

(Grafik: Ruwen Kopp)

Für das Gelingen spielen die Bataillone im Vorfeld eine entscheidende Rolle. Die Bataillone der Brigade und weitere der 10. Panzerdivision, zugewiesen für die VJTF, bilden die militärischen Fachrichtungen ab, wie Pionierwesen, Versorgung und Artillerie. „Als Leit-bataillone betreuen sie ihren Fachstrang für die VJTF und sorgen dafür, dass die entsprechenden Anteile unserer NATO-Partner für den Einsatzverband aufbereitet werden und andocken können, so Krone im Gespräch mit loyal.

So organisiert das Aufklärungsbataillon 13 ein multinationales Bataillon für die VJTF, an dem sich unter deutscher Führung Norweger, Tschechen, Letten, Litauer und Luxemburger beteiligen. Dazu gehört auch eine Taskforce zur elektronischen Kampfführung. Damit das gelingt, sind Workshops essenziell. „In diesen gehen wir mit den Partnern die kleinsten Details durch. Wie bewegen wir uns im Gefechtsraum? Wer nutzt welche Funkfrequenzen? Wie werden wir versorgt? So werden die Einsatzgrundsätze angeglichen“, erläutert Bataillonskommandeur Friedrich Biebrach. Es bleiben allerdings grundsätzliche Unterschiede in den Führungskulturen, so Biebrach. Im deutschen Führungsprozess beispielsweise entwickle der Stabschef mit relativ viel Freiheit für den Kommandeur Möglichkeiten des Handelns, um einen Auftrag zu bewältigen. Im US-Militär, das gerade kleineren NATO-Armeen als Orientierung dient, steuert der Kommandeur den Prozess der Entscheidungsfindung oft stärker selbst.

Offiziere des kommenden multinationalen Aufklärungsbataillons der VJTF 2023 besprechen sich bei der Übung in Bergen. (Foto: Stephan Pramme)

„Heute gibt es weniger Kräfte, teils keine Nachbarverbände und größere Räume samt Entfernungen“

Im Kalten Krieg dominierten nationale Großverbände, die erst auf Korpsebene koordiniert wurden, nebeneinander gereiht in Gefechtsstreifen gen Osten. Heute sind NATO-Verbände teils bis auf Bataillonsebene integriert. „Dafür gibt es weniger Kräfte, teils keine Nachbarverbände und größere Räume samt Entfernungen“, so Oberst Krone. Statt eine massive Invasion des Warschauer Paktes abzuschrecken, soll die VJTF NATO-Gegnern die Lust rauben, mit begrenzten Blitzattacken vollendete Tatsachen zu schaffen, wie etwa bei der Okkupation der Krim durch Russland. Gefragt ist die rasche Verlegung des Einsatzverbandes an die Ränder des Allianz-Gebietes. Dabei hat die heutige Abschreckung neue Herausforderungen. Oberst Krone: „Der rückwärtige Raum ist nicht mehr Deutschland mit der eigenen Bevölkerung. Unter Umständen habe ich es mit feindlich gesinnten Gruppen zu tun, beeinflusst durch eine Desinformationskampagne des Gegners.“

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