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Viel Planung, wenig Truppe

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zeigt den Europäern, dass sie militärisch mehr leisten müssen. NATO und EU reagieren zwar, doch für echten Fortschritt müsste mehr passieren – vor allem von deutscher Seite.

Französische und deutsche Scharfschützen trainieren gemeinsam beim NATO-Manöver „Trident Juncture“ 2018 in Norwegen.

Foto: NATO JFCBS

eunatorüstung

Militärische Unmündigkeit und totale Abhängigkeit von den USA: Für die Europäer ist der Ukrainekrieg ein doppelter Offenbarungseid. Großverbände zur Verstärkung der Ostflanke von NATO/EU-Europa konnten nur die USA aufbieten. Die Europäer schaffen nur Kompanien. Auch bei der Waffenhilfe für die von Russland überfallene Ukraine sind die Lieferungen aus Washington entscheidend. In einem halben Jahr Kämpfe stellten die USA Militärhilfen von 25 Milliarden Euro bereit. Die direkt betroffenen Europäer brachten nur zwölf Milliarden auf, so der„Ukraine Support Tracker“ des Instituts für Weltwirtschaft Kiel mit den aktuellen Zahlen bei Redaktionsschluss. Europas Hauptmilitärmächte Großbritannien, Frankreich und Deutschland kratzen ihre hohlen Strukturen aus, um jeweils eine Handvoll Artillerie an die Ukraine zu liefern.

Der Ausbau der Produktionskapazitäten wird langwierig. Ob es zu einem sinnvollen europäischen Zusammenwirken kommt, ist fraglich. Frankreich hat für September einen rein nationalen Plan angekündigt. Auf die Frage von loyal nach deutschen Maßnahmen zum Kapazitätsausbau, antwortet ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, dies sei alleinige Sache der Industrie. Zu ernsthafter strategischer Rüstungspolitik ist Deutschland immer noch nicht bereit. Es gibt lediglich Grundlagenarbeiten. Das Wirtschaftsministerium erstellt eine „Studie zur strukturellen Lage der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland“. Deren Ergebnisse sollen Ende des Jahres vorliegen, so ein Ministeriumssprecher zu loyal.

Europäer brauchen leistungsfähigen Streitkräfteverbund

Dabei wollten die Europäer längst eine Streitkraft in Korpsgröße einsatzbereit haben, also rund 60.000 Mann mit Land-, See- und Luftstreitkräften. Dieses Ziel gaben sie unter dem Eindruck militärischer Hilflosigkeit in den Balkankriegen der 1990er-Jahre aus, die nur durch die US-amerikanische Militärmacht beendet werden konnten. Im Zeitalter der asymmetrischen Kriege versackte das Vorhaben einer konsolidierten europäischen Streitmacht. Die Europäer rüsteten bis auf kleine Beiboot-Armeen für die Antiterrorkriege der USA ab. Die bequeme Anlehnung an die NATO-Supermacht wird jedoch immer unwägbarer, denn die USA sind nicht länger bereit, für EU-Europa entscheidende Konflikte wie in Syrien militärisch zu beenden. Der erste US-Gegner ist inzwischen China, nicht mehr Russland. Um dessen regionalen Angriffskriegen begegnen zu können, brauchen die Europäer einen leistungsfähigen Streitkräfteverbund, sollten die USA in Asien gebunden sein.

Auf dem NATO-Gipfeltreffen in Madrid Ende Juni gab sich die Militärallianz ein neues strategisches Konzept. (Foto: Lukas Coch/imago/AAP)

Doch statt effizienter Zusammenführung dominiert Zerfaserung: Die Europäer schaffen ständig neue Militärstrukturen, die allerdings nicht von Angleichung geprägt sind, sondern von nationalen Spezialinteressen. Die Deutsch-Französische Brigade kam als Großverband nie zum Einsatz. Eine litauisch-polnisch-ukrainische-Brigade ist mit Russlands Angriff hinfällig geworden. Ein neuer Eingreifverband von Briten und Franzosen, die Combined Joint Expeditionary Force, soll zwei Battlegroups mit 10.000 Mann umfassen. Allerdings haben die Partner nur auf dem Balkan und Mittleren Osten gleichwertige Interessen. Gerade dort sehen Planspiele aber die Beteiligung leistungsstarker Militärmächte vor, für die diese Expeditionsstreitmacht zu schwachbrüstig wäre.

Militärische Fähigkeiten verloren

All diese Projekte sind planungs- und personalintensiv, ihr militärischer Mehrwert ist dagegen überschaubar oder gar nicht vorhanden. Die wenigen Fortschritte basieren auf Pooling- und Sharing-Lösungen wie das European Air Transport Command (siehe Folgebeitrag). Die lange Zeit als „Flexibilisierung“ gepriesene Gründung neuer Kommandos endete in Verzettelung. Einen Aufwuchs an Truppenstärken und Fähigkeiten, um sie zu unterfüttern, gab es nicht. Im Gegenteil. Von 1999 bis 2018 verloren Europas Armeen 35 Prozent ihrer militärischen Fähigkeiten, so eine Analyse der Wehrexperten Sophia Becker, Christian Mölling und Torben Schütz für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. In den Jahren nach der Finanzkrise 2008 war das Abschmelzen besonders intensiv.

Quelle Grafik: European Defence Agency – Defence Data Report 2019-2020

Unter dem Druck des russischen Angriffskrieges schart sich Europa jetzt naturgemäß verstärkt um die USA. Nun werden wohl auch Schweden und Finnland Mitglieder der Allianz. Das neue Strategische Konzept kündigt ein „New Force Model“ an. Die bisherige Response Force begnügte sich mit der Aufbereitung von Brigade-Kontingenten für die Ostflanke. Ab 2025 sollen Divisionsgrößen mobilisiert werden können. Die EU-Staaten haben daneben – mal wieder – eine Absichtserklärung beschlossen, den „Strategischen Kompass“. Dessen Vorhaben sollen bis 2030 „eine Stärkung unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ bewirken. Der Grund für den vagen Ausblick: Der Ansatz ist kleinteilig bottom-up. Die zahllosen militärischen Fähigkeitslücken der Europäer sollen über inzwischen 60 PESCO-Projekte geschlossen werden. Es mangelt jedoch an einem Fähigkeitsprofil für das gesamte europäische Streitkräftepotenzial in EU und NATO.

Daniel Fiott, Spezialist für europäische Rüstung von der Brussels School of Governance, sagt im Gespräch mit loyal: „Eine französisch-deutsche Initiative für ein ‚Joint European Force Design‘ wäre ein sinnvoller Anfang; allerdings nur mit Einbindung anderer europäischer Staaten, um Kohärenz zu sichern.“ Der Kompass nennt jedoch als einzige konkrete Streitkraft von EU-Seite eine Eingreifbrigade ab 2025.

Ohne die NATO geht nichts in Europa

Ohne die Fähigkeitsplanung der NATO geht nichts in Europa. Hinter der stehen allerdings nationale Egoismen. Die NATO-Ambitionen werden traditionell so ausverhandelt, dass die Mitglieder weiterhin ihr nationales Süppchen kochen können. Im Vordergrund stehen statt Streben nach Kohärenz Beiträge für die NATO nach jeweils ökonomischer Leistungsfähigkeit. Zentral ist, dass ein Land seine zugesagte Anzahl an Truppen stellt. Hier ist die asymmetrische Struktur angelegt, die für die Europäer immer weniger belastbar ist – ein Kessel Buntes aus Europa, der nur im US-Rahmen funktioniert.

Grafik: loyal

Für den Strategischen Kompass analysierte die EU-Rüstungsagentur EDA vor zwei Jahren, wohin das meiste Geld der nationalen Rüstungsanstrengungen der EU-Länder fließt, worin also die Staaten ihre wichtigsten militärischen Fähigkeiten sehen. Die EDA erkannte sechs sogenannte „Focus-Areas“ mit dem größten Potenzial für gemeinsame Entwicklung und Beschaffung: Kampfpanzer, Soldaten-Gefechtssysteme, Luftraumverteidigung, verbesserte Verlegefähigkeit, Weltraumverteidigung, Patrouillenschiffe. „Bisher haben sich lediglich für zwei der sechs Focus-Areas Länder bereit erklärt, als Lead-Nations zu fungieren“, so ein Sprecher der EDA auf Anfrage: Frankreich und Spanien gemeinsam für die Weltraumverteidigung und die Niederlande für die Verlegefähigkeit.

Kampfpanzer-Kooperation ein Trauerspiel

Im zentralen Rüstungsfeld Kampfpanzer sind die bisherigen Bemühungen europäischer Kooperation ein Trauerspiel. Beispiel Leopard-2: Mit einem Anteil von fast 50 Prozent ist er der häufigste Panzer in EU und NATO-Europa, so eine Erhebung des Istituto Affari Internazionali in Rom. 2017 begann über die EDA ein Projekt, den Leopard-2 in einem EU-Panzerarsenal zu bündeln und auf den neuesten Rüststand A7 zu bringen. Fünf Jahre lang sondierten die EU-Staaten, wer was beitragen und wie profitieren könne. Nun ist das Vorhaben auf Eis gelegt, so ein Sprecher des Tschechischen Wehrressorts gegenüber loyal. Statt gemeinsam in Modernisierung und Produktion zu investieren, ringen die Staaten um einen Zugriff auf die bestehenden Kapazitäten. Das Feilschen um den Leopard-2 in Ringtäuschen, mit denen Deutschland die Panzerabgaben der östlichen Partner an die Ukraine ersetzen will, ist dafür ein unrühmliches Beispiel.

Die Rolle Deutschlands beim Thema Panzer fällt dabei besonders negativ auf. Mit Frankreich will Berlin seit 2018 Europas Kampfpanzer der Zukunft in die Spur bringen, das Main Ground Combat System (MGCS). Deutschland beanspruchte die Führung – und scheiterte; die industrielle Führung konnte die Politik nicht organisieren. Die Forderung des Bundestages, Deutschlands Panzerschmieden KMW und Rheinmetall müssten für MGCS fusionieren, ließen beide Unternehmen ins Leere laufen. Frank Haun, Chef des maßgeblich beteiligten Konzerns KNDS, stellte wiederum den Militärplanern bei MGCS ein vernichtendes Zeugnis aus. Haun klagte im Mai in einem Interview mit der Fachzeitschrift Hardthöhenkurier, dass er nicht wisse, wie die angedachten Technologien zu einem „souveränen System“ zusammengebunden werden sollen.

Polens Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak unterzeichnete Ende Juli in Warschau Rahmenabkommen einer Rüstungskooperation mit Südkorea. Unter anderem will Polen südkoreanische K-2 Panzer beschaffen und mit dem Partner weiterentwickeln. (Quelle: Polnisches Verteidigungsministerium)

Auch entwickelten die Deutschen kein Konzept, wie man weitere Europäer in das Vorhaben integriert. Absehbar starkes Interesse am Leopard-2 und am MGCS entwickelte Polen. Ambitioniert wie kein anderes Land Europas baut es seine Panzerwaffe aus. Stand seiner vereinbarten Beschaffungen: 1.366 Kampfpanzer. Doch Warschaus Vorschlag, MGCS zum PESCO-Vorhaben zu erklären, wurde nicht aufgenommen. Hinter vorgehaltener Hand hieß es dazu in deutschen Wehrkreisen, Polens Rüstungsindustrie könne technologisch nichts beisteuern. Nun stärkt Polen seine Armee kurzfristig mit dem Kauf von US-Panzern, langfristig setzt es auf eine Panzerkooperation mit Südkorea. Mit der Unfähigkeit, einen Weg zu finden, um Polen einzubinden, torpedieren die Deutschen zudem ihr zentrales Militärprojekt zur besseren Verteidigung Europas: den Aufbau multinationaler Großverbände um die Bundeswehr. Ein Vorhaben dazu ist die Verzahnung der deutschen und polnischen Panzertruppen. Daran arbeiten das deutsche Heer und Polens Armee seit sieben Jahren mit dem Leopard-2, den beide nutzen. Doch der deutsche Panzer, der Brücke sein sollte, um gemeinsam Kampfkraft aufzubauen, ist jetzt inzwischen ein absterbender Ast. Die Leopard-2 werden wohl mittelfristig von südkoreanischen K2 ersetzt.

Handlungsmuster: Vorsorge wird unterlassen

Generell kommt die europäische Wehrkooperation nicht entscheidend voran. Über PESCO haben sich die EU-Staaten den Anspruch gesetzt, 35 Prozent ihrer Rüstungsinvestitionen in Kooperationsprojekte zu investieren. Zuletzt waren es kümmerliche elf Prozent, so die jüngste Erhebung der EDA von 2020. Besonders problematisch: In den Mangeljahren um die Finanzkrise waren die Gemeinschaftsinvestitionen höher. Sie fallen geringer aus, seit die Europäer ihre Armeen, ausgelöst durch Russlands Krim-Annexion 2014, wieder stärken. Dabei wäre die Ausbauphase wichtig, um die Rüstung in Europa effizienter zu gestalten. Es zeigt sich das Handlungsmuster: Vorsorge wird unterlassen. Erst Krisen treiben die Investitionen voran – dann naturgemäß hastig und somit noch weniger kooperativ als zuvor. Ein Paradebeispiel dafür ist das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen der Bundeswehr, dessen Wirtschaftsplan aus überfälligen Projekten besteht. Um den Zulauf neuer persönlicher Kampfausrüstung der Soldaten zu beschleunigen, genehmigte der Haushaltsausschuss eilig Mittel, noch vor Verabschiedung von Sondervermögen und Wehretat. Laut Beschaffungsamt, um in Zeiten knapper Ressourcen und erhöhter Nachfrage früher am Markt zu sein als andere. Zudem kaufen die Europäer, vor allem an der Ostflanke, jetzt hastig zahlreiches US-Material, wie Panzer, Kampfjets und Raketenwerfer.

Im Ausbildungszentrum Poznań läuft seit Kurzem die Ausbildung polnischer Panzersoldaten am US-amerikanischen Abrams. Diesen Panzertyp kaufte Warschau, um seine Panzerwaffe kurzfristig zu verstärken. (Quelle: Polnisches Verteidigungsministerium)

Rüstungsexperte Daniel Fiott von der Brussels School of Governance sieht hier eine Gefahr: „Eine Frage ist, ob die außereuropäischen Exporteure wie Südkorea die Nachfrage bedienen können. Hier habe ich meine Zweifel. Die Europäer könnten sich in der schrecklichen Situation wiederfinden, bei verzögerten Importen nicht genügend eigene Produktion zu haben.“ Für die kurz- bis mittelfristige Schließung von Munitions- und Materiallücken hat die EU-Kommission nun vorgeschlagen, die Unionsstaaten mögen Konsortien bilden, deren Beschaffung aus EU-Mitteln flankiert wird. Doch mit 500 Millionen Euro über zwei Jahre ist der Mittelansatz dafür sehr gering, so die Bewertung Fiotts. „Um einen ‚Buy-American‘-Run zu vermeiden, müssten die Europäer diese Konsortien zudem rasch bilden.“

Vor allem Deutschland ist nun gefragt

Gefragt in diesem Moment sind die großen EU-Player, vor allem Deutschland. Die Bundesrepublik tritt seit 2014 unter dem Label Rückversicherungs- und Rahmennation für die Osteuropäer auf, vor allem mit dem Anspruch „Führen aus der Mitte“ für konsolidierten Fähigkeitsaufbau. Das Motto gab die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen aus. Es bedeute, „das Beste an Ressourcen und Fähigkeiten in die Bündnisse und Partnerschaften einbringen, wider einer künstlichen Selbstverzwergung“, so von der Leyen 2015 auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Doch vom Besten kann zurzeit keine Rede sein.

Beim Kriegsauftakt zogen sich die Deutschen sofort auf ihre tradierte Minimalrolle zurück: ein treuer US-Adlatus, der „verlässlich“ sein NATO-Pflichtenheft erfüllt. Eine Führungsrolle bei der Vorfeldverteidigung Europas gegen Russlands Aggression lehnt Kanzler Scholz ab. Bei der Waffenhilfe für die Ukraine agieren die Deutschen getrieben und konzeptionslos. Das macht sie auch für die Führung beim europäischen Fähigkeitsaufbau unglaubwürdig.

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