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Im Reich der Zinnsoldaten

Ein Traditionsgeschäft in Berlin hat sich auf ein besonderes Produkt spezialisiert: Modellfiguren aus der Welt des Militärs – von Hannibals Elefanten bis zur Bundeswehr. Das Geschäft boomt.

Profi-Figurenmaler Ingolf Lori in der „Berliner-Zinnfiguren“-Werkstatt. Teils vertieft er sich 16 Stunden am Tag in sein Präzisionshandwerk.

Foto: Stephan Pramme

modellbauzinnsoldaten

Montagmorgen in einem kleinen Laden in Berlin-Charlottenburg. „Berliner Zinnfiguren“ hat noch nicht geöffnet, doch drinnen wuseln Angestellte durch schmale Gänge, ziehen Zinnfiguren, Militärsachbücher und Panzerbausätze aus Regalen. „Über das Wochenende sind 200 Bestellungen aufgelaufen, die müssen jetzt zügig raus,“ sagt Geschäftsführer Stefan Müller beim Besuch von loyal. Er leitet ein Geschäft, das vielen als beste Anlaufstelle für Modellbau und Sachbücher zum Themenfeld Militär und Geschichte gilt. Soldaten und Reservisten, die diesen Leidenschaften frönen, machten die loyal-Redaktion auf die Berliner Adresse aufmerksam.

Müller sitzt in der Herzkammer des Geschäfts, dem Gussraum: gefüllt bis an die Decke mit Zinnsoldatenformen aus pechschwarzem Schiefer. Mit ihnen werden seit 1934 stetig neue Regimenter aufgestellt. Damals gründete Werner Scholtz das Unternehmen. Das Geschäft gehört der Familie bis heute. Es begann mit den klassischen Zinnfiguren, die im Fachsprech „Flachfiguren“ heißen. Ursprünglich waren sie Spielzeug für Prinzen und Mittel für deren Militärausbildung im Sandkasten. Die Industrialisierung machte sie nach und nach auch für die breite Masse erschwinglich. Seitdem hat sich das Portfolio stetig weiterentwickelt. „Nach den Flachfiguren kamen die Vollfiguren, dann die Plastikmodelle“, so Stefan Müller. Der jüngste Geschäftszweig ist die Versorgung der Kunden mit immer besseren Werkzeugen, Klebern und Farben, mit denen die Bastler ihre Heimwerkstätten ausstatten.

Geschäftsführer Stefan Müller im Gussraum, wo die Zinnfiguren entstehen. (Foto: Stephan Pramme)

Geschäftskunst in einem Nischenmarkt

Die Büchersparte macht rund 50 Prozent des Gesamtgeschäfts aus. Davon ist der kleinere Teil Fachliteratur, wie jüngst die Neuauflage des Leopard-2-Standardwerks von Frank Lobitz. Die Masse sind historische Infowerke, die Figurensammeln und Modellbau flankieren.

„Hier hat der britische Osprey-Verlag eine wohl nicht mehr einzuholende Marktmacht“, so Müller. Allein dessen Men-at-Arms-Reihe umfasst inzwischen mehr als 500 Bände – ob byzantinische Marineinfanterie oder Brasiliens Expeditionskorps im II. Weltkrieg. Hier holen sich Sammler und Modellbauer Orientierung zu Uniform- und Fahrzeugfarben. Doch die Kriegsgeschichte ist ein unerschöpfliches Füllhorn und so findet sich stets Platz für weitere Lückenfüller wie „Die Kursächsische Armee 1730-1732“, eine Publikation des Zinnfiguren-Ablegers Zeughaus-Verlag und dessen Reihe „Heere und Waffen“. Müller: „Diese Lücken zu finden und bedienen zu können, gehört zur Geschäftskunst in unserem Nischenmarkt.“

Dieser ist bis heute ein reiner Männermarkt, so der Zinnfiguren-Geschäftsführer. Weibliche Kundschaft gibt es nur beim Saisongeschäft mit Zinn-Weihnachtsschmuck. Das Bauen und Bemalen mit dem Anspruch maximaler Exaktheit ist nach wie vor eine Männersache. Ingolf Lori, Jahrgang 1959, frönt dieser Leidenschaft seit seinem 13. Lebensjahr. Der Spezialist für das Figurenbemalen arbeitet im Auftrag des Figurenkabinetts. Seine Leidenschaft zum Beruf machen, konnte er jedoch erst nach dem Untergang der DDR. In der sozialistischen Planwirtschaft gab es keinen Platz für sein ungewöhnliches Handwerk.

Lori vertieft sich gerne auch mal 16 Stunden in eine Präzisionsbemalung. Den preußischen Kriegsminister Albrecht von Roon mit Champagnerglas und Schattenwurf am Rock schafft er in zwei bis drei Tagen. In der Zinnfiguren-Vitrine wartet Roon nun für fast 400 Euro auf einen Käufer. An Großfiguren wie Hannibals Kriegselefanten ist Lori eine Woche am Werk. Anspruch ist eine möglichst genaue historische Originalität bei Farben und Details. Doch der Profi sieht das nüchtern. „Meine größte Enttäuschung war, als ich vor Jahren das Völkerkundemuseum in Leipzig besuchte und dort eine Uniform von Napoleons Kaiserlicher Garde sah. Das war billigstes Tuch.“ Ein meilenweiter Unterschied zu den gängigen Malvorlagen mit Edeluniformen in sattem Blau. Wie in jedem Gewerk gibt es ein paar ungeschriebene Regeln. Dazu gehört: Friedrich der Große muss stets auf einem weißen Pferd sitzen, alles andere irritiert potenzielle Käufer. Eine Zone der Freiheit ist für Profimaler immerhin die Zeit bis zum Dreißigjährigen Krieg. Dann begann die Vereinheitlichung der Uniformen, auf deren genaue Darstellung die Kunden so großen Wert legen.

Expansion dank Online-Handel

Dank des Online-Versandhandels ist das kleine Zinnfiguren-Reich mit 15 Angestellten auf Expansionskurs. Online macht laut Geschäftsführer Müller bald 90 Prozent des Geschäfts aus. Der globale Kundenstamm von Japan bis Kanada wächst seit Jahren. Dafür hat „Berliner Zinnfiguren“ investiert, beispielsweise in umfassende Beschreibungen seiner Artikel auf Englisch. Zurzeit wird das Französische über die Produktwelt ausgerollt. Dazu gibt es weitere Extras, welche die Kunden schätzen, wie einen Blog mit Tipps zum Modellbau. „Die Pandemie war für uns natürlich nochmal ein riesiger Push“, so Müller. Die zu Hause im Lockdown festsitzenden Kunden kauften mehr. Der Durchschnittskunde gibt etwa 30 Euro alle zwei Monate aus, Spitzenkäufer monatlich 300 Euro.

Auch der Ukraine-Krieg geht nicht spurlos an den „Berliner Zinnfiguren“ vorbei, allerdings nicht im Sinne einer massiv gestiegenen Nachfrage. „Wir haben vielleicht 14 Modellbausätze Panzerhaubitzen 2000 mehr verkauft. So viele, wie die Bundeswehr abgegeben hat“, meint Stefan Müller. Im Gegenteil belasten die gestörten Lieferketten das Geschäft. Denn viele Modellbausätze werden in China gefertigt. Auch in Russland gibt es einige Produzenten. Nur die Hälfte wird noch im Programm der Berliner Zinnfiguren geführt, zum Rest hat Müller die Verbindung abgebrochen. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine setzte er ein Schreiben an seine russischen Geschäftspartner auf mit der Frage, wie sie zum Krieg stünden. Wer diesen befürwortete, von dem trennte man sich.

Wer als Kind Spaß hatte, der kommt wieder

Müller: „Was da teilweise für menschverachtende Antworten kamen, war bitter.“ Der 59-Jährige hat persönlich eine starke Bindung zur Ukraine. Im dortigen Lwiw lebte er gegen Ende der Sowjetunion fünf Jahre lang, als er über die Nationale Volksarmee Militärjournalismus studierte. Mit der Wende verließ Müller die NVA als aktiver Offizier und arbeitete kurzzeitig als ziviler Redakteur bei der Publikation BW-aktuell. Doch ab 1991 stieg er über einen Zinnfiguren-Club immer mehr in den Geschäftsbetrieb der Berliner Firma ein.

In der Zukunft sieht Müller den kleinen Markt für Zinnfiguren und Modelbau als sichere Bank an. Fantasy-Figuren werden immer wichtiger und ziehen junge Leute an. Zudem gibt es laut Müller viele Rückkehrer. Wer mal als junger Mann Spaß an dem Hobby hatte, kommt wieder, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Nur ein Unsicherheitsfaktor hängt wie ein Damoklesschwert über dem Kerngeschäft der Zinnfiguren. In der EU wird immer umfassender Blei verboten, zuletzt bei Munition, da es für den Menschen als giftig gilt. Als Beigabe zum Zinn ist es aber bis heute essenziell. „Ohne den geringen Bleianteil in der Legierung sind die Figuren spröde und brechen sofort“, so Müller. Er und sein Team experimentieren seit Jahren, um einen überzeugenden Ersatz für das Blei zu finden. Bis dato ohne Erfolg.


Berliner Zinnfiguren, Knesebeckstraße 88, 10623 Berlin; www.zinnfigur.com

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