Heimatschutz: Erfolgsmodell in kleinen Schritten
Hochkarätige Expertenrunde beim Sicherheitspolitischen Forum in Mönchengladbach
„Perspektiven des Heimatschutzes: gestern – heute – morgen“, so lautete der Titel des letzten sicherheitspolitischen Forums der Kreisgruppe Niederrhein im Reservistenverband in diesem Jahr. Eingeladen waren wieder unter anderem die sogenannten Blaulicht-Organisationen, also alle, die sich in Mönchengladbach haupt- oder ehrenamtlich um den Schutz, die Hilfe und die Rettung ihrer Mitbürger aus Not und Gefahren kümmern. Die rund 60 Zuhörer, darunter mit dem Leitenden Branddirektor Dirk Schattka der Chef der Mönchengladbacher Feuerwehren, erhielten in vier Vorträgen eine umfassende Information über die laufende komplette Neuordnung der Reserve der Bundeswehr – auch kritische Fragen zu dem ehrgeizigen Projekt, die Reservisten zur Landes- und Bündnisverteidigung wieder deutlich mehr in den Fokus zu rücken, durften gestellt werden.
Im Mittelpunkt stand diesmal Brigadegeneral Dieter Meyerhoff, der Kommandeur des Landeskommandos Nordrhein-Westfalen. „Die Bundeswehr muss sich nicht neu erfinden, aber in Teilen wieder neu aufstellen“, betonte der General und forderte „ressortübergreifend eine ehrliche Lagebeurteilung“. Bis zum Mauerfall seien die deutschen Streitkräfte „für den Fall, den keiner wollte, bestens vorbereitet“ gewesen. Die folgende drastische Abrüstung, der beispielsweise die komplette Heeres-Heeresflugabwehr, alle Lazarettzüge oder 68 von 72 Artilleriebataillonen zum Opfer gefallen seien, zwinge heute angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine dazu, die Gesamtverteidigung neu zu organisieren und zu stärken. Dazu gehörten auch der Zivilschutz, das Gesundheitssystem und das stör- und manipulationsanfällige Internet, es handle sich also um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
„Mein Arbeitgeber erlaubt mir Reservistendienstleitungen nicht“, kritisierte ein Zuhörer, ein anderer meinte, die neue Grundbeorderung für alle ausscheidenden Soldaten werde nicht funktionieren, weil jedes Engagement als Reservist rein freiwillig sei. Da würden also wohl die wenigsten einer Einberufung folgen. General Meyerhoff verschwieg die großen Herausforderungen nicht: Das Kernproblem in Deutschland sei indes der fehlende gesamtgesellschaftliche Konsens, wie künftig eine Verteidigung auszusehen habe, die nun einmal nicht zum Nulltarif zu haben sei. „Ich bin ein Freund der kleinen Schritte“, betonte der Kommandeur. „Auch beim Aufbau des neuen Landesregiments kommen wir gut voran.“
Mit Oberst i.G. Frank Baumgard, Referatsleiter im Führungsstab der Streitkräfte im Bundesministerium der Verteidigung, Oberstleutnant i.G. Holger Leutz vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr und Oberst d.R. Thomas Roßbroich, dem Leiter des Aufstellungsstabs des Heimatschutzregiments 2 NRW, hatte der Leitende des Forums, Oberst d.R. Gerald Joswowitz, weitere hochkarätige Referenten gewinnen können. Sie berichteten aus erster Hand aus ihren jeweiligen Aufgabenbereichen.
Der Schutz der Heimat sei nicht nur ein ergänzender Beitrag, sondern zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche nationale Territorialverteidigung, betonte Oberst Baumgard und verwies darauf, dass Deutschland als logistische Drehscheibe für den Schutz der NATO-Nordostflanke auch den reibungslosen Transit alliierter Verstärkungskräfte von Großbritannien und den Nordseehäfen aus in Richtung Polen und dem Baltikum sicherstellen müsse. Beim Schutz kritischer Infrastruktur „passiert allerdings bereits eine Menge“.
„Reizüberflutete Schulabgänger, die an die Hand genommen werden müssen“, große Konkurrenz durch den allgemeinen Fachkräftemangel, eine hohe Abbrecherquote bei den Rekruten – Oberstleutnant Leutz redete die Herausforderungen für die Personalgewinnung der Bundeswehr nicht klein. Sie sei dennoch erfolgreich: Auf 49.000 Bewerbungen innerhalb eines Jahres hätten 18.000 Einplanungen erfolgen können – und dies vor dem Hintergrund, dass von insgesamt 750.000 Schulabgängern lediglich 100.000 überhaupt am Soldatenberuf grundsätzlich interessiert seien.
Über Details zu den Fortschritten bei der Aufstellung des neuen Heimatschutzregiments berichtete zum Abschluss des Forums im Gymnasium „Bischöfliche Marienschule“ in Mönchengladbach der damit beauftragte Oberst d.R. Thomas Roßbroich. Das Ziel sei es, zehn über das Land verteilte Kompanien aufzustellen, die jeweils 750 bis 900 Soldaten der Reserve umfassen sollen. Das Interesse Freiwilliger an dieser Truppe, es könnten sich auch Ungediente melden, sei groß, zurzeit würden 420 Bewerbungen bearbeitet, sagte Oberst Roßbroich. „Wir brauchen aber auch Führungspersonal wie engagierte Hauptleute.“ An einer ersten zweiwöchigen Übung, dem „Agilen Ross“, hätten im Oktober auf dem Standortübungsplatz Münster-Handorf bereits 80 Soldaten aktiv teilgenommen. Das Regiment 2, eines von deutschlandweit geplanten sechs Verbänden, soll bereits im kommenden Jahr in Dienst gestellt werden.
Den Beiträgen schlossen sich jeweils lebhafte Diskussionsrunden an. Enttäuscht waren etliche lebensältere Reservisten von der Antwort von Oberst Baumgard zu den Gerüchten, die Altersgrenze für freiwilliges Engagement in der Bundeswehr werde demnächst von 65 auf 67 Jahre angehoben. Das sei eindeutig kein Thema im Ministerium. Bei Auslandseinsätzen seien ältere Soldaten häufig gesundheitlich überfordert. Auf eine mögliche Verwendung von Reservisten ü65 im Heimatschutz ging er nicht ein.
Der Dank an die Referenten erfolgte diesmal nicht nur mit einer Flasche Wein, sondern auch in Buchform: Sie erhielten die Chronik „60 Jahre Reservistenverband“. Eine nächste Veranstaltung der Kreisgruppe ist bereits geplant: Sie wird am 20. Januar 2023 stattfinden, besonderer Gast ist der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. Unter anderem wird es um das Thema Stromausfall gehen.