Europäische Sicherheitspolitik – Chancen und Illusion
Zu einer gemeinsamen Sicherheitspolitischen Veranstaltung im Nordkolleg in Rendsburg hatten die Hermann-Ehlers-Akademie (HEA), die Deutsch-Atlantische-Gesellschaft, die Gesellschaft für Wehr-und Sicherheitspolitik und die Landesgruppe Schleswig-Holstein des Reservistenverbandes zum Thema “Europäische Sicherheitspolitik – Chance oder Illusion“ eingeladen.
Der Seminarleiter von der HEA, Dr. Volker Matthée, konnte hochrangige Experten gewinnen, die die Sichtweisen Deutschlands, der NATO und der EU zur gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und auch die Sicht der USA erläuterten.
Den Auftakt machte der Leiter des Fachbereiches Human- und Sozialwissenschaften an der Führungsakademie der Bundeswehr, Jörn Thießen, mit einer kritischen Bestandsaufnahme und Bilanz von zehn Jahren GSVP-Initiativen und -Bemühungen. Frau Dr. Stefanie Babst, die ranghöchste deutsche Vertreterin der NATO in Brüssel und Beraterin des Generalsekretärs und des Vorsitzenden des Militärausschusses, erläuterte das Spannungsfeld zwischen NATO und europäischen GSVP und zeigte anhand von alltäglichen Begebenheiten, dass es trotz institutionalisierter regelmäßiger Treffen nur eine begrenzte Zusammenarbeit gibt. Die EU-Führung und das EU-Parlament tauschen sich zu wenig mit der NATO-Führung aus.
Diesem Vortrag schloss sich Dr. Henrik Heidenkamp vom Royal United Service Institute aus London an, der Aspekte europäischer Rüstungspolitik beleuchtete und exemplarisch Probleme und Herausforderungen gemeinsamer europäischer Rüstungsvorhaben darstellte. Er stellte heraus, dass sich europäische Regierungen in vielen widersprüchlichen Rollen wiederfinden: Als Auftraggeber, Regulierer, Kunden, Sponsoren, Konkurrenten, um nur die wichtigsten zu nennen. Auch Dr. Heidenkamp zeigte auf, dass die systemische Relevanz von Rüstungsindustrien nicht in allen EU-Staaten gleichermaßen beachtet wird und dass für die zukünftige gesteigerte Rolle der European Defence Agency (EDA) noch gezielte politische Impulse fehlen.
Der Vortrag „Europäische Identität und europäische Verteidigung“ von Dr. Ralf Bambach aus Hamburg machte besonders deutlich, dass wir "Europäer" von einer „europäischen Identität“ noch weit entfernt sind. Die geschichtliche und geographische Vielfalt Europas, genauso wie unterschiedliche Sprachen und Traditionen erschweren das Herausbilden einer „europäischen Identität“ trotz aller Fortschritte in der europäischen Einigung. "Wo ist der europäische Fernsehnachrichtensender, der jeden Abend europäische Themen in die Wohnzimmer der Bürger der Mitgliedstaaten bringt?" war nur eine Facette aus einer Vielzahl von Anregungen. Auf dem sicherheitspolitischen Feld stellt die Einbindung der europäischen Nuklearmächte Großbritannien und Frankreich, die nach Einschätzung nicht nur des Referenten auf diesem Gebiet ihre nationale Unabhängigkeit bewahren wollen, ein besonderes Problem dar.
Der Vortrag von Dr. Udo Metzinger aus Frankfurt/Main richtete den Blick auf die USA nach der Wiederwahl von Präsident Obama und den spezifischen Auswirkungen auf NATO und EU. Der Druck auf Europa, sich an internationalen Einsätzen zu beteiligen und selbst für Ordnung in seiner Interessensphäre zu sorgen, wird zunehmen, so die Prognose. "Lastenverteilung und mehr Verantwortung für Europa", weniger direkte Einmischung der USA, eher deren "Führung vom Rücksitz" ("leading from the backseat") werden in Zukunft von den europäischen Staaten zu gestalten sein.
Durch alle Vorträge und Diskussionen zog sich die Beobachtung, dass der Mangel an Gemeinsamkeiten natürlich Auswirkungen auf die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Europas hat und noch einige Zeit haben wird. NATO und EU kooperieren nur auf niedrigem Niveau und die Schaffung einer eigenen europäischen Sicherheitsstruktur neben der NATO ist z. Zt. nicht erfolgsversprechend. Die Entstehung von Doppelstrukturen wäre allerdings noch kontraproduktiver. Trotzdem muss Europa auf die Entscheidung der USA reagieren, die den Schwerpunkt ihrer militärischen Aktivitäten in den pazifischen Raum verlagern und daher deutlich mehr sicherheitspolitisches und militärisches Engagement der Europäer im Mittelmeerraum, Nordafrika und dem Nahen Osten erwarten. Das bedeutet im Klartext auch die Notwendigkeit, größere Lasten zu übernehmen.
Das sicherheitspolitische Seminar schloss mit einer sehr qualifizierten und engagierten Podiumsdiskussion mit den Bundestagsabgeordneten Dr. Hans-Peter Bartels (SPD), Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP), Paul Schäfer (Linke) und dem Vertreter der CDU, Dieter Hanel, unter der Moderation von Oberst a.D. Reinhard Unruh, dem Vorsitzenden der Landesgruppe Schleswig-Holstein im Reservistenverband.
Text: Siegfried Beyer, Reinhard Unruh (Ado)