„Größter Lump und erster Mann Preußens“
– von Lars Bessel –
Friedrichsruh/ Berlin. Geburtstagswetter sieht anders aus: Es ist kalt und regnerisch, als die kleine Reservistenabordnung den Hügel zum Mausoleum hinaufsteigt. Nur schemenhaft setzt sich das beigefarbene Sandsteingebäude vom dunkelgrün und grau der Waldlichtung ab – und je näher die Frauen und Männer vom Arbeitskreis Reserveoffiziere (AKRO) Kiel kommen, umso surrealer wird die Szenerie: denn aus dem Inneren des Mausoleums dringt wunderbare Klaviermusik. Am Flügel sitzt Meisterpianist Nathan Steinhagen und spielt Bismarcks Lieblingsstück: die Klaviersonate Nr. 14 op. 27 Nr. 2 von Ludwig van Beethoven, besser bekannt als „Mondscheinsonate“.
Das sieht am Abend des 1. April der amtierende Bundespräsident Joachim Gauck bei einem Festakt im Deutschen Historischen Museum in Berlin ähnlich: „Bismarck gehörte zu den wirkmächtigsten Gestalten und Gestaltern der deutschen Geschichte.“ Beispielhaft sei Bismarcks Energie, sein politischer Wille und seine Leidenschaft gewesen, sich wesentlichen Fragen seiner Zeit zu stellen. „Beispielhaft seine Fähigkeit, den richtigen Moment abwarten zu können, beispielhaft auch seine Entschlusskraft und seine Standhaftigkeit.“
Doch da gab es auch die Schattenseiten des „Eisernen Kanzlers“, den Karl Marx gern „Pißmarck“ nannte, jenen Mann, der zunächst kriegerische Einheitspolitik mit „Eisen und Blut“ machte und später Katholiken wie Sozialisten und Sozialdemokraten jagte, einsperrte oder verbannte. Bundespräsident Joachim Gauck: „Ein bleibender Schatten auf Bismarcks Wirken ist sein hartnäckiger, auch unbelehrbarer Drang, Reichsfeinde zu identifizieren und möglichst auszuschließen. Das war nicht nur kontraproduktiv, es hat auch lange nachwirkende Wunden geschlagen und Vorurteile auf Jahrzehnte befestigt.“
Auch Oberst Wolfgang Schmidt, Militärhistoriker an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, warnt seine nationalen wie internationalen Lehrgangsteilnehmer: Für Nationalstolz, Legenden und Mythen sei Bismarck das falsche Vorbild, wenngleich Bismarck in der historischen Betrachtung oftmals allzu negativ dargestellt werde. So sei der erste Reichskanzler gewiss kein „Steigbügelhalter“ für einen späteren gewesen, also für Hitler. Und nach den Einigungskriegen habe Bismarck bewusst noch mehr auf Diplomatie denn auf Militär, vor den „unglückseligen Biereifer der Generale“ (Bismarck) ausdrücklich das Primat der Politik gesetzt. Wenn man dann noch die von Bismarck eingeführte Sozialgesetzgebung hinzunehme, dann ergebe alles zusammen eine durchaus „schillernde Figur“.
Dabei hatte Bismarck die „kleinen Leute“ durchaus im Blick, so Bundespräsident Gauck, auch wenn die Einführung von Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung zweifelsohne eine „besondere List“ war: „Um seine sozialistischen Gegner zu bekämpfen, schuf Bismarck die damals weltweit fortschrittlichste Sozialgesetzgebung. Das hat Deutschland nachhaltig geprägt. Gerade die Bismarckzeit zeigt, dass sich soziale Sicherheit und dynamische wirtschaftliche Entwicklung nicht ausschließen, sondern dass sie im Gegenteil einander stärken können und sollten.“
Die Herausforderung in der geschichtlichen Beurteilung Bismarcks liegt nach Einschätzung von Militärhistoriker Oberst Wolfgang Schmidt denn auch darin, den Reichsgründer „auf der historischen Folie“ zu beurteilen, weshalb man heute nicht „von Bismarck lernen kann, als lese man in einem Rezeptbuch“. Die „Deutschtümelei“ mancher (Reserve-)Offiziere halte er deshalb für durchaus problematisch, denn „mit einem gewissen Stolz“ könne einen eigentlich erst die Geschichte der demokratischen Bundesrepublik erfüllen.
Und Stiftungs-Professor Lappenküper wundert sich sogar über die zum Teil ehrerbietende Haltung aktiver wie ehemaliger deutscher Soldaten: war die Skepsis Bismarcks gegenüber Militär und vor allem deren Führern doch durchaus ausgeprägt. Auch wenn Bismarck beileibe kein „Friedensfürst“ gewesen sei, so habe er doch stets gemahnt, man müsse bereits vor einem Krieg wissen, wie man ihn wieder – möglichst erfolgreich – beenden kann. Angesicht aktueller Krisen und Kriege vielleicht doch ein „Rezept“ des „Eisernen Kanzlers“ für die Gegenwart …
Mit Blick auf die Besucher im Bismarck-Museum in Friedrichsruh stellt Lappenküper jedenfalls erfreut fest, „dass wir uns auf dem Weg zu einem ausgewogeneren Bild Bismarcks“ befinden. Das wachsende Interesse deute darauf hin, dass Deutschland mehr und mehr Abstand nehme zu heroisierenden wie dämonisierenden Vorstellung in Bezug auf den Reichsgründer. Es gelte „seine Leistungen zu würdigen, ohne die Fehlleistungen unter den Teppich zu kehren“. Dazu zählen für ihn auch durchaus „zukunftsweisende weil integrierende Ideen“ Bismarcks auf europäischer Ebene. Bei Bundespräsident Joachim Gauck klingt das so: „Wir stehen heute vor ähnlich großen Fragen. Unsere Antworten werden andere sein. Aber den Mut, sich mit Tatkraft und Optimismus diesen Herausforderungen zu stellen, den können wir von ihm lernen.“
Orte, dies zu reflektieren, gibt es nach wie vor viele in Deutschland – und darüber hinaus: Neben zahllosen Gedenksteinen, nach Bismarck benannten Straßen und Plätzen sowie übermannshohen Statuen, stehen noch heute 173 Bismarcktürme und -säulen auf dem heutigen Gebiet von Deutschland, Frankreich, Tschechien, Polen, Russland, Österreich, Kamerun und Chile. Und last but not least gibt es das Mausoleum im Sachsenwald von Friedrichsruh, in dem der Sarg von Bismarcks Ehefrau Johanna (?1894) direkt neben dem ihres Mannes steht, der am 30. Juli 1898 starb. In drei Jahren gibt es somit den nächsten größeren Anlass, sich seiner möglichst differenziert zu erinnern: zum 120. Todestag anno 2018.
Die Bismarcks heute: Der Lack ist spröde
– von Adelsexperte Jürgen Worlitz –
Das Vermögen der Bismarcks liegt längst nicht mehr bei der oft zitierten Milliarde. Von den einst 6.000 Hektar Sachsenwald gehören ihnen noch rund 3.000, die andere Hälfte ging an eine Hamburger Reederfamilie. Neben dem Wald haben die Bismarcks verpachtete Restaurants, einen Schmetterlingsgarten und pflegen in Friedrichsruh ein Bismarck-Areal mit Museum, Mausoleum und dem erwähnten Restaurant. Die „Bismarck-Quelle“ (Mineralwasser) ist verpachtet.
Von den Fürstenkindern ist einer tot (Gottfried, Drogensucht), einer ist auf und davon (der nunmehr entmachtete Erbgraf Carl Eduard (54), der als faulster Bundestagsabgeordnete aller Zeiten Geschichte schrieb und drei Mal geschieden ist), eine (Vanessa, 44) lebt als PR-Lady, verheiratet mit Kind in New York und einer, der besagte Gregor, ein glückloser Filmproduzent, versucht sich in der Leitung des Familienimperiums.
„Seine Durchlaucht“ Clanchef Ferdinand ist unter anderem Patenonkel von König Willem-Alexander der Niederlande. Man kennt viele Royals seit Urzeiten von der Jagd her, immerhin sind Jagdpartien eine wichtige Geldquelle der Bismarcks und schaffen gesellschaftliche Anerkennung. Adel vom Feinsten und Geldadel vom Reichsten geben sich dann in Friedrichsruh (total diskret, niemals mit Presse) ein Stelldichein. Ernst August von Hannover hat in Friedrichsruh zum Beispiel Caroline von Monaco kennengelernt. Fazit: Es gibt noch Glanz bei den Bismarcks (Schloss, Jagd), aber die Hochglanzzeiten sind vorbei.