Ostsee, Arktis, China – ohne Marine kein sicherer Handel
Die maritime Abhängigkeit Deutschlands liege bei rund 90 Prozent, ohne sichere Seeverbindungen sei kein Handel im erforderlichen Umfang möglich, so Brinkmann. „93 Millionen Tonnen an Waren sind zur Zeit auf See, der Großteil im Export.“ Insoweit bleibe nichts anderes übrig, als diesen Realitäten Rechnung zu tragen. Erwartet werde „Führung aus der Mitte“, also in enger Abstimmung im Bündnis und mit breiten Fähigkeiten. Deshalb sei die Ausrichtung der vergleichsweise kleinen deutschen Marine nach dem Grundsatz „Breite vor Tiefe“ stets richtig gewesen, so der Vizeadmiral. Die Marine könne so vielfältigen Herausforderungen begegnen und wirksame Beiträge im Bündnisrahmen zusammen mit den NATO-Partnern erbringen.
Die Liste neuer Krisen sei dabei lang: Nachdem Russland in der Ukrainekrise bewiesen habe, nicht vor der Anwendung militärischer Gewalt zur Durchsetzung eigener Interessen zurück zu schrecken, seien die baltischen Staaten „hochgradig besorgt“. Doch damit nicht genug, so Brinkmann weiter: Schon heute gebe es Territorialkonflikte in der Arktis und konkurrierende Ansprüche auf die dortigen Rohstoffvorkommen. „Und die Situation im chinesischen Meer mit ihren tagtäglichen Scharmützeln haben wir hier noch gar nicht auf dem Radar.“ Dabei gehe es ausdrücklich nicht um eine unmittelbare Bedrohung, aber gegebenenfalls um Aufgabenteilung: „Dann müssen wir hier mehr leisten, wenn uns die USA dort den Rücken freihalten.
“ Weitere internationale Einsätze für die deutsche Marine sieht der stellvertretende Inspekteur ausdrücklich nicht, „das ist gar nicht zu schultern mit den Mitteln, die wir haben“. Allerdings erwartet Brinkmann in diesem globalen Zusammenspiel eine Rückbesinnung der NATO auf ihre eigenen Wurzeln; konkret bedeute das für die deutsche Marine eine „Refokussierung auf den Ostseeraum“.
Es folgte eine Analyse der gegenwärtigen Materiallage und Rüstungsvorhaben für die Marine, die Brinkmann insgesamt positiv beurteilte. Die öffentlichen Aussagen, dass etwa der neue Marinehubschrauber nicht einsatzfähig sei, nannte Brinkmann in diesem Zusammenhang falsch, da es deutliche Unterschiede zwischen zivilen und militärischen Zertifizierungsverfahren gebe. „Selbstverständlich darf der MH 90 über See fliegen und auch an Bord landen.“
Ein wichtiges Themenfeld war in den Betrachtungen die Personallage. Die „demografische Falle“ sei auch für die Marine eine Herausforderung. Viele Einsätze und lange Abwesenheiten von zu Hause seien strukturelle Hindernisse auf dem Weg zu einem der attraktivsten Arbeitgeber, den Politik und Bundeswehr beschreiten wollten, so der Admiral. Er sei dennoch zuversichtlich, dass die Marine im Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen könne: Neue Arbeitszeitregelungen und Nutzungskonzepte für die Boote und Schiffe, bessere Unterbringung und intensivere Familienbetreuung sowie angepasste Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten würden eine positive Wirkung zeigen; ebenso eine veränderte Versetzungspraxis. Dennoch gelte es, weitere Hürden abzubauen, um den eingeschlagenen Weg, der noch länger sei, erfolgreich weiter zu beschreiten.
Das Thema des Abends hatte eingangs der Landesvorsitzende des Reservistenverbandes, Dr. Jens Kullik, vorgegeben: „Neue Krisen, neue Marine, neue Reserve“. Für letztere sei in der Marine ebenfalls eine neue Zeit angebrochen, so Brinkmann. Heute gelte mehr denn je: Jede Reservistin und jeder Reservist der Marine werde gebraucht. Durch den Wegfall der Wehrpflicht sei ein wichtiger „Impuls“ verloren gegangen, sich in den Streitkräften zu verpflichten – für die Marine sei das „besonders dramatisch“. Die zwingend notwendige Folge: eine „Renaissance der Reservisten“, so der stellvertretende Inspekteur der Marine.
Sowohl längere Dienstleistungen als auch kürzere Verwendungen seien unverzichtbar, um alle Erwartungen an die Marine jederzeit erfüllen zu können. Admiral Brinkmann betonte die Wichtigkeit der freiwilligen Reservistenarbeit: Ohne die Präsenz engagierter und kompetenter Reservisten in der Fläche finde die Marine oft „in den Köpfen“ nicht statt. „Wir brauchen Ansprechpartner in Sachen Marine für die Menschen und gesellschaftlichen Institutionen vor Ort“, unterstrich der stellvertretende Inspekteur. Doch nicht „nur“ als Multiplikatoren seien die Reservisten nötig, sondern auch „um Grundbetrieb und Einsatz aufrecht erhalten zu können; wir brauchen Reservisten, um Löcher zu stopfen“. Der Beitrag des Reservistenverbandes sei dabei unverzichtbar und hoch willkommen, so der Admiral abschließend.