loyal-Ausgabe Juni 2025
Gemäßigter Pazifismus
Editorial von Chefredakteur André Uzulis
Die SPD hat eine lange pazifistische Tradition. Von der Kritik am Militarismus im Kaiserreich über die Bekämpfung des Beitritts der Bundesrepublik zur NATO, die Proteste gegen den Vietnamkrieg der Amerikaner, die Demontage des eigenen Kanzlers Helmut Schmidt in der Nachrüstungsfrage der 1980er-Jahre bis zur Weigerung vor nicht allzu langer Zeit, Bundeswehrdrohnen zu bewaffnen, reicht der Bogen des sozialdemokratischen Ringens mit einer kriegerischen Welt, die nun mal so ist, wie sie ist. Manchmal lagen die Genossen in der Rückschau gesehen mit ihrem Pazifismus richtig, manchmal falsch.
In die neue Bundesregierung scheinen sie sicherheitspolitisch richtig eingebogen zu sein. Ihr Pazifismus kommt aktuell gemäßigt daher. Nach dem ersten Einmarsch Russlands in die Ukraine und der Eroberung der Krim warnte der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2014 noch vor „Kriegsgeheul“ statt vor Putin. Heute ist der wehrhafte Flügel der SPD so stark wie seit Kanzler Schröder nicht mehr, der 1999 deutsche Soldaten auf den Balkan schickte, um Serbiens ethnische Säuberungen im Kosovo zu stoppen.
Die pazifistische Fraktion innerhalb der SPD ist in den Hintergrund getreten: Rolf Mützenich ist kein Fraktionschef mehr, Saskia Esken bald keine Parteichefin mehr. Stattdessen geben Realisten wie Lars Klingbeil und Boris Pistorius den Ton an. Von Letzterem stammt der Begriff „Kriegstüchtigkeit“, der bei in der Wolle gefärbten Pazifisten nach wie vor zu Schnappatmung führt. Die Klingbeil/Pistorius-SPD ist offensichtlich gewillt, Deutschland endlich wieder wehrfähig zu machen. Sie passt gut zu einer CDU, deren knorriger Außenminister alter Schule Johann Wadephul die neue robuste Linie der Bundesregierung diplomatisch flankiert. Nicht zuletzt hat Bundeskanzler Merz in den ersten Wochen seiner Amtszeit gezeigt, dass er für deutlicheren Gestaltungswillen und stärkere Durchsetzungsfähigkeit in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik steht.
Der sozialdemokratische Koalitionspartner ist trotz des grundsätzlichen Konsenses mit der Union jedoch ein unsicherer Kantonist. Fraktionschef Matthias Miersch vom linken Flügel der SPD hat zuletzt Taurus-Lieferungen an die Ukraine ausgeschlossen, wo doch gerade Kanzler Merz hier sinnvollerweise eine Linie der strategischen Ambiguität verfolgt und vor dem Aggressor Putin nichts ausschließen will. Geradezu ein Sicherheitsrisiko stellt bei den Sozialdemokraten der Abgeordnete Ralf Stegner dar. Von ihm wurde – auch zum Entsetzen eigener Parteifreunde – bekannt, dass er sich mit dem notorisch russlandfreundlichen früheren Parteichef Matthias Platzeck und zweitrangigen CDU-Vertretern wie Ronald Pofalla und Stefan Holthoff-Pförtner zu Geheimgesprächen mit Vertretern Russlands in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku getroffen hat. Was die Sache pikant macht: Stegner ist Mitglied in der Parlamentarischen Kontrollkommission, die die Geheimdienste überwacht. Er verfügt also über sicherheitsrelevantes Insiderwissen.
Was in aller Welt treibt den Mann, sich heimlich mit Vertretern des Diktators Putin zu treffen?
Die Koalition zwischen Union und SPD bleibt auf sicherheitspolitischem Feld fragil. Wie sehr die SPD ihren Pazifismus tatsächlich gezähmt hat in einer Zeit, in der es mehr denn je auf eine klare Haltung gegen den Aggressor Russland ankommt, wird sich zeigen. Querschüsse und Störmanöver sind jedenfalls nicht ausgeschlossen.
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