Achtung, Bauarbeiten!
Die Truppe baut um. Um den Herausforderungen in der Landes- und Bündnisverteidigung gerecht zu werden, braucht es massive strukturelle Anpassungen. Umbauarbeiten, die hier und da auch Staus verursachen.
Wir drehen derzeit jeden Stein um“, erklärt Oberst i.G. Wilhelm Neißendorfer, Leiter des Reservistenreferates EBU I2 im Verteidigungsministerium den Verbändevertretern während der 70. Sitzung des Beirates Reservistenarbeit im unterfränkischen Hammelburg. Im Zentrum der Sitzung stand die Integration des Heimatschutzes ins Heer, eine der für die Reserve tiefgreifendste Veränderung dieser Tage, die der Verteidigungsminister im vergangenen Jahr mit dem Osnabrücker Erlass angeordnet hatte. Noch während die aus dem Erlass resultierende Umstrukturierung andauert, werden mit den neuen Fähigkeitszielen der NATO wohl weitere Reformbedarfe auf die Streitkräfte zukommen und das alles in kürzester Zeit.
Basiswehrdienst, Heimatschutz und die Ausbildung Ungedienter
Wie es bei umfangreichen Bauarbeiten so üblich ist, kommt es im laufenden Verkehr vielerorts zu Umleitungen und Verzögerungen. Ein Beispiel, das derzeit viele bewegt: Die Ausbildung der sogenannten „Ungedienten“. Ohne das Ausbildungsprogramm für Menschen, die fest im Zivilberuf stehen, aber die Bundeswehr als Reservisten unterstützen möchten, aktiv zu bewerben, haben aktuell rund 3.000 Menschen Interesse an der heimatnahen Ausbildung bekundet. In diesem Jahr stehen jedoch nur knapp 500 Ausbildungsplätze zur Verfügung, wie es 2026 weitergeht, ist gar noch völlig offen. Dass es weitergeht mit der Ausbildung von Ungedienten ist klar, das habe der Verteidigungsminister angewiesen, bestätigt Neißendorfer. Wie, das weiß in der Truppe aber heute noch niemand so recht.
Denn mit der Integration des Heimatschutzes ins Heer haben die Landeskommandos ihre Verantwortung in diesem Bereich abgegeben. Das Heer aber hat keine Ausbildungskapazitäten für die Ungedienten, im Fokus stehen hier zunächst die geplanten 5.000 jungen Rekruten, die mit dem neuen Basiswehrdienst jährlich in die Bundeswehr kommen sollen, wie Brigadegeneral Hans-Peter Fennel, Abteilungsleiter Unterstützung im Kommando Heer am Rande seines Vortrags zum Status der Integration des Heimatschutzes ins Heer erklärte. Weiteres Problem: Die Ungedienten sind auch nach Abschluss der Ausbildung noch nicht sofort im Heimatschutz einsetzbar, es bestünde für sie zunächst noch Weiterqualifizierungsbedarf.

Die Bundeswehr steht dabei gewissermaßen vor einem Dilemma. Denn einerseits braucht sie händeringend mehr Personal, und wenngleich die Ungedienten ihre Personalprobleme allein sicher nicht lösen werden, ist das Signal, welches hiermit in die Bevölkerung gesendet wird, doch ein wichtiges: Sicherheit ist Gemeinschaftsaufgabe, wer sich engagieren kann, sollte das tun. Denn ohne eine solide Personalregeneration ist jede Anstrengung, verteidigungsfähig zu werden, umsonst. Auf der anderen Seite sind die Ausbildungskapazitäten schlichtweg auch aufgrund der Personallage in der Bundeswehr begrenzt – angesichts der jahrzehntelangen Sparpolitik ist das eine Tatsache und kann keine Überraschung sein.
Wie dieser Teufelskreis aus zu wenig Ausbildungsstruktur und zu wenigen ausgebildeten Kräften durchbrochen werden kann und in wieweit die Beiratsverbände hier mit ihren Möglichkeiten unterstützen können, damit beschäftigt sich neben den Verbänden selbst derzeit auch das Kompetenzzentrum Reservistenarbeit im Streitkräfteamt, allen voran dessen Leiter Oberst i.G. Florian Kracht. Seit dem 1. April dieses Jahres obliegt seiner Dienststelle mit der Verortung der beorderungsunabhängigen Reservistenarbeit im Streitkräfteamt auch die fachliche Führung der Feldwebel und Stabsoffiziere für Reservistenarbeit in der Fläche – und damit auch die Ausbildung von Ungedienten. Das übergeordnete Ziel: „Die Herstellung der Beorderungsfähigkeit“. Das Wie ist noch in Arbeit, bestätigt auch Kracht, denn die ministeriellen Weisung mit klaren Bedarfsträgervorgaben und einem Konzept zur Standardisierung der unterschiedlichen regionalen Ausbildungsprogramme ist derzeit noch in Erarbeitung. Der Vizepräsident Militärische Ausbildung des VdRBw, Oberst d.R. Manfred Schreiber, appellierte in seinem Vortrag an die anderen Beiratsverbände, hierzu weitere unterstützende Ressourcen im Sinne eines „Ausbildungsverbundes“ zu erschließen.
Noch wird an der Drehscheibe Deutschland gebaut
Von der Wehrerfassung über die Ausbildung von Ungedienten bis hin zur Ausgestaltung des Heimatschutzes, die Strukturen in der Bundeswehr für eine starke, durchhaltefähige und damit letzten Endes abschreckungsfähige Reserve gleichen damit aktuell einer Großbaustelle. Um in diesem Bild zu bleiben: Die Landstraße Reserve muss zu einer vierspurigen Autobahn ausgebaut werden. Auch wenn der erste Bauabschnitt fertiggestellt ist, weiß noch niemand ganz genau, ob die vier Spuren ausreichen, wann weiteres Baumaterial kommt und welche Brücken es möglicherweise noch braucht. Denn schließlich wird auch anderswo in der Sicherheitsarchitektur, Stichwort Bündnisverteidigung, gerade noch gebaut. Und dennoch ist der zügige Ausbau alternativlos, wenn die „Drehscheibe“ Deutschland als maßgebliche Grundlage der Verteidigung im Bündnis im Ernstfall funktionieren soll.
Impulse der Beiratsverbände zur Strategie der Reserve
Der Beirat Reservistenarbeit versteht sich dabei als Unterstützer und Impulsgeber. Das bringt auch das Positionspapier zum Ausdruck, das während der Sitzung verabschiedet wurde. Anlässlich der neuen Herausforderungen wird aktuell die Strategie der Reserve von 2018 überarbeitet und der Beirat Reservistenarbeit beim VdRBw hat dazu ein Impulspapier formuliert, in dem die derzeit 23 Verbände ihre Empfehlungen gebündelt haben. Dabei geht es zum einen um ganz grundlegende Fragen wie die aufgabenorientierte und vollumfängliche Ausstattung von aktiver Truppe und Reserve gleichermaßen, zum anderen um die Frage, wie „die bestehenden Potenziale der Reserve deutlich besser auszuschöpfen“ wären.

Ohne eine Abkehr von der Freiwilligkeit, so heißt es im Papier, wird das „Generieren, Ausbilden und Beüben von 260.000 Reservistinnen und Reservisten“ kaum zu realisieren sein. Dazu sollten zunächst die Grundbeorderung zeitlich entfristet und die „doppelte Freiwilligkeit“ der Hinzuziehung zur Reservedienstleistung von Reservistinnen und Reservisten sowie ihrer Freistellung durch ihren Arbeitgeber aufgelöst werden. Das dürfte rasch möglich sein, gesetzlich ist der Rahmen dafür gegeben. Mit Planbarkeit und einem System besonderer Anreize für Arbeitgeber soll so ein zivil-militärisches Netzwerk entstehen, dass diese Verantwortung für die Verteidigungsfähigkeit tragen kann.
Potenziale in der nicht hoheitlichen Ausbildung nutzen
Eng begleiten wollen die Beiratsverbände daneben aber auch die „schnelle und ggf. schrittweise Wiedereinführung einer Wehrpflicht“, die im Kontext einer übergreifenden Dienstpflicht auch für Frauen gelten könnte. Der Umfang dieser Wehrpflicht ist am Bedarf und an den Möglichkeiten der Streitkräfte auszurichten – welcher Kraftakt der Aufbau der notwendigen Strukturen ist, wird unter anderem beim Blick auf die Ausbildung von Ungedienten sichtbar. Dabei bieten die Beiratsverbände auch ihre Mitwirkung an: Um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden, sollen die vorhandenen Potenziale in der nicht hoheitlichen Ausbildung besser genutzt werden – hier nennt das Papier zuvorderst den VdRBw. Dazu braucht es auch eine gute Kommunikation mit der Bundeswehr und allen voran dem Kommando Heer als Träger des Heimatschutzes.
„Die Liste an Aufgaben ist lang und die Zeit zur Umsetzung knapp bemessen“, weiß der Vorsitzende des Beirats Generalmajor a.D. Walter Huhn. „Umso wichtiger ist es, dass wir die Bundeswehr von innen und außen stärken, indem wir Ausbildungskapazitäten, wo es möglich ist, erhöhen und die Allgemeine Reserve wieder stärker mit einbinden und zudem auch einen breiten politischen sowie gesellschaftlichen Rückhalt für eine Dienstpflicht schaffen.“ Dafür seien die Beiratsverbände mit ihrer breiten Präsenz in der Fläche wie geschaffen. „Wir müssen diesen schweren Stein jetzt einmal ins Rollen bringen. Dazu braucht es die Kraft und den Willen aller.“