Bundeswehr weist Kritik an Malaria-Medikament zurück
Symbolbild oben: Tropenmediziner bei
der Überprüfung einer Insektenfalle im Feldlager
(Foto: ZSanDstBw, Thomas Morwinsky)
Das Medikament Mefloquin (Handelsname: "Lariam") ist keinesfalls in Fachkreisen, also bei Tropenmedizinern, umstritten, sondern hat nach den aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen sogar Vorteile gegenüber anderen Medikamenten, die zur Malaria-Prophylaxe eingesetzt werden. Mefloquin ist seit 1987 für die Malaria-Chemoprophylaxe in Deutschland zugelassen, und somit liegen umfangreiche Langzeiterfahrungen mit dem Medikament vor. Von der zuständigen deutschen Fachgesellschaft (Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit: DTG) wird Mefloquin für fast alle Malaria-Endemiegebiete (Ausnahme: einige Regionen mit Resistenzen im Grenzgebiet Myanmar-Thailand-Laos) nach wie vor als hochwirksames und für viele Anwendungsszenarien Mittel der ersten Wahl empfohlen. In der Bundeswehr wird Mefloquin seit 2002 regelmäßig und dabei ausschließlich gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit eingesetzt.
Die Vorteile von Mefloquin gegenüber den verfügbaren Alternativen liegen vor allem in der erheblich besseren Anwendbarkeit (1 Tablette pro Woche gegenüber 1 Tablette täglich) und dementsprechend eine bessere Befolgung der Einnahme über einen längeren Zeitraum hinweg. Hieraus ergibt sich auch eine höhere Anwendersicherheit bei versehentlichem Vergessen oder Verpassen der Einnahme, da die längere Halbwertzeit des Medikamentes hier noch eine gewisse Zeitreserve erlaubt. Die Alternativmedikamente werden im Körper sehr schnell abgebaut und geben dem Anwender keine Zeitreserve bei vergessener oder verpasster Einnahme.
Zudem ist es wichtig zu beachten, dass Mefloquin keinesfalls das einzige in der Bundeswehr verwendete Medikament zur Malaria-Chemoprophylaxe darstellt. Da auch die alternativen Präparate Nachteile und wie jedes Medikamente Nebenwirkungen haben können, gibt es kein pauschal richtiges Malaria-Chemoprophylaxe-Medikament. Die Verordnung eines Medikamentes zur Malaria-Chemoprophylaxe richtet sich immer nach den individuellen Bedürfnissen und Einsatzgegebenheiten der Soldatinnen und Soldaten.
Dies bedeutet, dass die Mehrzahl der in Afghanistan (AFG) eingesetzten Soldaten überhaupt keine Chemoprophylaxe nehmen muss. Zum einen wird während der kalten Monate (in der Regel von November bis Mitte April) generell auf eine Chemoprophylaxe verzichtet (da die übertragenden Mücken nicht auftreten), zum anderen ist für Soldaten, die die größeren Feldlager nicht regelmäßig verlassen, eine Chemoprophylaxe weder mit "Lariam" noch mit einem anderen Medikament angeordnet. Allein durch die Maßnahmen der sog. Expositionsprophylaxe (u. a. Mückengitter, imprägnierte Bekleidung, Insektenrepellents) ist so die Mehrzahl der deutschen (DEU) Soldaten ausreichend geschützt. Im Gegensatz zu den Streitkräften anderer Nationen, die auf eine regelhafte Chemoprophylaxe mit "Lariam" verzichten und stattdessen hauptsächlich die Alternative "Doxycyclin" einsetzen und dabei wieder eine relevante Anzahl von Malariaerkrankungen verzeichnen, gibt es im DEU Einsatzkontingent in AFG seit 2006 keine Erkrankungsfälle mehr. Auch im Gegensatz zur Praxis anderer Nationen führt DEU eben keine pauschale Chemoprophylaxe für alle eingesetzten Soldaten durch, sondern beschränkt sich hierbei nur auf diejenigen Soldaten, für die eine Malaria-Chemoprophylaxe unabdingbar notwendig ist. Vor diesem Hintergrund werden alle tropischen Einsatzgebiete regelmäßig durch Tropenmediziner und Entomologen evaluiert. Ziel dieser Evaluierungen ist, unter Berücksichtigung der lokalen Malariaepidemiologie, dem Vektoraufkommen und der konkreten, sich aus dem Einsatzprofil des Soldaten ergebenden Exposition ein möglichst realistisches Bild zum tatsächlichen Malariarisiko am Einsatzort zu gewinnen. Diese abgestufte Vorgehensweise ist ein weiterer wesentlicher Faktor für die (verglichen mit anderen Nationen) hohe Compliance (Einnahmetreue) bei der Malaria-Chemoprophylaxe. Mit dieser Praxis der Malariaprophylaxe wurden innerhalb der DEU Streitkräfte in den letzten zehn Jahren in den verschiedensten mit Malariarisiko einhergehenden Einsätzen (z. B. ISAF, EUFOR DR-KONGO, UNMISS, EUTM SOMALIA, ATALANTA) hervorragende Erfahrungen hinsichtlich der im internationalen Vergleich sehr niedrigen Zahl akquirierter eigener Malariaerkrankungen wie auch dem niedrigfrequenten Auftreten chemoprophylaxe-assoziierter Medikamentennebenwirkungen gemacht. Diese unterscheiden sich nicht von den aus der Literatur bekannten Daten. Auch die regelmäßig bei über 90% liegende Compliance ist erheblich höher als bei anderen Nationen, was unter Beachtung der Auswahlkriterien bei der "Lariam"-Verschreibung gegen eine substanzielle Problematik dieses Medikamentes spricht.
Welches Medikament käme alternativ zu "Lariam" aus Sicht des Sanitätsdienstes infrage? In der Bundeswehr werden neben Mefloquin noch Atovaquon/Proguanli ("Malarone") und Doxycyclin zur Malaria-Chemoprophylaxe eingesetzt. Inwiefern klärt die Bundeswehr / klären Angehörige des Sanitätsdienstes die Soldaten über die Nebenwirkungen von "Lariam" auf? Was genau wird den Soldaten gesagt oder was genau steht auf den Merkblättern für Soldaten?
Die Soldaten erhalten – bei vorliegender Indikation zur Malaria-Chemoprophylaxe – vor der Verordnung des jeweiligen Malaria-Prophylaxemedikamentes einen umfangreichen Aufklärungsbogen ausgehändigt, der die wichtigsten Nebenwirkungen gemäß Fachinformation des Herstellers enthält. Zudem werden hier umfangreich Fragen zu etwaigen Vorerkrankungen gestellt, die dem verordnenden Truppenarzt die Auswahl des am besten geeigneten Medikamentes erleichtern. Weiterhin enthält dieser Bogen einen deutlichen Hinweis, dass sich der Soldat bei jedweder Nebenwirkung (egal wie leicht diese auch sein möge) bei seinem Truppenarzt zu melden hat, damit er über Alternativen beraten werden kann. Um mögliche Nebenwirkungen rechtzeitig zu erkennen und noch vor dem Einsatz auf ein Alternativpräparat wechseln zu können, wird mit der Einnahme des Mefloquins bereits zwei Wochen vor dem spätesten Beginn der Chemoprophylaxe begonnen. Diese Maßnahme trägt der Erkenntnis Rechnung, dass ein Großteil der Nebenwirkungen von Mefloquin bereits bei Einnahmebeginn auftreten würde.
Welche Nebenwirkungen von "Lariam" sind der Bundeswehr bekannt?
Die fachlich zuständigen Instanzen der Bundeswehr sind mit dem Nebenwirkungsprofil des Mefloquins aufgrund der langjährigen eigenen Erfahrung und aus entsprechenden Veröffentlichungen eingehend vertraut. In Kooperation zwischen der Konsiliargruppe Neurologie/Psychiatrie und dem Sanitätsamt der Bundeswehr, Abteilung Präventivmedizin, werden klinisch relevante neuropsychiatrische Nebenwirkungen bei Soldatinnen und Soldaten überwacht. Beim vorbeugenden (prophylaktischen) Einsatz wird gelegentlich über körperliche Nebenwirkungen (Kopfschmerzen, allgemeines Unwohlsein, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfall) geklagt. Diese Beschwerden sind in der Regel leicht und treten nur vorübergehend auf. Darüber hinaus sind Fälle beschrieben, in denen die Einnahme von Mefloquin ("Lariam") zu einer Veränderung des Schlafverhaltens (Schlafstörungen, Tagesschläfrigkeit, ungewöhnlich realistische Träume, Alpträume) geführt hat.
Es sind vorübergehende psychische Reaktionen im zeitlichen und möglicherweise kausalen Zusammenhang mit der Einnahme von Mefloquin sporadisch beobachtet worden. Die Häufigkeit liegt bei ca. 1:12.000. Im Rahmen der Arzneimittelüberwachung in der Bundeswehr ist für Mefloquin trotzdem bisher erst eine sogenannte Unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) gemeldet worden. Diese betraf das Auftreten einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitis) sowie eine durch diese ausgelöste Potenzstörung (erektile Dysfunktion) im zeitlichen und möglicherweise ursächlichen Zusammenhang mit der Einnahme von Mefloquin ("Lariam"). Gemäß früheren und aktuell vorliegenden Informationen durch die Konsiliargruppe Neurologie/Psychiatrie sind vorübergehende psychotische Reaktionen im zeitlichen und möglicherweise kausalen Zusammenhang mit der Einnahme von Mefloquin ("Lariam") sporadisch beobachtet worden. Regelmäßig finden Befragungen von Soldatinnen und Soldaten im Einsatz zum Auftreten von Nebenwirkungen der verschiedenen Malaria-Chemoprophylaxe Medikamenten statt. Diese Daten werden wissenschaftlich ausgewertet und sind bereits zur Publikation in einem wissenschaftlichen Fachjournal eingereicht.
Seit wann sind diese Nebenwirkungen der Bundeswehr bekannt?
Anlässlich verschiedener tropenmedizinisch-entomologischer Risikoevaluierungen (d. h. regelmäßige Vor-Ort-Begehung von Spezialisten des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr (ZSanDstBw) wie Tropenmedizinern und Insektenkundlern, die das Vorkommen der übertragenden Mücken analysieren) in Einsatzgebieten mit Malariavorkommen und angeordneter Malaria-Chemoprophylaxe ergaben von eingesetzten Soldaten ausgefüllte Fragebögen keine erkennbaren Unterschiede hinsichtlich des Auftretens psychischer Störungen in Abhängigkeit von der Art der verwendeten Malaria-Chemoprophylaxe und auch keine nennenswerten Unterschiede gegenüber Soldaten, die keine Malaria-Chemoprophylaxe betreiben.
Welchen Soldaten und wie vielen Soldaten pro Jahr wird das Mittel verabreicht (welche Einsatzgebiete, warum gerade dort)?
Zurzeit erhält nur ein kleiner Anteil (ca. 20 %) der in Afghanistan eingesetzten Kontingente überhaupt eine Malaria-Chemoprophylaxe. Die Masse der eingesetzten Soldaten, welche dauerhaft in den Feldlagern stationiert sind, muss keinerlei Malaria-Chemoprophylaxe einnehmen. Diese Differenzierung erfolgt aufgrund der Tatsache, dass das Malariarisiko in Afghanistan zwar vorhanden, aber unterschiedlich hoch ist, sodass nicht alle Regionen, in denen deutsche Soldaten eingesetzt werden, eine Gefährdung bedingen, die den Einsatz einer Malaria-Chemoprophylaxe rechtfertigt. Zu diesem Zweck entsendet die Bundeswehr regelmäßig Spezialisten (Tropenmediziner und Insektenkundler) in die Einsatzgebiete, um das konkrete Risiko abzuschätzen und die Basis für die Empfehlungen zu erarbeiten. Im Einsatz EU NAVFOR wird am Standort DJIBOUTI aufgrund solcher Evaluierungen seit Anfang April dieses Jahres auf eine Malaria-Chemoprophylaxe gänzlich verzichtet. Im Einsatz UNMISS (Südsudan) wird eine ganzjährige Malaria-Chemoprophylaxe durchgeführt, da hier die Gefährdung sehr hoch ist.
Wie beurteilt die Bundeswehr die psychischen Nebenwirkungen von "Lariam" in Bezug auf die Einsatzfähigkeit von Soldaten in Afghanistan?
Am konkreten Beispiel Kundus ergab die Befragung von Soldaten, die "Lariam" als Chemoprophylaxe einnehmen hinsichtlich der Selbsteinschätzung psychischer Störungen während des Einsatzes keine erkennbare Steigerung gegenüber der diesbezüglichen Selbsteinschätzung von Soldaten im Heimatland (ohne "Lariam"-Medikation). Demgegenüber lag die Angabe Schlafstörungen unter Chemoprophylaxe mit "Lariam" um ca. 15 % höher gegenüber dem Zustand im Heimatland. Allerdings traten Schlafstörungen im Einsatz auch bei Soldaten ohne Chemoprophylaxe bzw. unter anderer Chemoprophylaxe als mit "Lariam" auf. Unter diesem Aspekt müssen neben einer etwaigen "Lariam"-Medikation auch die zu Schlafstörungen führenden besonderen Einsatzumstände als wesentliche Ursache hierfür mitbetrachtet werden.
Wird erwogen, das Medikament "Lariam" auch weiterhin den Soldaten zu verabreichen?
Ja, sofern Mefloquin für das jeweilige Einsatzprofil Vorteile bietet, die die potentiellen Nachteile überwiegen.
Die Fragen stellte Marco Seliger,
Chefredakteur Loyal