Wintertraining in Camp Ånn: Überleben im eisigen Norden
Skimärsche, Einbrechen ins Eis und eine klirrend kalte Nacht unter tanzenden Polarlichtern: Das Wintertraining in Schweden hatte es wieder einmal in sich. Leutnant d.R. Felix Weingärtner hat diese einmalige Erfahrung in einem Erlebnisbericht festgehalten.
Mitten in den verschneiten Weiten Jämtlands, im Herzen Schwedens, liegt Camp Ånn – ein Trainingslager, das sich als idealer Ort für ein forderndes Wintertraining erwies. Für eine Woche versammelten sich dort 30 Soldaten aus sieben Nationen (Niederlande, Dänemark, Großbritannien, Finnland, Estland, Deutschland und natürlich Schweden), um sich der Herausforderung zu stellen, in winterlicher Umgebung zurechtzukommen und zu überleben. Gastgeber dieser einzigartigen internationalen Ausbildung war die schwedische Reserveoffiziersvereinigung „Sverof“. Der Reservistenverband hatte drei Plätze für deutsche Teilnehmer ausgeschrieben und so die Möglichkeit geboten, an diesem spannenden Vorhaben teilzunehmen.
Anreise ins Abenteuer
Ich selbst reiste gemeinsam mit zwei deutschen Kameraden aus dem Süden Deutschlands an. Nach einem Flug von Baden-Baden nach Stockholm entschieden wir uns für den Nachtzug, der uns bequem im Liegewagen über Östersund nach Duved brachte. Die abendliche Abfahrt nordwärts durch die Winterkulisse bot einen perfekten Einstieg in das bevorstehende Abenteuer. Leider konnten zwei weitere deutsche Kameraden aufgrund eines Streiks am Berliner Flughafen nicht anreisen.
Ein schwedisches Camp wie aus dem Bilderbuch
Duved, ein kleiner Ort westlich von Åre, markierte das Ende unserer Bahnfahrt. Von dort wurden wir abgeholt und ins Camp Ånn gebracht. Als eine der ersten anreisenden Gruppen hatten wir Gelegenheit, uns umzusehen. Das Camp, typisch schwedisch, bestand aus mehreren roten Holzhäusern mit weißen Fensterrahmen – eine malerische, zugleich funktionale Liegenschaft, in der überwiegend militärisches Personal ausgebildet wird. Nach einem stärkenden Abendessen und einer Begrüßung durch den Hörsaalleiter, einen schwedischen Oberleutnant, erhielten wir eine erste Einweisung in das schwedische Uniformsystem. Früh ging es an diesem Abend ins Bett – wissend, dass die kommenden Tage fordernd sein würden. Generell gliederte sich das Training in mehrere Ausbildungsabschnitte, die durch Skimärsche als verbindendes Element zusammengehalten wurden.

Ausrüstung, Theorie und Feuerprüfung
Am ersten Tag, einem Montag, empfingen wir die schwedischen Uniform- und Ausrüstungsgegenstände sowie Skier. Im Wesentlichen entsprach die empfangene Ausrüstung dem, was ein schwedischer Soldat bei seiner Einkleidung erhält – von der Unterhose bis zum Kochgeschirr. Im anschließenden Unterricht zur „Cold Weather Theory“ ging es um das richtige Verhalten in extrem kalten Umgebungen – ein Thema, das Leben retten kann. Im Anschluss wurden alle Teilnehmer in vier Gruppen aufgeteilt, wobei man sehr auf internationale Zusammensetzung achtete. Diese bewusste Einteilung sorgte für eine interessante Dynamik und ermöglichte einen wertvollen Austausch zwischen den einzelnen Nationen. Danach folgte auch schon der erste praktische Teil außerhalb des Hörsaals: die Feuerprüfung. Die Verwendung von Birkenrinde und der richtige Umgang mit dem Feuerstahl erwiesen sich als effektiv, und jeder musste sein eigenes Feuer entfachen.
Skimarsch auf bewährten Holzlatten
Der darauffolgende Tag stand im Zeichen des Skilaufens. Die verwendeten Skier sind absolut zweckmäßig, aber technisch noch auf dem Stand der 1930er Jahre. Auch der geübte Skifahrer muss sich zunächst mit den Eigenheiten der Holzlatten arrangieren, die über keinerlei Stahlkanten verfügen. Der richtige Marschrhythmus samt Gepäck sowie der Umgang mit dem Akja-Schlitten bildeten weitere Übungsabschnitte. Am Abend folgte die Befehlsausgabe für die anstehende Übung, bei der wir zwei Nächte draußen verbringen würden – die Anspannung war spürbar.
Eisbaden und überleben in der Notunterkunft
Am nächsten Morgen reiste der Kommandeur der Militärakademie an, um uns persönlich zu begrüßen und in die Übung zu verabschieden. Im Anschluss brachen wir zum Übungsgelände auf. Der Skimarsch im Gruppenrahmen führte uns durch malerische Schneelandschaften zu einem gefrorenen See namens „Klocka“. Dort wartete die erste große Herausforderung: der „Ice Breaking Drill“. Das absichtliche Einbrechen ins null Grad kalte Wasser und das anschließende Retten aus eigener Kraft war eine mentale und körperliche Prüfung.

Danach führte uns der Marsch weiter in höheres Gelände. Jeder erhielt die Aufgabe, eine Notunterkunft in einem zugewiesenen Bereich zu errichten. Nach einer Einweisung hieß es, ein lang brennendes Feuer in Gang zu setzen, eine warme Mahlzeit zuzubereiten und heißes Wasser für die Nacht zu kochen. Die mit knapp -20 Grad Celsius klirrend kalte, aber mondhelle Nacht in der improvisierten Unterkunft bleibt unvergesslich. Unter tanzenden Polarlichtern am Himmel schlief ich irgendwann ein.
Skijöring mit dem Hägglunds
Der Donnerstag begann mit einem besonderen Erlebnis – Skijöring hinter einem Hägglunds-Kettenfahrzeug. Skijöring heißt wörtlich „Skifahren mit Zugkraft“ – traditionell mit Pferden oder Hunden. In der modernen Variante zieht der Hägglunds die Skifahrer an einem Seil hinter sich her. Diese für uns zunächst ungewöhnliche Art der Fortbewegung sorgte für viel Erheiterung und stärkte den Teamgeist. In den nordischen Ländern ist sie ein gebräuchliches Mittel zur landgebundenen Verlegung von Truppen.
Nach einem weiteren Aufstieg auf eine nahegelegene Anhöhe wurden wir mit einem Blick auf das ostwärts gelegene Skigebiet Åre und westlich auf einen Gebirgszug jenseits der norwegischen Grenze belohnt. Am Nachmittag errichteten wir ein neues Nachtlager in runden Gruppenzelten, die mit Holzöfen beheizt wurden – eine behagliche Unterkunft nach der eisigen Nacht zuvor.
Navigieren, schwitzen, durchhalten
Der letzte Ausbildungstag begann mit dem Rückbau der Zelte mit der besonderen Herausforderung, keine Spuren zu hinterlassen. Alle Lagerstellen wurden sorgfältig zugeschaufelt. Danach folgte ein Orientierungsskimarsch im Gruppenrahmen. Jede Gruppe erhielt eine Karte mit neun Navigationspunkten.

Nach rund 13 Kilometern – erschöpft, aber zufrieden – erreichten wir Camp Ånn und bereiteten nach der Auswertung der Übung das Material nach. Am Abend genossen wir die heiße Dusche und, wer wollte, eine Sauna mit den finnischen Kameraden – eine gute Gelegenheit, die letzten Tage Revue passieren zu lassen.
Waffeln, Geschichte und Kameradschaft
Am Samstag stand ein kultureller Ausflug auf dem Programm. Wir besuchten ein kleines Café, genossen im Rahmen einer „Fika“ (Kaffeepause mit Gebäck) schwedische Waffeln und besichtigten eine alte Kirche in der kleinen Gemeinde Handöl, deren Geschichte eng mit dem tragischen „Todesmarsch der Karoliner“ verbunden ist. Ein in historischer Uniform gewandeter Archäologe brachte uns eindrucksvoll das Schicksal der 600 schwedischen Soldaten näher, die hier im 18. Jahrhundert auf dem Rückzug nach der missglückten Invasion Norwegens den Kältetod fanden.
Ein würdiger Abschluss
Der Abschlussabend bot ein opulentes Dinner und die feierliche Übergabe der Zertifikate. Es war ein würdiger Abschluss einer Woche, die in Erinnerung bleiben wird. Die Rückreise nach Stockholm und eine weitere Nacht in der schwedischen Hauptstadt boten Gelegenheit, die kulturellen Highlights zu erleben.
Das Wintertraining in Camp Ånn war nicht nur eine militärische Ausbildung, sondern auch ein interkultureller Austausch auf höchstem Niveau. Die gelebte internationale Kameradschaft, die gemeinsamen Herausforderungen und die beeindruckende Natur Schwedens machten diese Woche zu einem unvergesslichen Erlebnis. Ich bin sehr dankbar, dass ich Teil davon sein durfte.
Das Wintertraining findet jeweils im März statt. Bei weiteren Fragen dazu können Sie sich an das Sachgebiet Internationale Zusammenarbeit wenden: internationales@reservistenverband.de.