Das Eldorado für Rüstung
Die deutsche Wehrindustrie versucht verstärkt, im US-Markt Fuß zu fassen. Das hat Gründe.
Mit den zunehmenden internationalen Spannungen wächst weltweit die Summe an Geld, das für militärisches Equipment ausgegeben wird. Im Jahr 2023 erreichten die globalen Rüstungsausgaben einen neuen Höchststand mit 2,4 Billionen US-Dollar, so das Stockholmer Institut für Internationale Friedensforschung SIPRI. Den Mammutanteil davon bildet der US-Verteidigungsetat mit mehr als 900 Milliarden US-Dollar – das Dreifache des chinesischen Wehrbudgets, das auf Platz zwei folgt. Laut SIPRI konnte allein der US-Konzern Lockheed Martin 2023 einen Umsatz von circa 60 Milliarden Dollar verbuchen. Das ist mehr als die gesamte Luft- und Raumfahrtbranche Deutschlands erwirtschaftet. Deren Umsatz lag im selben Jahr bei 46 Milliarden Euro, so der Bundesverband der Deutschen Luftfahrt- und Raumfahrttindustrie. Es ist also keine Überraschung, dass europäische und damit auch deutsche Unternehmen vermehrt versuchen, im lukrativen US-Rüstungsmarkt mitzumischen.
Der ist nicht nur größer, sondern er bietet auch strukturelle Vorteile. In Deutschland verabschiedet der Bundestag jedes Jahr den Verteidigungshaushalt für diversen Rüstungsvorhaben. Zusätzlich prüft und genehmigt er alle Rüstungsprojekte ab 25 Millionen Euro. In den USA wird das jährliche Rüstungsbudget einmal als Ganzes vom Kongress verabschiedet. Die Unternehmen können so einfacher und schneller planen. Hinzu kommt das durchgängig hohe US-amerikanische Militärbudget. Das gibt den Rüstungsunternehmen Planungssicherheit und stützt die Produktion über mehrere Jahre. Dadurch wiederum ist es für die Firmen leichter, zu expandieren. In Deutschland ist die Rüstung auf multinationale Planung ausgelegt, was den Prozess verlangsamt. In den USA geht es dagegen meist allein um die Ausrüstung der US-Streitkräfte, ohne den Ballast einer Abstimmung mit diversen Partnern.
Viele Hürden für ausländische Firmen
Im Rüstungseldorado USA Fuß zu fassen, ist für ausländische Firmen allerdings schwierig. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die das erschweren. Neben zahlreichen Sicherheitsüberprüfungen in jeder Phase der Ansiedelung, des Produktionsaufbaus und der Beteiligung an Ausschreibungen, gibt es auch politische Hürden. So wurde zum Beispiel 1933 der „Buy American Act“ geschaffen. Dieser bevorzugt US-Unternehmen bei öffentlichen Vergaben und nötigt ausländische Mitbewerber nachzuweisen, warum ihre Produkte besser sein sollen. Um die Einschränkungen des „Buy American Acts“ zu umgehen, gründen deutsche Firmen US-Töchter oder gehen Joint Ventures mit dortigen Unternehmen ein. So gründete der deutsche Radarhersteller Hensoldt 2007 Hensoldt North America. Die Renk AG, bekannt für ihre Panzergetriebe, ist dabei, Cincinnati Gearing Systems zu übernehmen, einen Getriebehersteller mit Fokus auf die Marine. Die Marinerüstung gilt wegen des Fokus der US-Streitkräfte auf China als wachsender Schwerpunkt der US-Beschaffung.

Die ambitionierteste US-Strategie verfolgt der Wehrkonzern Rheinmetall, dessen Schwerpunkt die Heeresrüstung ist. Rheinmetall ist vor allem als ein Hersteller des Kampfpanzerns Leopard 2 und von Munition bekannt. Das Unternehmen mit der Zentrale in Düsseldorf gründete 2016 eine US-Tochter. Der deutsche Wehrkonzern will vor allem von der Modernisierung der mechanisierten Kräfte der US-Army profitieren. Ein Beispiel: Der in die Jahre gekommene Schützenpanzer Bradley soll ersetzt werden. Dabei geht es um eine Stückzahl von 4.000 neuen Schützenpanzern plus Exportpotenzial. Das ist eine ganz andere Größenordnung als am deutschen Heimatmarkt. Dort plant die Bundeswehr laut ihrem jüngsten Rüstungsbericht mit maximal 400 Schützenpanzern vom Typ Puma.
Wachstum durch Zukauf
Um von solchen Geschäften profitieren zu können, setzt Rheinmetall auf eine Strategie des sogenannten „anorganischen Wachstums“ in den USA. Das bedeutet, das Unternehmen wächst nicht durch den Mehrverkauf von verbesserten Produkten, sondern durch den Zukauf von US-Firmen. Das aktuelle Beispiel hierfür ist die Übernahme des in Plymouth beheimateten Konzerns Loc Perfomance, der nun als Teil von American Rheinmetall Vehicles geführt wird. Mit der Übernahme des bedeutenden Herstellers von Fahrzeugteilen für Militär- und Zivilfahrzeugen sichert sich Rheinmetall nach eigenen Aussagen eine gestärkte Position im Kerngeschäft für die Herstellung militärischer Landfahrzeuge in den USA.
Mit American Rheinmetall Vehicles, American Rheinmetall Munitions und American Rheinmetall Systems unterhält der Konzern inzwischen drei Tochterunternehmen mit zwölf Standorten in den USA, zusammengefasst in der amerikanischen Konzernmutter American Rheinmetall Defense mit Sitz in Sterling Heights in Michigan. Diese Amerikanisierung wird mit Kooperationen ergänzt, um bei zentralen US-Ausschreibungen erfolgreich zu sein. Seit 2018 arbeitet Rheinmetall mit Raytheon Technologies zusammen, um seinen Schützenpanzer Lynx als Bradley-Nachfolger durchzusetzen. Um das zu erreichen, hat man vor Ort das sogenannte „Team Lynx“ unter Führung von American Rheinmetall Vehicles gegründet, das führende Verteidigungsunternehmen zusammenbringt, um eine beständige und langfristige Partnerschaft mit der US-Armee aufzubauen.

Rheinmetall hat als einer von zwei verbliebenen Bewerbern gute Chancen, den Zuschlag für das „XM30 Combat Vehicle“-Programm zu bekommen und somit einen Vertrag für die Produktion des „Bradley“-Nachfolgers. Mit einem geschätzten Gesamtwert von 45 Milliarden Dollar für diesen Auftrag könnte sich das deutsche Unternehmen in der oberen Riege der Rüstungsfirmen in den USA platzieren. Ein zweites US-Geschäft, das sich Rheinmetall sichern möchte, ist die Erneuerung der LKW-Flotte der US-Army. Seit 2022 arbeitet der deutsche Konzern dafür mit General Motors Defense zusammen, um am „Common Tactical Truck“-Programm des US-Heeres teilzunehmen. Hier geht es um 40.000 LKW im Wert von bis zu 14 Milliarden Dollar. Das wäre eine Verdopplung der bisherigen LKW-Absatzes von Rheinmetall allein durch die US-Beschaffung. Das Unternehmen gab zu Jahresbeginn an, dass weltweit 20.000 seiner Militär-Lastkraftwagen vom Typ HX bei Streitkräften im Einsatz sind.
Seit Herbst vergangenen Jahres arbeitet Rheinmetall auch an der Entwicklung autonomer Fahrzeuge für die amerikanischen Streitkräfte. Im Rahmen des „S-MET Inc II“-Programms will es in diesem Jahr acht Prototypen herstellen und zu Testzwecken an die US-Armee liefern.
Pentagon soll Wehretat verschlanken
Ob sich Rheinmetalls Investitionen in Zukunft auszahlen, wird sich zeigen. Bisher ist das US-Geschäft noch überschaubar. Laut Rheinmetalls Geschäftsbericht für 2024 kommt die Region Amerika mit Nord-, Mittel- und Südamerika auf schmale 7,7 Prozent Umsatzanteil; dies ist sogar ein leichter Rückgang gegenüber 8,3 Prozent im Jahr 2023. Für das vergangene Jahr waren das 746 Millionen Euro. Zum Vergleich: Das Stammgeschäft in Europa brachte Rheinmetall 7,5 Milliarden Euro ein. US-Rüstungsunternehmen aufzukaufen, ist auf jeden Fall eine gute Idee. Denn US-Präsident Donald Trump möchte durch hohe Einfuhrzölle erreichen, dass Unternehmen vermehrt in den USA produzieren. Doch sollten die politischen Verwerfungen mit den Europäern eskalieren, ist fraglich, ob ein „Made in the USA“-Label für europäische Produzenten ausreicht, um bei Ausschreibungen zum Zuge zu kommen.
Zudem ist unklar, wie sich der US-Wehretat entwickelt. Trump postuliert ein starkes US-Militär als zentralen Pfeiler seiner „Frieden durch Stärke“-Agenda. Dabei sollen übermächtige US-Streitkräfte die globale Vormachtstellung der Vereinigten Staaten durch eine umfassende Abschreckungsfähigkeit sichern. Doch das Pentagon soll auch den Wehretat verschlanken. Es stellte soeben eine jährliche Kürzung von 50 Milliarden US-Dollar über die nächsten fünf Jahre in Aussicht. Zudem sollen 17 Rüstungsgebiete priorisiert werden. Die Erneuerung des Heeresinventars – Rheinmetalls Fokus – gehört nicht dazu.
Der Autor
Benjamin Daum absolviert den Masterstudiengang Zeitgeschichte mit Fokus auf Sicherheits- und Außenpolitik an der Universität Potsdam.