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Die Farbe des Krieges und der Liebe

Die Kriege, die Armenien und Aserbaidschan gegeneinander geführt haben, beschäftigen auch die Literatur in beiden Ländern. Der 1983 geborene armenische Schriftsteller Howik Afjan hat die kriegerische Gewalt in seinem ersten Roman „Rot ist der Krieg“ literarisch verarbeitet. loyal zeigt exklusiv einen Auszug.

Fruns, einer der Helden in Howik Afjans Roman, träumt vom Meer. Doch Armenien ist ein Binnenland. Das größte Gewässer ist der Sewansee – zweieinhalb mal so groß wie der Bodensee. Der Sewan-See liegt auf 1.900 Meter; er ist einer der höchstgelegenen Seen der Erde.

Foto: Stephan Pramme

armenienloyal

Das Jahr 20…

Sein graumelierter Bart verdeckte die Narbe. Die Krücken hasste er mehr als alles auf der Welt, aber ohne sie kam er nicht einmal aufs Klo. Dass er für die Heimat seine Jugend, sein Leben gegeben hatte – so etwas hätte Fruns nie gesagt. Wenn auf die Gefallenen angestoßen wurde, stand er auf einem Bein, denn er hatte nur eins. Seine Frau, der er vor dem Krieg im Frühjahr Flieder und im Herbst Rosen geschenkt hatte, hatte das Warten nicht mehr ertragen. Letzteres ist im Krieg gefährlicher als jede Kugel. Sie hatten die Sterne gezählt, aber Kinder hatten sie doch keine bekommen. Würde immer, wenn ein Soldat des Nachts an eine Frau denkt, ein Kind geboren, dann würden in jeder Sekunde so viele Kinder zur Welt kommen wie Sterne am Himmel stehen. Fruns war vor dem Krieg Fußballtrainer gewesen, hatte eine Jugendmannschaft trainiert. Eines Tages traf er die komplette Mannschaft auf dem Schlachtfeld an. In den Krieg ziehen entweder Kinder, damit sie groß werden, oder Väter, damit ihre Kinder groß werden. Diese fünfzehn- und sechzehnjährigen Jungen waren in den Kampf gezogen und hatten ihre Einheit nach der Fußballmannschaft benannt.

Der Erste, den sie verloren, war der Torwart. Sie waren eingekesselt worden, versuchten auszubrechen. Fruns führte sie an. Plötzlich schlug es neben ihnen ein. Sie verloren noch mehr Männer, und Fruns verlor sein Bein.

Fruns war der Einzige aus seiner Einheit, der lebend nach Hause zurückgekehrt war. Er schaute nie mehr Fußball, ging jeder Form von Mannschaftssport aus dem Weg. Einmal spielten die Kinder im Hof Fußball, als er nach Hause kam. Er ging aufs Spielfeld, schnappte sich den Ball und stach ein Loch hinein. Im Viertel dachten alle, er sei verrückt. Es störte ihn nicht. Ohnehin war er der Ansicht, dass es nur zwei Wege gibt, aus dem Krieg zurückzukehren: tot im Sarg oder lebendig, aber verrückt.

Vom Staat erwartete er nichts. Einmal war allerdings eine hübsche Frau von irgendeiner staatlichen Stiftung bei ihm aufgetaucht. Wenn er diese Papiere unterschreibe, die bewiesen, dass er an Kampfhandlungen teilgenommen habe, werde ihm der Staat eine Sonderrente auszahlen. Groß sei sie zwar nicht, aber: kleines Land – kleine Unterstützung. Wären da nicht die blauen Augen und das schöne rote Kleid der Frau gewesen, Fruns hätte ihr eins mit der Krücke übergezogen, als schlagkräftigen Beweis für seine Teilnahme an den Kampfhandlungen. Da die Unglückselige nun aber hübsch war, wäre es beinahe zu einer doppelten staatlichen Unterstützung gekommen – Rente und Konkubine. Er antwortete ihr:
»Wenn Sie einverstanden sind, mit mir zu leben, dann garantiere ich Ihnen, dass Sie alle Beweise bekommen, die Sie brauchen, vor allem nachts. Und wir genießen zusammen die kleine Rente vom Staat und die große Liebe von Gott.«

Die Frau machte auf der Stelle kehrt. Wahrscheinlich glaubte sie nicht an Gott. Nach diesem Vorfall tauchte nie wieder jemand vom Staat bei Fruns auf. Erst nachdem ein junger Journalist auf Fruns gestoßen war und ihn als Kriegsveteranen interviewt hatte, rief jemand von offizieller Seite bei Fruns an und fragte:
»Werter Herr, wie können wir Sie unterstützen?« Fruns antwortete: »Ich möchte jeden Morgen vom Rauschen des Meeres geweckt werden und jeden Abend begleitet von dem gleichen Rauschen wieder einschlafen. Könnten Sie die Grenzen unseres Landes so erweitern, dass mein Wunsch in Erfüllung geht?«

Der Mann hatte aufgelegt. Wahrscheinlich glaubte er nicht an die Heimat.

Keiner wusste, wovon Fruns lebte, und auch nicht, dass er im Krieg einmal einen ganzen Monat lang nicht einen Krumen Brot gegessen hatte. Jeden Morgen, wenn der Hahn im Hühnerstall noch sanft schlummerte, wachte Fruns auf und verließ das Haus. Zuerst ging er auf den Friedhof. Im Frühjahr nahm er Flieder mit, im Herbst Rosen. Wenn die Sonne aufging, saß er neben seiner Frau. Irgendwann hatte er beschlossen, ihr Grab mit eigenen Händen herzurichten, hatte aber bald gemerkt, dass ein Mann mit nur einem Bein sogar mit zwei Händen nicht arbeiten kann. Er bat jemanden, eine Begrenzung um das Grab zu errichten. Gott sei Dank gibt es wenigstens auf dem Friedhof noch gute und selbstlose Menschen. Sie hatten ihm geholfen, das Grab herzurichten und einen Grabstein aufzustellen. Nach dem Besuch auf dem Friedhof lief er immer durch die Stadt. Am liebsten war er am Bahnhof. Dort saß er stundenlang auf einer Bank und wartete. Nicht auf einen Zug, denn die Züge kamen und gingen, ohne dass Fruns sich rührte. Er wartete einfach. Er war sich sicher, dass Warten töten kann. Schließlich hatte es seine Frau getötet. Wahrscheinlich hoffte er auf dasselbe. Ab und an bemerkte einer der Reisenden oder Abholenden den unbeweglich dasitzenden Fruns und warf ihm etwas Kleingeld hin. Fruns hatte nichts dagegen. Abends ging er nach Hause, mit einem Brot unter dem Arm. Manchmal kaufte er auch Kartoffeln, gelegentlich sogar Wein.

Eines Tages ging er nicht zum Bahnhof. Stattdessen humpelte er auf seinen drei Beinen eilig zum Bus.

»He, Einbein, wo willst du hin?«, fragte ein dickwanstiger Hauptmann.

»Für den Kampf braucht man keine Beine, sondern ein Herz, das kein Fett angesetzt hat«, sagte er und schwang sich in den Bus.

Tags zuvor hatte der Feind angegriffen. Es war wieder Krieg.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Mauke-Verlags.

Howik Afjan: Rot ist der Krieg
aus dem Armenischen von Valerie Engler,
Mauke-Verlag 2023, 136 Seiten, 18 Euro


Howik Afjan. (Foto: Stephan Pramme)

Howik Afjan war sieben Jahre alt, als 1990 der erste Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan ausbrach. Er war 40, als Aserbaidschan 2023 Bergkarabach eroberte. Die Generation von Howik Afjan ist eine Kriegsgeneration.
Afjan arbeitet als Journalist und begann vor einigen Jahren Romane und Kurzgeschichten zu schreiben. In seinem 2020 veröffentlichten ersten Roman „Rot ist der Krieg“ erzählt er die ineinander verschlungenen (Liebes-)Geschichten verschiedener Menschen vor dem Hintergrund von Jahrzehnten des Krieges in seiner Heimat.

Im Gespräch mit loyal sagt Afjan in Jerewan, rot sei seine Lieblingsfarbe. Sie stehe für das, was Menschen zutiefst bewegt und was gegensätzlicher nicht sein könnte: einerseits die Liebe, andererseits der Krieg. In seinem Buch fließen diese beiden Phänomene in großer erzählerischer Dichte ineinander.

Die Protagonisten des Romans sind zum Teil erfunden, zum Teil aber auch Kollektivfiguren mehrerer Charaktere, die Afjan persönlich kennt. Menschen mit Kriegserfahrungen trifft man ständig in Armenien. Der Autor selbst war auch in der Armee, er hat zwei Jahre in einer Garnison in der Provinz Tawusch nahe der aserbaidschanischen Grenze gedient, allerdings in einer Phase ohne Kriegshandlungen.

Das Buch wurde von der Kritik in Armenien wohlwollend aufgenommen. Es ist in insgesamt sechs Sprachen übersetzt worden. Howik Afjan, der Ernest Hemingway und Gabriel García Marquez zu seinen Vorbildern zählt, hat inzwischen fünf Romane und zwei Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht. (uz)

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