Der Jäger für den Krieg mit China
Die USA entwickeln ein neues Jagdflugzeug, das die Überlegenheit der US-Air Force in einem Krieg gegen China gewährleisten soll. Boeing hat den Zuschlag für die F-47 erhalten. Es geht bei dem Projekt nicht nur um einen neuen Jäger, sondern um eine ganz neue Art der Luftkriegsführung. Vieles an dem Flugzeug erscheint heute noch als Zukunftsmusik.
Bislang war das Entwicklungs- und Beschaffungsprogramm für ein Kampfflugzeug der 6. Generation unter der Abkürzung NGAD bekannt: Next Generation Air Dominance – Luftüberlegenheit der nächsten Generation. Seit März hat das dahinterstehende Flugzeug eine griffigere Bezeichnung: F-47. In Washington sagen manche, die Zahl wurde gewählt, um Donald Trump zu schmeicheln, dem aktuell 47. Präsidenten der USA. Der jedenfalls unterzeichnete kürzlich den Auftrag für die Entwicklung des neuen Jets – einer Art fliegende Wundertüte.
Die NGAD-Initiative ist eine Reaktion auf die Entwicklung immer leistungsstärkerer gegnerischer Waffensysteme. Vor allem die russische und chinesische Luftverteidigung dürften künftig in der Lage sein, die Tarnkappeneigenschaften der fortschrittlichsten heutigen Flugzeuge zu überwinden. Darüber hinaus arbeitet China bereits am Jagdflugzeug der 6. Generation, das den modernsten derzeit eingesetzten westlichen Jägern im Luftkampf überlegen sein dürfte. Im vergangenen Dezember führte Peking öffentlich den Prototypen eines neuen, schweren Jagdflugzeugs vor: schneller, leistungsfähiger und mit KI-gesteuerten Luft-Luft-Raketen mit großer Reichweite. Genau das sollen auch die Merkmale der F-47 sein. Das Pentagon geht davon aus, dass künftige Kriege über größere Distanzen als heute geführt werden. Insbesondere über dem Pazifik werden Kampfflugzeuge der US- Air Force enorme Distanzen zurücklegen und längere Zeit im Wirkbereich gegnerischer Waffensysteme verbringen müssen. Deshalb setzt die US-Luftwaffe bei der F-47 neben Tarnung vor allem auf Schnelligkeit.
Wie die englischsprachige Bezeichnung Air Dominance verdeutlicht, soll die Neuentwicklung die US-Luftwaffe in die Lage versetzen, in umkämpften oder feindlichen Lufträumen die Überlegenheit zu erringen. Das NGAD-Konzept sieht daher ein vernetztes System von bemanntem Flugzeug und unbemannten Drohnen vor. Den Kern bildet ein Jagdflugzeug der 6. Generation, die F-47. Es soll Nachfolger des F-22 Jägers von Lockheed Martin werden. Wie die F-22 wird der neue Jäger primär auf den Luftkampf ausgerichtet sein, aber auch Luft-Boden-Waffen einsetzen können. Die F-47 soll stärkere Triebwerke, weitreichende und hochauflösende Sensoren, bessere Stealth-Eigenschaften, eine größere Waffennutzlast sowie wesentlich mehr Einsatzreichweite als die F-22 aufweisen, und im Luftkampf auch bei höchster Geschwindigkeit noch extrem manövrierfähig bleiben.
Dieses Pflichtenheft kommt einer nur revolutionär zu nennenden Leistungssteigerung gleich. Sie ist nur mit bahnbrechenden neuen Technologien umzusetzen, die erst am Anfang der Entwicklung stehen und von denen man noch gar nicht weiß, was die Ingenieure am Ende liefern werden. In Rede stehen zum Beispiel Richtenergiewaffen, Hyperschallmarschflugkörper und extrem weitreichende Luft-Luft-Raketen, die alles heute existierende übertreffen.

Die Rotte aus dem Jäger und dem ihn begleitenden Drohnenschwarm soll je nach Ausstattung gegnerische Flugziele, zum Beispiel bemannte Flugzeuge, Drohnen, Flugabwehrraketen oder Bodenziele, wie Radar- und Flugabwehrstellungen bekämpfen können. Ferner geht es um Aufklärung und die Führung elektronischer Kampfsysteme. Die Drohnen als „Hilfskampfflugzeuge“ haben dabei die Aufgabe, das bemannte Flugzeug abzuschirmen und ihm den Weg durch den feindlichen Luftraum zu bahnen. Mitentscheidend für den Erfolg wird die Kommunikation sein. Sie läuft über Satelliten und soll auch die bereits existierende F-35 einbinden, sodass ein Informations- und Einsatzverbund entsteht, der sowohl an Letalität als auch an Überlebensfähigkeit alles bislang Existierende übertrifft.
Den Anstoß für das NGAD-Programm gab eine Studie der Technologiebehörde des Pentagon, DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency). Dabei ging es 2014 darum, neue technologische Ansätze für künftige Kampfflugzeuge zu bewerten. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche Voraussetzungen notwendig sind, um in Zukunft unbeschadet in den Luftraum hochgerüsteter Gegner einzudringen. Das Pentagon leitete daraufhin 2015 die Suche nach Konzeptflugzeugen für einen entsprechenden bemannten Jäger ein. Drei Firmen wurden mit dem Bau von Prototypen in voller Größe des angestrebten bemannten NGAD-Flugzeugs beauftragt: Boeing, Lockheed Martin und Northrop Grumman. Letztere schied 2023 auf eigenem Wunsch aus der Bewerbung aus. Lockheed Martin und Boeing lieferten sich bis zum Schluss ein scharfes Rennen um den Auftrag.
Die Flugerprobung dieser Konzeptflugzeuge begann 2020 und wurde bis heute fortgesetzt. Die als X-Plane bezeichneten Experimentalflugzeuge absolvierten mehrere Hundert Flugstunden und trugen zur Fortentwicklung sowohl von Technologien wie Tarnkappeneigenschaften und autonomen Systemen als auch der künftigen Einsatzkonzepte bei. Eigentlich sollte der Entwicklungsauftrag für das Serienflugzeug bereits 2024 vergeben werden.
Doch der damalige Luftwaffen-Minister Frank Kendall ordnete im Juni 2024 eine Pause an. Dies hatte zwei Gründe: Erstens wurden die auf 300 Millionen Dollar geschätzten Beschaffungskosten des bemannten NGAD-Jägers als zu hoch eingestuft. Zweitens waren im Pentagon Zweifel aufgekommen, ob das seit zehn Jahren verfolgte Konzept wirklich optimal sei. Neueste technologische Entwicklungen könnten eventuell kostengünstigere und sinnvollere Alternativen zum Superflugzeug bieten, resümierte die Luftwaffenführung. Im Pentagon kursierten verschiedene Alternativvorschläge, angefangen bei einer durch neue Technologie leistungsgesteigerte Variante des F-35-Jägers, bis hin zu einer vollständig unbemannten Jagdflotte. Minister Kendall gab eine Studie in Auftrag, um festzustellen, welcher Kurs hinsichtlich NGAD verfolgt werden sollte.

Nach eingehender Analyse lautete die Antwort: keine Alternativlösung käme dem angedachten bemannten Flugzeug der 6. Generation in der operativen Leistung gleich oder auch nur nahe. Weder nachgerüstete F-35 noch alleine operierende KI-geführte Drohnen könnten in einem Krieg gegen China die gegnerische Flugabwehr so wirksam überwinden wie die „NGAD-Familie“ mit dem bemannten Jäger der 6. Generation im Mittelpunkt. „Wir wollen dem Präsidenten im Kriegsfall so viele Optionen wie möglich darlegen, und dies bedeutet: NGAD,“ erklärte Air Force-Stabschef General David Allvin Anfang März.
Den gleichen Ton schlugen seit Beginn des Jahres auch andere leitende Offiziere an. „Das Gefecht sieht mit NGAD grundlegend anders aus als ohne NGAD“, erklärte der zuständige Referatsleiter bei der Luftwaffe, Generalmajor Joseph Kunkel im Februar. Ohne Zusammenwirken des bemannten Hochleistungsjägers mit den übrigen NGAD-Komponenten könnten die USA unter Umständen nicht sämtliche Einsatzziele erreichen, warnte Kunkel. Letztendlich gelang es General Allvin Mitte März nach einem eingehenden Briefing, auch Präsident Trump von der Sinnhaftigkeit des vorgesehenen NGAD-Konzepts zu überzeugen.
Der schließlich am 21. März erteilte Auftrag ist ein sogenannter Engineering- and-Manufacturing-Development-Vertrag. Er betrifft ausschließlich den bemannten Jäger. Die Entwicklung der Drohnen der NGAD-Rotte wird durch andere Firmen vorgenommen. Boeing wird nun den Grundentwurf des vorliegenden Jäger-Prototypen bis zur Produktionsreife weiterentwickeln, dabei mehrere Versuchsflugzeuge bauen und Vorbereitungen für die Vorserienproduktion treffen. Der Einsatz virtueller Design-, Modellierungs- und Simulationsverfahren soll die Entwicklung der F-47 schneller als bei bisherigen Flugzeugtypen gestalten. Details sind vertraulich, doch erklärte das Militär, dass der Flugzeugentwurf bereits weit fortgeschritten sei. Eine Indienststellung ist bereits für Anfang der 2030er-Jahre geplant. Eine offizielle Beschaffungsgröße für den bemannten Jäger hat das Pentagon bislang nicht angegeben, inoffiziell sprechen Offiziere von einem Bedarf an mindestens 200 Maschinen.
Die Einsatzreichweite der F-47 werde „wesentlich größer“ als die der F-22. Zur Orientierung: Der F-22-Jäger fliegt unter Einsatz von zwei externen Zusatztreibstofftanks knapp 3.000 Kilometer weit, ohne nachtanken zu müssen. Außerdem soll der neue Jäger wartungsfreundlicher ausfallen und weniger Bodenpersonal erfordern. Die Einsatzbereitschaftsrate soll höher liegen als bei existierenden Modellen.

Die offene Systemarchitektur der F-47 ist darauf ausgerichtet, laufend neue Bordsysteme und Software zu integrieren, um sich über Jahrzehnte hinweg den sich verändernden operativen wie technologischen Gegebenheiten anpassen zu können. Generalleutnant Dale White verglich NGAD mit einem Smartphone auf dem sich ständig eine beliebige Anzahl Apps hochladen oder wieder entfernen lässt, ohne dass Änderungen an der Hardware erforderlich sind. „Die Architektur wird ein bisher noch nie erreichtes Maß an Interoperabilität bewirken,“ sagte White, der das Beschaffungsreferat im Air Force-Führungsstab leitet.
Über diese grundlegenden Eigenschaften hinaus gibt das Pentagon keine Details hinsichtlich des Entwurfs oder der Ausstattung bekannt. Das Flugzeug soll, so ist zu hören, mit einem noch in der Entwicklung befindlichen sogenannten Next-Generation-Adaptive-Propulsion-Triebwerk ausgestattet werden. Dieses Antriebssystem wird unter anderem verstellbare Schubdüsen aufweisen, die dem Flugzeug extreme Manövrierfähigkeit auch beim Höchstgeschwindigkeitsflug ermöglichen. Außerdem soll trotz gesteigerter Schubleistung der Treibstoffverbrauch um 20 Prozent reduziert werden, was die erhöhten Einsatzreichweite erklären würde.
Falls das Entwicklungsprogramm ohne größere technische Hürden verläuft und auch die Finanzierung gewährleistet ist, verspricht das NGAD-Konzept – ebenso wie andere Flugsysteme der 6. Generation wie etwa das deutsch-französisch-spanische FCAS-Projekt – eine revolutionäre Steigerung der operativen Fähigkeit. General Allvin fasste es in diese Worte: „Mit der F-47 bauen wir nicht einfach einen weiteren Jäger. Wir gestalten die Zukunft der Kriegsführung neu.“
Der Autor
Sidney E. Dean ist freier Journalist mit Sitz in Suffolk, Virginia.