„Der Ehrenwerte“
Er ist der wohl erfahrenste Verteidigungsminister der Welt: Ng Eng Hen feiert im kommenden Monat 14 Jahre im Amt. „Sicherheit ist ein ständiges Bedürfnis, damit wir unsere Souveränität und unseren Lebensstil gewährleisten“, sagt der 67-Jährige. Bevor er in Singapur Politiker wurde, arbeitete er als Mediziner. Das dürfte einmalig sein: Ein Brustkrebsspezialist als Verteidigungsminister. Auch seine Frau ist Ärztin.
Sicherheit ist ein ständiges Bedürfnis, damit wir unsere Souveränität und unseren Lebensstil gewährleisten.“ Das sagt Dr. Ng Eng Hen, der Verteidigungsminister des kleinen, reichen und äußerst wehrhaften Stadtstaates Singapur. Ng Eng Hen heißt „der Ehrenwerte“. Er ist wahrscheinlich der am längsten amtierende und erfahrenste Verteidigungsminister weltweit. Anfangs hat es allerdings überhaupt nicht nach einer politischen Karriere ausgesehen.
Der junge Ng Eng Hen (sein Name spricht sich „ändschi äng hän“ aus, Ng ist der Familienname) hatte zunächst die Anglo-Chinese School und das National Junior College besucht. Dann studierte er in Singapur Medizin und lernte dabei die Kommilitonin Ivy Lim Swee Lian kennen. Sie war damals 18. Sie verlobten sich, als sie im Juli 1982 ihren Abschluss machten. Vier Monate später heirateten sie. Das Ehepaar hat vier inzwischen erwachsene Kinder: Jonathan, Jill, Joel und Jeanne.
Nach dem Studium hat Ng – er ist Jahrgang 1958 – unter anderem in den USA am Cornell University Medical Center in New York und am Anderson Cancer Center in Houston gearbeitet. Auch seine Frau arbeitete als Medizinerin in den USA. Als sie nach Singapur zurückkehrten, gründete er eine erfolgreiche Privatpraxis als chirurgischer Onkologe am Mount Elizabeth Hospital. Er spezialisierte sich auf die Behandlung von Brustkrebs. Dr. Ng Eng Hen war maßgeblich an der Gründung der dortigen Brustkrebsstiftung beteiligt, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für die Früherkennung der Krankheit einsetzt.
Seine Frau Ivy (59) ist Kinderärztin und Genetikerin und inzwischen Professorin sowie Geschäftsführerin von Singapore Health Services, dem größten Gesundheitscluster des Landes mit zwei Krankenhäusern, neun Polikliniken und fünf Spezialzentren. Sie ist Chefin von 17.000 Mitarbeitern.

Warum entscheidet sich ein erfolgreicher Arzt plötzlich für eine politische Laufbahn? Das hat etwas mit Dankbarkeit zu tun. Aufgewachsen mit fünf Geschwistern in bescheidenen Verhältnissen in einer Mietwohnung in der Zion Road in Singapur, weiß Ng genau, woher er kommt. Seine persönliche Entwicklung und sein beruflicher Aufstieg und die Chancen, die sich ihm boten, spiegeln sich, so sieht er das, in der Entwicklung der Republik Singapur an der malaysischen Südspitze wider.
Ng Eng Hen ist ein bescheidener Mensch. Er hat vom Aufstieg und von der phänomenalen Entwicklung Singapurs profitieren dürfen, wie er sich ausdrückt, und wünschte sich das auch für seine Kinder und Enkel. „Weil das Land als Ganzes prosperiert, können meine Frau und ich unseren Kindern ein besseres Leben bieten.“ Die ehemalige britische Kronkolonie hatte sich innerhalb von 25 Jahren von einem Dritte-Welt-Land zu einer der wohlhabendsten Städte beziehungsweise Staaten der Welt gemausert. Ng wollte seinen Beitrag dazu leisten, diese Aufwärtsentwicklung sicherzustellen.
Mit dem Zusammenschluss von Singapur und Malaysia hatte Singapur 1963 nach 144 Jahren unter britischer Herrschaft seine Unabhängigkeit innerhalb einer Föderation erlangt. Doch dieser Zusammenschluss war von Beginn an von Misstrauen und Differenzen geprägt. 1964 kam es zu Unruhen aufgrund der Bevorzugung der Malayen. Die Bevölkerung von Singapur setzt sich heute zusammen aus 75 Prozent Chinesen, knapp 14 Prozent Malayen und neun Prozent Indern. Auch die Familie Ng hat ihre Wurzeln in China. Der malaysische Regierungschef schloss Singapur schließlich aus der Föderation aus. Mit Wirkung vom 9. August 1965 erklärte Singapur sich zur unabhängigen Republik. Das Misstrauen auf den Nachbarn Malaysia besteht bis heute fort.

Denn die kleine Republik ist von einigen machthungrigen großen Nachbarn umgeben, und eine Invasion Singapurs, das kein Hinterland besitzt, wäre fatal. Diese prekäre Lage und schlimme Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg wirken hier nach. Singapur als wichtigster Militärstützpunkt der Alliierten in Südostasien war im Februar 1942 beim Angriff der Japaner völlig überraschend gefallen. Das wurde zum Trauma. Japan errichtete ein brutales Regime. Ähnliches soll sich nie mehr wiederholen. Auch deswegen patrouillieren über Singapur ständig Kampfflugzeuge.
Obwohl es nur sechs Millionen Einwohner zählt und mit 730 Quadratkilometern kleiner ist als Berlin, ist Singapur eine Handels- und Militärmacht. Hier verläuft eine der wichtigsten Seehandelsrouten, und Singapurs Hafen ist einer der größten weltweit. Singapurs Streitkräfte zählen zu den bestausgerüsteten in Südostasien. Der Militäretat beträgt umgerechnet etwa zwölf Milliarden Euro. Hochgerechnet auf Deutschland müsste der deutsche Einzelplan 14 statt 52 Milliarden Euro heute mehr als das Dreifache ausweisen, wollte er Singapur nacheifern.
Ng ist Mitglied der regierenden konservativen Volksaktionspartei PAP (People’s Action Party). 2011 stieg er bei den Parlamentswahlen im Wahlbezirk Bishan-Toa Payoh in die Politik ein. Toa Payoh bedeutet „großes Sumpfgebiet“. Heute ist es eine Wohn- und Schlafstadt von Singapur. Ng gewann die Wahlen und hat den Wahlkreis seitdem behauptet. Seit dem 31. Mai 2011 ist er Verteidigungsminister. Zuvor war er schon sechs Jahre lang stellvertretender Verteidigungsminister. Parallel zu seiner Zeit als Vizeverteidigungsminister von 2005 bis 2011 war er Arbeitsminister (2004 bis 2008) und Bildungsminister (2008 bis 2011). Vertrauen spielt für Ng in der Politik eine ganz entscheidende Rolle. So, wie Patienten ihm als Chirurgen bei Operationen hundertprozentig vertrauten, sollten ihm die Menschen auch als Politiker Vertrauen schenken können.

Ng baut auf die Gleichzeitigkeit von Abschreckung und Diplomatie. Die hohen Ausgaben für militärische Ausrüstung haben es den Streitkräften ermöglicht, von einer defensiven Strategie zur Vorwärtsverteidigung überzugehen. Unter Ngs Leitung modernisieren die Streitkräfte derzeit wieder ihre Ausrüstung. Dafür ist 2019 eigens das Amt eines Generalinspektors der Streitkräfte geschaffen worden. Zuletzt hat Singapur F-35-Kampfflugzeuge in den Vereinigten Staaten gekauft.
Singapur hat sich zu einem Eckpfeiler des deutschen Engagements im Indo-Pazifik entwickelt. Deutschland liefert im Rahmen der strategischen Partnerschaft U-Boote. Ende 2024 waren es zwei in Kiel bei thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) gebaute U-Boote vom Typ 218 SG. Singapur hat in Deutschland vier dieser U-Boote bestellt. Die Besatzungen werden in Deutschland ausgebildet.
Armee Singapurs
Die Streitkräfte des Stadtstaates Singapur mit seinen sechs Millionen Einwohnern auf einer kleineren Fläche als Berlin gliedern sich in Heer, Luftwaffe und Marine und umfassen rund 60.000 Mann. Es gilt eine Wehrpflicht von 24 Monaten Dauer. Ihr unterliegen nicht nur die Bürger Singapurs, sondern auch Ausländer mit unbegrenztem Aufenthaltsrecht. Größte Teilstreitkraft ist mit 45.000 Soldaten das Heer. Es ist unter anderem mit dem Kampfpanzer Leopard 2A4 ausgestattet. Die Marine hat die Aufgabe, die Schifffahrtsrouten von globaler Bedeutung in der Region zu schützen. Die Luftwaffe ist durch die Kunstflugstaffel „Black Knights“ überregional bekannt. uz
Der Autor
Jürgen Rahmig ist ausgebildeter Fallschirmjäger und arbeitet seit 40 Jahren als Journalist mit dem Schwerpunkt Außen- und Sicherheitspolitik.